Dose voll

Spitzenköche sind immer panisch auf der Suche nach neuen Serviervorschlägen. Manche greifen nun zu alten Blechbüchsen.

Es könnte eine Szene aus einem alten Louis-de-Funès-Film sein: In einem Restaurant der gehobenen Kategorie bringt ein Kellner dem Gast einen Teller, auf dem nichts steht als eine Konservendose. Der Gast schaut irritiert, rollt mit den Augen und will sich gerade beschweren, als der Kellner – und hier endet die Analogie zur Filmkomödie – die Dose schwungvoll anhebt, sodass der Salat, der sich darunter verbirgt, auf den Teller fällt. »Aah«, sagt der Gast. »Kaiserschoten-Rucola-Salat mit Schnittlauchvinaigrette«, erklärt der Kellner.
Die Dose ist nur eines von vielen ungewöhnlichen Behältnissen, die in Restaurants gerade zu Geschirr umfunktioniert werden. Seit die »Jungen Wilden« die kulinarische Landschaft aufgemischt haben, seit das Kochen im Fernsehen als Performance zelebriert wird, experimentieren viele Küchenchefs nicht nur mit der Zubereitung von Speisen – sie verändern auch die Art, wie diese serviert werden. »Es gehört inzwischen dazu, dass man sich kreative Lösungen einfallen lässt«, bestätigt der Sterne-Koch Holger Stromberg, zusammen mit Stefan Marquard ein Pionier der neuen Servierideen.
Der Fantasie sind kaum Grenzen gesetzt. Die Suppe wird nicht mehr in Suppentassen serviert, sondern in Einweckgläsern, Whiskeytumblern oder Reagenzgläsern. Das Hauptgericht liegt auf Fliesen oder Schieferplatten, Tomatenmark-Dosen oder kleine Blumentöpfe dienen als Backformen für Brot oder Muffins und das Dessert kommt in einer alten Sardinenbüchse auf den Tisch. »Ich habe auch schon fertig gekochte Gerichte, zum Beispiel Kutteln in Champagner-sauce, vor dem Servieren in Vakuumbeutel eingeschweißt«, erzählt Stromberg. »Um ans Essen zu kommen, mussten die Gäste mit einer Schere die Beutel aufschneiden.«
Um mit Servierideen zu glänzen, ist oft ein großer Aufwand notwendig. Die Behältnisse müssen besorgt, getestet und, wie im Fall der Sardinendosen, penibel gereinigt werden, damit die Bayrisch Creme nicht im Abgang nach ranzigem Öl schmeckt. Manches, wie zum Beispiel die Blechumhüllung eines Teelichts, lässt sich nur einmal verwenden. Ambitionierte Köche können solche Details jedoch nicht mehr ignorieren, wollen sie sich in einer vom Wettbewerb geprägten Branche einen Namen machen. »Wer nicht als altmodisch gelten will, muss sich über neue Servierideen Gedanken machen«, sagt der Koch und Gastronomie-Berater Steffen Sonnenwald, der betont, dass einige dieser Einfälle sogar kulinarische Vorteile mit sich brächten. In einem schmalen Behältnis wie einem Glas bleiben Suppen länger warm als in einem Teller; füllt man Zutaten in ein Einweckglas und erhitzt dieses verschlossen im Wasserbad, ist zudem der Geschmack intensiver, da keine Aromen verloren gehen.

Die meisten der neuen Gefäße haben jedoch keinen Einfluss auf den Geschmack der Speisen, sondern dienen lediglich dazu, diese unterhaltsamer zu präsentieren. Mit einigen Jahrzehnten Verspätung vollzieht die Esskultur damit eine Entwicklung nach, die in der Kunst und Literatur schon wieder am Abklingen ist: die Hinwendung zum Pop. Während die Nouvelle Cuisine kleine Portionen kunstvoll auf großen Tellern arrangierte und damit die elitäre Ver-knappung deutlich machte, einen Grundgedanken der Hochkultur, versinnbildlichen die neuen Serviervorschläge die Lust an Witz, Spiel und Spektakel – wobei die Köche vor allem das altbekannte und längst kulturell akzeptierte Prinzip des Stilbruchs fruchtbar machen. Während das Sorbet in der Tunfischdose vor fünfzig Jahren noch als antibürgerlicher Akt im Geiste von Duchamp und Picasso hätte gedeutet werden können, sind die neuen Servierideen heute ein Beispiel für den Eintritt der Kochkunst in die Eventkultur.

Dass es dazu gekommen ist, erscheint weniger erstaunlich. Eher verwundert, dass sich das Essen so lange dem Drang widersetzen konnte, ein Teil des Showbusiness zu werden. Der natürliche, jedem Menschen eigene Instinkt – der Hunger – reicht nicht mehr aus, um den Gast eines Restaurants dazu zu bewegen, seinen Teller leer zu essen. Genau wie alle anderen Konsumprodukte muss auch das Essen Werbung für sich machen, muss trommeln und lärmen, will es beachtet werden.

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Wird das Essen damit zu einem weiteren kulturellen Bereich, in dem der schöne Schein, die Oberfläche, über die Substanz triumphiert? Eher nicht. Alle Köche betonen, dass man das Wichtigste – die Qualität der Speisen – niemals aus den Augen verlieren dürfe. In der Tat erscheint es schwer vorstellbar, dass die Gäste eines Nobelrestaurants eine versalzene Suppe genießen, nur weil sie in einem lustig blinkenden Reagenzglas zu Tisch gebracht wird. Ganz im Gegenteil werden komisch aufgetragene Speisen von den Gästen sogar besonders genau geprüft – und das ist durchaus im Sinne des Erfinders. Holger Stromberg erzählt, wie er in seiner Zeit als Küchenchef des »Mandarin Oriental« in München den Eindruck gewann, dass seine aufwändigen kulinarischen Kreationen von den Geschäftsleuten, die im Hotelrestaurant speisten, oft nicht wirklich zur Kenntnis genommen wurden. »Mit ei-ner ungewöhnlichen Servieridee konnte ich ihre Aufmerksamkeit wecken, denn dann haben die sich gewundert, was sie da kriegen und wie sie das essen sollen. Durch einen kleinen Schock kann man die Menschen positiv wachrütteln.«
Bleibt nur zu hoffen, dass aus dem kleinen Schock kein großer wird. Denn gelegentlich schießt ein Koch übers Ziel hinaus und serviert die Speisen in aufgeschnittenen Sunkist-Tetrapaks oder halbierten Cola-Dosen. Bei einem Buffet wurden letztens sogar Fleischlollis im Blumentopf ge-sichtet. Die hat dann aber auch keiner genommen.