Merda!

Donna Leon - Notizen aus Venedig

Sie kennen vielleicht Carpaccios Gemälde des heiligen Augustinus in der Scuola di San Giorgio degli Schiavoni: ein altertümliches Studierzimmer, rechts am Pult sitzt der Kirchenvater und blickt sinnend in die Ferne, links am Boden hockt sein weißes Hündchen. Ein struppiger Winzling, der leicht zu übersehen wäre, würde er nicht so hingebungsvoll zu seinem Herrn aufschauen, dass man sich glatt runterbeugen und ihm den süßen kleinen Kopf tätscheln möchte. Dem Hund, wohlgemerkt, nicht dem Heiligen.

Aber jetzt denken Sie mal kurz nach: Wer ist wohl damals mit diesem Hund Gassi gegangen? Wer hat ihn an die Leine genommen und in Venedig ausgeführt? Und wer hat dafür gesorgt, dass anschließend die Spuren des Geschäfts ordentlich beseitigt werden?

Die Antwort dürfte bei unserem Zeitsprung zwischen Renaissance und Gegenwart beide Male gleich ausfallen: niemand. Damit wir uns nicht missverstehen – die Venezianer gehen sehr wohl mit ihren Haustieren spazieren. Hunde sind schließlich ein Statussymbol, wenn auch eins, das mit der Mode geht. Nach Dalmatiner und Husky ist jetzt gerade der Golden Retriever angesagt. Sobald eine neue Rasse
in Mode kommt, dauert es etwa achtzehn Monate, bis die ersten Exemplare im Tierheim landen. Die ersten Labradors wurden letzten Sommer gesichtet.

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Doch das gehört nicht hierher, denn mein Thema ist ja Kacke, nicht Mode. Früher waren Venedigs Gassen vor lauter Hundescheiße kaum passierbar. Dann wurde es irgendwann besser; keine Ahnung, warum, an der Wachsamkeit der Behörden lag es bestimmt nicht, dass viele Hundebesitzer nun alles vorschriftsmäßig beseitigten.

Einmal allerdings wurde ich Zeuge, wie eine gut gekleidete Dame die Hinterlassenschaft ihres Vierbeiners mit einem Papiertaschentuch aufnahm und von der nächsten Brücke in den Kanal warf. »Bene«, wagte ich zu bemerken, »città pattumiera«, die Stadt als Müllkippe, denn offensichtlich sah die Frau Venedig so. Worauf die Frau mich so bissig anfuhr, dass mir der Verdacht kam, sie habe so einen Kommentar nicht zum ersten Mal gehört: »Was glauben Sie denn, wo die Ihre landet?« Berechtigte Frage, aber das Fass wollen wir hier nicht auch noch aufmachen.

Vor ein paar Jahren startete die Straßenreinigung eine Kampagne – zu kurz, als dass sie sich rentiert hätte, außer vielleicht für die beteiligten Firmen –, mit mechanisch betriebenen Kotstaubsaugern. Doch die verschwanden, wie gesagt, bald wieder.

Eine Zeit lang lief es trotzdem ganz gut, und man war, zumindest im Stadtzentrum, einigermaßen sicher vor den leidigen Tretminen. Aber seit Anfang des Jahres scheint das Verantwortungsgefühl der Hundehalter wieder nachzulassen, und die Straßen verwandeln sich erneut in den Hindernisparcours von früher.

Was aber nicht widerstandslos hingenommen wird: Neulich hatte ich auf der Calle del Cristo in Cannaregio das komische Gefühl, am Boden bewege sich etwas hin und her. Im Näherkommen erkannte ich einen Hundehaufen, der mir zuwinkte. Genau genommen winkte da ein Papierfähnchen, das, an einem Zahnstocher befestigt, in der Kacke steckte und die Aufschrift trug: »Il mio padrone«, mein Herrchen. Wie wahr. Im Weitergehen fand ich noch mehr Belege für den Eifer des pfiffigen Protestlers: Auf jeder Hinterlassenschaft prangte ein Fähnchen mit der gleichen sinnigen Grußbotschaft.

Als ich bei einem gemeinsamen Abendessen mit fünf venezianischen Freunden davon erzählte, hatten zwei von ihnen die Fähnchen auch gesehen. Natürlich lästerten wir bald alle unisono über die skandalösen Zustände auf den Wegen der Stadt.

Bis einer der Gäste eine Geschichte zum Besten gab, die er eines Morgens beim Zeitungholen erlebt hatte. Er war eben mit dem Gazzettino unterm Arm vom Kiosk gekommen, als eine Dame im Pelzmantel seinen campo betrat und ihren kleinen weißen Malteser, der unverkennbar von jenem anfangs genannten treuen Begleiter des heiligen Augustinus abstammte, von der Leine ließ. Das freigelassene Hündchen schnupperte suchend auf dem Platz herum und kauerte sich endlich an einem Hauseingang nieder. Oben im ersten Stock stand ein Mann mit einer Tasse Kaffee am Fenster.

Während der kleine Köter sein Geschäft verrichtete, verzog sein Frauchen sich demonstrativ unbeteiligt ans andere Ende des campo, und der Mann am Fenster trank seinen Kaffee aus. Lassen Sie eine halbe Minute verstreichen, liebe Leser. Unterdessen wendet die Frau sich wieder dem Hund zu, die Haustür geht auf, und der Mann vom Fenster tritt heraus.

Er registriert die Hinterlassenschaft vor seiner Tür, sieht erst
den Hund an, dann die Frau und erkundigt sich: »Verzeihen Sie,
Signora, ist das Ihrer?«
Worauf sie in gekränkter Unschuld die Hände hochwirft und »Was fällt Ihnen ein!« ruft.

Da lächelt der Mann, lockt den Hund mit sanfter Stimme, packt ihn, dreht ihn vorsichtig kopfüber und wischt mit seinem Rückenfell die Scheiße auf. Anschließend setzt er das Tier genauso behutsam wieder auf die Füße, grüßt die Frau mit einem höflichen »Buongiorno« und zieht sich zurück.

Wir Zuhörer der Geschichte brachen in einen Jubel aus, als wäre Venedig soeben Weltmeister geworden. Zwei trommelten vor Freude auf dem Tisch herum, einer schrie laut »vittoria«, und dann hoben wir die Gläser und brachten einen Toast aus auf unseren venezianischen Terminator.