Die Gewissensfrage

»Wir geben unsere gebrauchten Kleidungsstücke, Schuhe und Haushaltswaren an einen privaten Hilfskonvoi nach Rumänien. Dazu spendet eine Bekannte, die in einer Apotheke arbeitet, Medikamente, die aufgrund des abgelaufenen Mindesthaltbarkeitsdatums aussortiert wurden. Nun ist bei uns die Diskussion entbrannt, ob es rechtens ist, Medikamente, die wir nicht mehr nehmen würden, an ärmere Menschen weiterzugeben. Versteht man das noch unter einer ›guten Tat‹?« INGRID UND HUGO B., FÜRTH

Ihre Frage könnte man leicht kategorisch beantworten: Medikamente, die uns hier zu schlecht sind, an andere weiterzugeben, für die sie noch gut genug sein sollen, stempelt diese anderen zu Menschen zweiter Klasse, und das ist unethisch. Zudem fordern Leitlinien der Weltgesundheitsorganisation WHO bei Arzneimittelspenden unter anderem eine Haltbarkeit von noch mindestens einem Jahr.Damit scheint alles klar. Andererseits, wenn irgendwo Mangel an Medikamenten herrscht, wäre es da nicht hart, geradezu zynisch, einem schwer Erkrankten ein vermutlich noch wirksames Medikament unter Verweis auf »Leitlinien« oder gar »aus ethischen Gründen« vorzuenthalten? Müsste man nicht umgekehrt, etwa nach dem Prinzip der größten Nützlichkeit, dem Utilitarismus, mit einem Medikament, das wohl noch hilft, auch tatsächlich helfen?Will man dem jedoch folgen, stellt sich sofort die Frage: Was nützt? Und das führt zu zwei unterschiedlichen Varianten des Utilitarismus: Der Aktutilitarismus betrachtet eine bestimmte Handlung, hier die Spende der einzelnen Tablettenpackung, und sagt: Wenn sie mehr positive als negative Folgen hat, ist sie gut. Dem wird entgegengehalten, dass man die Folgen für den Einzelfall meist gar nicht absehen kann. So auch hier: Welcher Spender weiß schon, ob diese abgelaufenen Pillen überhaupt gebraucht werden, ob sie noch wirken, womöglich gar schädlich wurden? Als Ausweg aus dieser Misere zieht der Regelutilitarismus statt jeder einzelnen Tat die zugrunde liegende Regel heran: Sichert sie das allgemeine Wohlergehen, sind Handlungen, die ihr folgen, als moralisch richtig anzusehen. Bedenkt man nun, dass die WHO-Leitlinien aus jahrelangen Erfahrungen mit sinnvollen und sinnlosen Aktionen heraus entstanden, spricht auch aus Sicht der Nützlichkeit mehr gegen als für die »gute Tat« Ihrer Bekannten.