Das beste Leben der Welt

Um 1950 in Westdeutschland geboren, das bedeutete für eine ganze Generation: nie Krieg, nie Armut, nie Sorgen. Aber was macht sie daraus?


Nächstes Jahr werde ich sechzig. Wenn ich dann auf mein Leben zurückblicke, werde ich sagen können, nie etwas anderes kennengelernt zu haben als Frieden und Freiheit bei wachsendem Wohlstand. Mein Staunen darüber wächst seit ungefähr anderthalb Jahrzehnten. Und zugleich, im selben Maß, wächst meine Sorge – und, in höherem Maß, meine Verzweiflung.

Es war ungefähr Mitte der Neunzigerjahre während einer sonnigen Herbstwanderung mit meiner Familie durch den Rheingau, als dieses Staunen und Sorgen begann. Unten glitzerte der Rhein und zog sich als silbernes Band durch die Landschaft. Oben leuchtete das Laub in den schönsten Farben. Wir gingen vorbei an Weinstöcken mit schweren Reben und an Obstbäumen, deren Äste vom Gewicht der Äpfel und Birnen nach unten gezogen wurden.

Deutschland ist ein schönes Land, dachte ich, ein reiches und ein wohlgeordnetes Land, in dem sich gut leben lässt. Für einen Moment lang war ich dankbar und glücklich.

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Wahrscheinlich lag es am Besuch des Niederwalddenkmals, dieser triumphierend martialischen Germania hoch über Rüdesheim, dass sich andere Gedanken in den Vordergrund schoben. Wörter und Satzfetzen aus dem Lied von der Wacht am Rhein, dessen Text unter den Füßen der Germania in Stein gemeißelt ist, mussten irgendwo im Unbewussten ihre Arbeit verrichtet haben – »es braust ein Ruf wie Donnerhall«, »Heldenblut«, »Feindesblut«, »in Gottvertrau’n greif’ zu dem Schwert« … Mein Vater hatte als Wehrmachtssoldat Wache am Rhein geschoben. Daher war ich in Gedanken plötzlich bei meinen Eltern, die den größeren Teil ihres Lebens in einem ganz anderen Deutschland verbracht haben. Krieg, Inflation, Hunger, Not, die Hitlerei – meine Mutter hat drei ihrer Brüder im Krieg verloren, das Haus meines Vaters wurde von einer Bombe zerstört. Überall in Europa hatten die Generationen meiner Eltern und Großeltern Ähnliches erlebt und erlitten, und wer aus diesen Generationen jüdischen Glaubens war, dessen Leben endete mit hoher Wahrscheinlichkeit in einer von Deutschen betriebenen Gaskammer.

Danach waren die Deutschen aus ihrem Helden- und Feindesblutrausch erwacht, und daher ist das Leben von uns Nachkriegsgeborenen völlig anders verlaufen als das unserer Eltern. Nach sechs Jahrzehnten erscheint uns dieses Leben als selbstverständlich, tatsächlich aber sind diese Jahre ein einziger Ausnahmezustand. Alle Generationen vor uns lebten stets mehr oder weniger in jenem seit Urzeiten herrschenden Normalzustand, dessen Konstanten Armut, Ausbeutung, Krieg, Not und das Recht des Stärkeren sind.

Nicht nur im Vergleich mit der Vergangenheit, auch im Vergleich mit der gegenwärtigen Welt jenseits der Grenzen West- und Mitteleuropas sind unsere Verhältnisse die Ausnahme. Drei Viertel der heutigen Weltbevölkerung würden sich glücklich preisen, wenn sie in den Genuss jener Existenzbedingungen kämen, die heute bei uns als Armut definiert werden. Die Zehntausende von Flüchtlingen, die täglich aus ihrem Elend aufbrechen, um unter Einsatz ihres Lebens über Tausende von Kilometern an die Grenzen Europas zu gelangen und diese zu überwinden, teilen uns mit: Unser Land ist das Land ihrer Sehnsucht. Hier vermuten sie das bessere Leben. Die es schaffen, hier Fuß zu fassen, sind dann oft enttäuscht. So, wie sie es sich erträumt haben, ist dieses Europa dann doch nicht. Trotzdem will kaum einer zurück, denn das, was vom Traum übrig bleibt, ist immer noch besser als das, wovor sie geflohen sind.

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Hartz-IV-Empfänger und andere vom Schicksal Benachteiligte hören das möglicherweise nicht gern, aber zirka eine Milliarde Menschen auf dieser Welt würden gern mit ihnen tauschen. Dieser Milliarde fehlt es an sauberem Trinkwasser, Nahrung und menschenwürdigen Wohnungen, es mangelt an Ärzten und Medikamenten, an Licht, Strom und Erholungsräumen, es fehlt ihnen an Schulen, Straßen und einem öffentlichen Nahverkehr, es fehlt ihnen an Kinos, Theatern, Konzerthallen und Museen, an Rechtsstaatlichkeit und an Schutz vor kriminellen Banden. Es fehlt ihnen an allem, was hierzulande auch für Hartz-IV-Empfänger selbstverständlich ist.

Auch wenn ich heute von Hartz IV leben müsste, hätte mir kaum etwas Besseres passieren können, als 1951 in der Nähe von Nürnberg geboren zu werden. Wäre ich ein paar hundert Kilometer weiter nördlich geboren, in Erfurt, Gera oder Plauen, wäre mein Schicksal die DDR gewesen; ein paar Jahrzehnte früher, und ich hätte meine Jugend im Nazi-Deutschland verbracht. Ich weiß nicht, ob ich den Anwerbeversuchen der Stasi widerstanden hätte, ich weiß nicht, auf welcher Seite ich im Nazi-Deutschland gestanden hätte, sehr wahrscheinlich auf der falschen, denn das immerhin weiß ich: Als Zwanzigjähriger verfügte ich noch nicht über einen Charakter, den man als gefestigt bezeichnen könnte. Glücklich das Land, das keine Helden nötig hat – meine Generation lebt seit ihrer Geburt in solch einem Land. Das Einzige, was uns hier abverlangt wird, ist ein bisschen Zivilcourage.

Darum bleibt es dabei: Wir, die Nachkriegsgeborenen der westlichen Hemisphäre, haben den weltgeschichtlich günstigsten Zeitpunkt und günstigsten Ort erwischt, den man sich denken kann, um auf diese Welt zu kommen und in ihr aufzuwachsen. Wir sind die Glückskinder der Weltgeschichte.

Bei jener Rheingau-Wanderung blickte ich schließlich auf meine zwei damals noch kleinen Kinder und fragte mich: Was wird sein, wenn sie und alle Angehörigen ihrer Generation sechzig Jahre alt sind? Werden sie dann rückblickend auch sagen können, nie etwas anderes kennengelernt zu haben als Frieden in Freiheit und Wohlstand? Die Frage erschütterte mich, denn nichts deutete darauf hin, dass es gelingen könnte, unseren Ausnahmezustand für weitere sechs Jahrzehnte aufrechtzuerhalten.

Meine Eltern waren arm, als ich geboren wurde. Ich ertrug es leicht, denn erstens waren meine Schulkameraden auch nicht viel besser dran als ich, und zweitens wurde es von Jahr zu Jahr besser. Als meine Generation nach Lehrstellen suchte, mussten wir nicht hundert Bewerbungen schreiben, sondern wir waren die Umworbe-nen. Wir schrieben die Absagen an die Unternehmen. Als ich meine Lehrzeit beendet hatte, wurde Willy Brandt Kanzler. Er wollte, dass auch wir Arbeiter- und Bauernkinder studieren und sozial aufsteigen können, und tatsächlich stiegen wir auf.

Heute hocken viele dieser Aufsteiger auf ihren unkündbaren Planstellen, von denen herab sie meinen Kindern verkünden, dass die Zeiten unbefristeter Arbeitsverhältnisse vorbei sind. Sie sollen dankbar und froh sein, wenn sie irgendwo ein unbezahltes Praktikum machen dürfen. Vielleicht kriegen sie anschließend einen Jahresvertrag und dann einen Zweijahresvertrag, aber danach wird’s prekär.

(Lesen Sie auf der nächsten Seite: Viele, die während der »bewegten Zeiten« in sozialistischen und kommunistischen Studentenzirkeln höchst aktiv waren , reagieren heute genervt, wenn man sie an ihre früheren Sprüche und Parolen erinnert.)

Wer in meiner Jugend einen Haupt- oder Realschulabschluss machte, fand eine Lehrstelle bei einer Versicherung oder Bank, verdiente schon bald ordentlich Geld auf einem sicheren Arbeitsplatz, konnte planen, eine Familie gründen, ein Haus bauen und musste sich um sein Alter nicht sorgen. Die Rente war sicher. Heute braucht man für eine Banklehre Abitur. Hauptschüler finden kaum eine Lehrstelle, bekommen oft nicht einmal die Chance, überhaupt ins System eingelassen zu werden, werden aber ermahnt, selbst für ihr Alter vorzusorgen.

In den Siebzigerjahren lief ich mit den Bürger- und Großbürgerkindern durch die Straßen, um gegen die »Ausbeutung der Arbeiter« zu protestieren. Diese »Ausgebeuteten« haben damals über Jahre hinweg acht- bis zwölfprozentige Lohnerhöhungen durchgesetzt, dazu die Verkürzung der Wochenarbeitszeit, die Verlängerung des Urlaubs und höhere Sozialleistungen. Dafür, dass die Arbeiter damit zufrieden waren, wurden sie von manch demonstrierendem Großbürgersohn verachtet, weil sich darin nur »unkritische Systemblindheit« und »Konsumgeilheit« ausdrückten.

Die Demonstranten wollten mehr als nur materielles Wohlergehen, sie wollten obendrein Sinnerfüllung im Beruf, Selbstverwirklichung, Selbstbestimmung, »nicht entfremdete Arbeit«, und wenn ihre Eltern immer gesagt haben, »ihr sollt es einmal besser haben als wir«, wurden die Alten dafür mitleidig bis arrogant belächelt, weil die spießigen Eltern ja mit »besser haben« vor allem nur »mehr haben« gemeint hatten.

Heute haben sich die ehemaligen Protestanten im »Mehrhaben« gut eingerichtet, bewohnen als Professor, Anwalt, Chefredakteur, Arzt die besseren Viertel und leisten sich dank des materiellen Erbes ihrer spießigen Eltern einen großbürgerlichen Lebensstil. Etliche der damaligen Wortführer sind oder waren bis vor Kurzem Politiker mit hohen Ämtern, die sie genutzt haben, um dem Volk den Gürtel von Jahr zu Jahr enger zu schnallen. Kaum ein Arbeiterkind, kaum ein Migrantenkind schafft es heute an die Uni, eine steigende Zahl von Arbeitnehmern verdient so wenig, dass es nicht zum Leben reicht, und unten, in den Aldi-, Lidl- und Callcenter-Jobs mangelt es nicht nur an Einkommen und sozialer Sicherheit, sondern oft auch an menschenwürdiger Behandlung.

Ich war ein Anhänger des rot-grünen Projekts. Ich war glücklich, als die Ära Schröder-Fischer begann, aber in diesem Jahr erwäge ich, mich der bevorstehenden Verleihung der goldenen Ehrennadel für 40-jährige SPD-Mitgliedschaft durch Partei-Austritt zu entziehen, denn im Rückblick erscheint mir heute die Ära Schröder-Fischer als die Zeit, in der das Glück der kleinen Leute endete.

Viele aus der Generation von Schröder-Fischer, die während der »bewegten Zeiten« in sozialistischen und kommunistischen Studentenzirkeln höchst aktiv waren und heute leitende Stellungen in der Politik, der Wirtschaft und sogar bei Springer oder im Handelsblatt einnehmen, reagieren genervt, wenn man sie an ihre früheren Sprüche und Parolen erinnert. Lieber erzählen sie von ihrem Häuschen in der Toskana, vom eigenen Weinberg und selbst geerntetem Olivenöl. Man kann heute ganze Abende unter meinesgleichen mit Gesprächen über Essen und Trinken, Reisen, Ausstellungen und Konzerte verbringen, ohne ein Wort über Politik zu verlieren. Kommt die Rede doch einmal darauf, kann man sicher sein, dass irgendjemand besorgt fragt, warum die Jugend von heute so anpasserisch ist, so karrieregeil und so pragmatisch.

(Lesen Sie auf der nächsten Seite: "Meine Generation wird der Generation meiner Kinder demnächst wohl sagen müssen: Sorry, ihr werdet es einmal schlechter haben als wir und leider nicht nur materiell, sondern generell.")

Der Vorwurf stimmt, wie mir meine Tochter kürzlich erzählte. Sie hatte sich im letzten Herbst aktiv am Bildungsstreik der Studenten beteiligt und dabei erfahren: Ihre stärksten Gegner waren nicht die Politiker, sondern jene Mehrheit von Kommilitonen, die sich von den studentischen Protesten am Lernen gehindert fühlte. Diese Mehrheit will zügig die Uni hinter sich bringen und dann ganz schnell ganz viel Geld verdienen. Und das ist ja auch nötig. Sie müssen schließlich unsere Renten verdienen und tapfer kämpfen im globalen Krieg um Marktanteile, damit sie die Schuldenberge abtragen können, die meine Generation ihnen hinterlässt.

Meine Generation wird – wenn in den nächsten Jahren nichts grundlegend Neues geschieht – der Generation meiner Kinder demnächst wohl sagen müssen: Sorry, ihr werdet es einmal schlechter haben als wir und leider nicht nur materiell, sondern generell. So, wie es derzeit aussieht, liegt vor euch der Abstieg.

Haben wir versagt? Sind wir vom Wohlstand verwöhnte Egoisten, die nach dem Motto leben: Hauptsache, uns geht’s gut, und was nach uns kommt, kümmert uns nicht? Ja, jene Bankster, die das Geld anderer Leute verzockt haben und nun die Bürger, deren Kinder und Enkel dafür haftbar machen, haben diese Nach-mir-die-Sintflut-Haltung gezeigt.

Bei Schröder-Fischer und den anderen Politikern gebietet die Fairness zu sagen: Sie hatten kaum eine Wahl. Jede Regierung hätte tun müssen, was die rot-grüne getan hat, denn seit 1989 leben wir in einer anderen Welt. Die Mauer weg, der Kommunismus weg, die nationalen Grenzen zumindest fürs Kapital weg, das Internet da und eine Milliarde Chinesen da plus eine Milliarde Inder plus Lateinamerikaner, Russen, Osteuropäer – insgesamt knapp drei Milliarden neue Konkurrenten für die alten Industriegesellschaften Westeuropas. Unter diesen neuen Bedingungen wurde unser gemütlicher rheinischer Kapitalismus allmählich zermalmt, und dieser Prozess ist noch nicht zu Ende.

Die aufstrebenden neuen Akteure am Weltmarkt sind jung, hungrig, robust, und sie zeugen viele Kinder. Die absteigenden Akteure sind zynisch, alt, satt, pessimistisch und dankbar für jedes Geschäft, das sie mit den Chinesen und den anderen Aufsteigern noch machen dürfen. Kapitalbesitzer profitieren von diesem Aufstieg der anderen, darum sehen sie großzügig über die Verletzung der Menschenrechte, die Zerstörung der Umwelt und den globalen Raubbau hinweg. Arbeitsplatzbesitzer verlieren.

Die drei Milliarden Newcomer haben ein einfaches, einleuchtendes Ziel: Sie möchten so schnell wie möglich jenen Lebensstandard erreichen, der Amerikanern und Europäern als selbstverständlich erscheint. Alle wissen, dass unsere Erde das nicht aushalten wird, aber wer in Europa oder Amerika könnte sich anmaßen, den anderen unseren Way of Life zu verwehren? Wie sähe eine Alternative aus?

Je näher wir dem Abgrund kommen, desto hektischer blasen unsere Staatenlenker zu Gipfeln, um ihre Ratlosigkeit und Unfähigkeit mit Überlegenheitsgestus wegzulächeln. Aber immer mehr Menschen verstehen: Die Ergebnisse solcher Elefantenrunden erschöpfen sich in PR-Effekten für die Gipfel-Teilnehmer und dem Ausstoß der üblichen Gipfeltreffen-Kommuniquéphrasen, die keinen weiteren Zweck haben, als im Fernsehen wiedergekäut zu werden. Und das liegt nicht nur an der Unfähigkeit unserer Politiker, sondern auch – und hierin wurzelt meine Verzweiflung – an den Stammtischen, den Bürgern, den Wählern.

Sie waren es, die zweimal Tony Blair, zweimal George Bush und zweimal Silvio Berlusconi gewählt haben. Sie sind es, die sich Idioten in die Regierung wählen und anschließend über die Gewählten lästern. Sie sind es, die über den gescheiterten Klimagipfel lamentieren und sich anschließend ins Flugzeug setzen, um schnell noch mal auf den Malediven zu entspannen, bevor diese im Meer versinken.

Gibt es Hoffnung? Eigentlich nicht. Aber wider den Augenschein und wider alle Vernunft baue ich auf einen Satz Martin Luthers: Wenn ich wüsste, dass morgen die Welt untergeht, würde ich noch heute ein Apfelbäumchen pflanzen. Mein persönliches Apfelbäumchen erreichte mich vor drei Jahren in Form einer E-Mail meiner Tochter, die damals in den USA zur Schule ging. Sie berichtete von einem Aufsatz, der zu schreiben war über ihre Ziele, Hoffnungen und ihre Vorstellungen von Zukunft. Die wunderbare Tochter hatte geschrieben: »My dad and I will
change the world.« Ich mailte zurück: »Let’s be realistic. Try the impossible« (Che Guevara).

Es gibt auf der Welt viele Väter mit wunderbaren Töchtern, und Söhne haben sie, wie ich, auch. Es gibt in Deutschland Hunderttausende, die, vom Massenfernsehen unbemerkt, neue Lösungen ausprobieren, sich als Laien engagieren, sauberen Strom erzeugen, regionale Wirtschaftskreisläufe aufbauen, Alternativen entwickeln zur hochprofessionell-einfallslosen, konventionellen Machtwirtschaft der interessenverketteten Weltkaputtmacher. Es gibt diese Menschen in ganz Europa, auf der ganzen Welt.

Was fehlt, ist deren politische Organisation. Nur durch weltweit aufeinander abgestimmtes Handeln kann man den weltweit vernetzten Machtwirtschaftlern Paroli bieten. Das wäre eigentlich eine schöne Aufgabe für die jetzigen und künftigen Rentner meiner Generation, denn das können sie, das haben sie schon einmal gemacht vor rund vierzig Jahren. Sie wissen, wie man Themen auf die Straße und ins Fernsehen bringt, sie wissen, wie man Talkshows, Selbstbeweihräucherungs-Konferenzen und Gremiensitzungen sprengt und Macht-positionen erobert.

Sie könnten ihr Know-how reanimieren, wenn sie endlich ihre Golfschläger an Altenheime verschenkten, abließen von ihren senilen Rotwein-Orgien, ihrem öden Olivenölgeschwätz, ihrer CO2-trächtigen Reisesucht und wenn sie stattdessen heimkehrten aus ihren Rentner-Grüften in der Provence und der Toskana und an der jungen Generation wiedergutmachten, was sie an ihr verbrochen haben. Darum möchte ich den Angehörigen meiner Generation am liebsten zurufen: Nix Mallorca, hiergeblieben! Pensionisten-Müßiggang ist die achte Todsünde, es gibt hier noch einiges zu tun für euch. Es ist Zeit, sich mal wieder um unsere Demokratie zu kümmern.

Wenn Christian Nürnberger, 58, einem gleichaltrigen Ossi begegnet, denkt er immer mit einer Mischung aus Schauder und Dankbarkeit, dass es auch anders hätte kommen können: Es hätte Krieg geben können, als er vor vierzig Jahren bei der Bundeswehr war. Dann hätte er den Ossi vielleicht erschossen. Oder der ihn. Stattdessen feiern wir schon zum zwanzigsten Mal nacheinander die deutsche Einheit, und auch die verlief ohne Blutvergießen.