Wenn sich zwei streiten, schweigt der dritte

Erst ärgert sich unser Leser bei einem Spaziergang über zwei junge Frauen, dann erlebt er, wie diese über die Maßen beschimpft werden. Soll er sich da einmischen?

Illustration: Serge Bloch

»Spaziergang, Park, ein sonniger Tag. Zwei junge Frauen sitzen auf der Lehne einer Parkbank und haben die Füße auf die Sitzfläche gestellt. Ihre Stiefel sind nass und schmutzig. Ein älteres Ehepaar kommt vorbei, der Mann beschimpft die beiden Frauen deswegen heftig und in völlig unangemessenem Ton, seine Frau zieht ihn weiter. Die beiden Frauen bleiben ungerührt. Mich ärgert das Verhalten der Frauen, da der nächste Bank­nutzer einen schmutzigen Po davontragen wird. Mich ärgert aber auch die überzogene und aggressive Schimpfkanonade des Mannes. Ich bin einfach weitergegangen. War das richtig?« Gerd A., Kassel

Neulich fiel mir mit heißem Schrecken auf, dass ich hier nie mit klugen Zitaten antworte. Es gibt doch so Leute, die für jede Gelegenheit ein passendes Zitat haben. Ich bewundere diese Leute sehr. Wo bewahren sie die Zitate alle auf? In einem Zettelkasten, nach Anlass geordnet? Ach, wäre ich doch so eine Person. Dann könnte ich jetzt flugs unter S wie Stiefel nachsehen, oder unter B wie Benimm – und Ihnen, zack, eine Antwort präsentieren, die meine persönliche Meinung durch Nennung eines berühmten Namens, wie sagen wir Fontane, Cicero oder zur Not Coco Chanel, eindrucksvoll untermauert. Ohne solch einen Zettelkasten bin ich auf mich allein gestellt.

Das heißt: nicht ganz. Im hintersten Winkel meines Gehirns habe ich ein Zitat für alle Gelegenheiten gespeichert, das ich sehr hübsch finde und an dieser Stelle ziehen möchte. Es stammt nicht von Buddha, obwohl das im Internet behauptet wird. Das Original, wer auch immer es in die Welt gesetzt hat, ist auf Englisch, ich habe es hier notdürftig ins Deutsche übersetzt. »Zuletzt zählen nur drei Dinge: wie sehr du geliebt hast, wie sanft du gelebt hast und mit wie viel Anstand du losgelassen hast, was nicht für dich bestimmt war.« Wie sehr Sie lieben, wissen wir nicht. Aber Sie leben sanft. Sie haben sich in eine Situation, die Sie nicht hätten verändern können, nicht eingemischt, sondern diese einfach nur beobachtet. Indem Sie nicht zu einer Eskalation beitrugen, sei es in diese oder in die andere Richtung, haben Sie aktiv an ihrer Deeskalation mitgewirkt. Das ist wunderschön. Nun ist es an der Zeit, am dritten Punkt zu arbeiten. Zwei junge Frauen saßen schlecht erzogen auf einer Bank, ein älterer Herr vergaß sich vor Wut selbst. Mit Ihnen hatte all das nichts zu tun. Sie haben alles richtig gemacht, nun lassen Sie es los.