Das Weihnachts-Küchen-Gelage

Wie friedlich die festtägliche Feier wird, hängt auch davon ab, wann man die erste Flasche öffnet. Unsere Autorin hat den idealen Zeitpunkt ermittelt.

Foto: Maurizio Di Iorio

In unserer Familie gibt es nicht besonders viele Traditionen. Die Frauen mit niedrigem Blutdruck – früher meine Großmutter, heute ich – pflegen die Routine des Piccolöchens für den Kreislauf, und auch meine Mutter steht auf Schaumwein. Sie ist einigermaßen stolz darauf, wie sie es damals als schickes Ü-Sechzig-Girl geschafft hat, ihre neue Brille mit den 700-Euro-Gläsern an der durchsichtigen Tür der Nachbarn zu zerlegen, weil sie mit Karacho und Champagner in der Birne dagegengebrettert ist. Als Zugeständnis an den italienischen Teil der Familie, meinen Mann und unseren Sohn, kam irgendwann dazu, dass es an Heiligabend Fisch gibt statt Roastbeef. Der Rest ist, nun ja, freies Spiel, aber mit einigen einfachen Regeln.

Am 24. Dezember bedeutet das: Mann und Sohn machen irgendwas mit Tannenbaum, meine Mutter und ich fangen gegen 11.30 Uhr an, das Essen vorzubereiten, allen anderen ist es über die Feiertage verboten, sich in der Küche blicken zu lassen. Für meinen Vater ist das nicht leicht zu ertragen, weil es ihm grundsätzlich widerstrebt, Dinge zu akzeptieren, die ihm irgendwas verbieten. Daher lungert er so gegen 12 Uhr, wenn die ersten Vorbereitungen abgeschlossen sind und an den Herdplatten über Marinaden oder Ähnliches geredet wird, heimlich vor dem Kühlschrank in der Vorratskammer herum und wartet auf diesen einen Satz aus der Küche: »Meinst du, der Fisch verträgt ein bisschen Alkohol?«

Das ist sein Moment. Er kommt mit einer geöffneten Flasche Champagner, Crémant oder Winzersekt in die Küche, meiner Mutter und mir wachsen Gläser aus den Händen, mein Vater schenkt ein und im Zehn-Minuten-Takt nach, bald ist die heilige Ernsthaftigkeit des Tages dahin, aber immerhin bringen wir mit der Kopfbrausenküchenparty um den Fisch alle verfügbaren Traditionen auf den kleinsten Nenner, was einer ehemaligen Katholikin wie mir als größtmögliche Annäherung an Weihnachten vorkommt.

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Spätestens gegen 14 Uhr sind meine Mutter und ich allerdings nicht mehr in der Lage, in solch langen Sätzen zu sprechen. Wir haben uns längst auf Gekicher verlegt, und in unseren Köpfen ist Flaschengärung. In unseren Herzen sind all die Ärgernisse des Alltags weit nach hinten gerutscht, der Groll des ablaufenden Jahres interessiert keine Sau mehr. Wie wir mit dem Fisch umgehen! Glitzerhändig, ausschweifend, Petersilie hier, Zitrone und Knoblauch da, komm, wir lassen es Semmelbrösel regnen, au ja, Spitzenidee.

Mein Vater behält währenddessen den Überblick. Mit schon leicht schief sitzender Lesebrille auf der Nase und ein paar Schweißperlen auf der Stirn läuft er durch die Küche und schenkt nach, glücklich, dabei sein zu dürfen. Hin und wieder schüttet er das gute Zeug nicht nur in uns, sondern auch in eine Pfanne oder einen Topf, wogegen meine Mutter und ich heftig protestieren, dabei ist der Fisch doch der Grund dafür, dass wir uns schon am Mittag so herrlich einen ins Regal stellen können. Aber befeuert durch den sprudelnden Schaumweinbrunnen, zu dem mein Vater geworden ist, siegt die Liebe, es sollen alle etwas abbekommen, auch der Fisch und somit auch der Rest der Familie.

Wenn der Teenager dann kurz nach der Bescherung diesen gelangweilten »Wie, das war alles?«-Blick aufsetzt, meine Mutter bedrohlich schwankend das Harry-Potter-Cluedo vom Schrank holt und ich die Fischgräten wegkippe, sind alle froh, dass am Ende nur die Kerzen und nicht die Zimmer brennen, wo doch die gesamte Küchencrew auch an diesem Heiligabend wieder tierisch einen im Dachstuhl hat. Friede sei mit euch.