Die Gewissensfrage

»Wie jedes Jahr zum Valentinstag veranstaltet die Schülervertretung unseres Gymnasiums heuer eine Rosenaktion: Schülerinnen und Schüler können sich für einen Euro gegenseitig gelbe, weiße, rote Rosen oder Grußkarten schicken. Wenn dann am 14. Februar die Boten durch die Klassenzimmer gehen, fängt der unausgesprochene Wettstreit an. Wer bekommt die meisten Rosen? Und von wem? Wer gar keine? Ich finde, dass diese Aktion alles andere als ver-bindend ist! Sollte man das Ganze nicht besser abschaffen?« JULIA L., OBERHACHING

Ich bin ebenso wenig ein Freund von Zuneigungsbekundungen nach dem Kalender wie von emotionalen Massenveranstaltungen. Insofern stehe ich dem Valentinstag skeptisch gegenüber. Andererseits sollte man jede Aktivität begrüßen, mit der Menschen sich ihre Zuneigung ausdrücken. Das trifft auf den Valentinstag sicherlich zu, ganz unabhängig davon, woher dieser – am Ende dann doch eher unpersönliche – Brauch nun kommt, wie er hierzulande populär wurde oder welche Branche damit ihre Absatzinteressen verfolgt. Kurz, ein zusätzlicher Anreiz, einem nahe stehenden Menschen zu zeigen, dass man ihn mag, eignet sich im Prinzip, das Zusammenleben zu verbessern.Gilt das auch für die organisierte Blumenverteilung? Da habe ich meine Bedenken. Die Fans der legendären Peanuts-Comics von Charles M. Schulz kennen die Nöte von Charlie Brown am Valentinstag. Ihm passiert genau das, was Du als negative Folge beschreibst. In der verfilmten Episode Be my Valentine wartet er sehnsüchtig auf Valentinskarten, und obwohl er jedem in der Klasse eine geschrieben hat, erhält er keine einzige, was ihn kränkt und seine Rolle als ewiger Verlierer zementiert. In der Tat stellt die Anzahl der erhaltenen Karten in den USA einen Gradmesser der Beliebtheit dar. Das könnte man zwar als jährlich wiederkehrenden Anreiz ansehen, sich sozial richtig zu verhalten; ich fürchte jedoch, dass dabei eher die Schwächeren unter die Räder kommen – wie eben unser liebenswerter, aber von den Mitschülern übergangener rundköpfiger Freund.Damit soll nicht aus politischer Korrektheit heraus eine nette Aktion in Frage gestellt werden, nur weil sie auch weniger schöne Nebeneffekte aufweist; aber der menschliche Gewinn eines nahezu industrialisierten Aufmerksamkeitsaustausches erschließt sich mir ohnehin nicht auf Anhieb.