Wenn der Physio rechte Parolen schwingt

Unser Leser schätzt seinen Therapeuten für seine Arbeit sehr. Seitdem dieser aber immer wieder seine extremen Ansichten äußert, kann er sich nicht mehr entspannen. Soll er ihn verlassen?

Illustration: Serge Bloch

»Ich verdanke einem Physiotherapeuten nachhaltige Befreiung von Schmerzen im Kreuz, beim Tennisarm und im Nacken. Weil ich seine Arbeit schätze, habe ich sein ununterbrochenes Reden bisher ignoriert. Seit Kurzem aber mischen sich poli­tische Ansichten hinein, die immer deutlicher einen braunen Touch offenbaren. Jüngst klärte er mich auf, dass wir alle ­immer noch Reichsbürger seien, unsere Politik den Flüchtlingen auf ›unsere Kosten‹ ein bequemes Leben garantiere und damit das eigene Volk verrate. Ich kann mich nicht mehr entspannen. Sollte ich ihn während meiner 20 Minuten konfrontieren? Ihn verlassen? Die Angelegenheit meiner Krankenkasse mit­teilen? Oder ihn für seine gute Arbeit loben und fragen, warum er so demokratieverächtlich redet?« Anonym, per Mail

Es spielt für den Erfolg Ihrer Behandlung sicherlich auch eine Rolle, in welcher psychischen Verfassung Sie die Sitzungen absolvieren. Wenn Sie dort 20 Minuten lang in innerer Abwehrhaltung zubringen, wirkt sich das mutmaßlich auch auf Ihren Körper aus. Denn negative Emotionen verursachen Stress, im Körper wird das sogenannte Stresshormon Cortisol ausgeschüttet, der Blutdruck steigt, möglicherweise spannen Sie vor lauter Antipathie Ihre Nackenmuskeln an oder beißen die Zähne zusammen. Sie werden jedenfalls sicher nicht beschwingt von diesen Terminen fortgehen, mit der schönen Erleichterung, die man verspürt, wenn einem geholfen werden konnte und man wieder zuversichtlicher in die Zukunft blickt, sondern mit dem Kopf voller grimmiger Gedanken.

Warum wollen Sie sich das weiter antun? Den Mann auf seine Gesinnung anzusprechen wird nichts bringen. Sie werden an seinen Ansichten nichts ändern. Diese sind übrigens nicht verboten, solange er nicht zu Straftaten aufruft. Es ist deshalb auch nicht sinnvoll, die Krankenkasse zu informieren. Natürlich können Sie mit ihm diskutieren, falls Ihnen das Spaß macht. Sie können ihn bei künftigen Terminen auch bitten zu schweigen. Sie müssen das noch nicht mal begründen, oder sagen Sie einfach, Sie würden sich dann besser entspannen. Aber Sie wissen ja inzwischen, was er dann alles nicht sagt. Das werden Sie während einer stillschweigenden Behandlung bestimmt nicht vergessen.

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Dieser Mann liegt Ihnen einfach nicht. Sie lassen sich halt nicht so gern von einem vor sich hin schimpfenden Reichsbürger durchkneten, und, hier die gute Nachricht: Das müssen Sie auch nicht. Nie wieder hinzu­gehen scheint mir die beste Lösung zu sein. Es wird sich schon jemand anderes finden, der Ihnen mindestens ebenso gut hilft, allein schon deshalb, weil diese Person in Ihnen nicht so negative Gefühle wachruft.