»Sollte ich mehr Fans haben? Auf jeden Fall!«

Die Songwriterin Rickie Lee Jones über ihre Sehnsucht nach Anerkennung, die goldenen Jahre der Musikindustrie, die destruktive Seite der Coolness und die Freuden des Unkrautjätens.

Rickie Lee Jones, 60, mit ihrem Hund in New Orleans – der ihr während des Interviews in den Fuß biss und verscheucht werden musste.

Foto: Zack Smith

Am Anfang schien es so, als steuere Rickie Lee Jones auf eine Karriere als Star zu: Ihr Debüt, 1979 erschienen, enthielt den Hit »Chuck E.'s In Love«, verkaufte sich prächtig und begeisterte alle Welt mit einer geschmackvollen Mischung aus Folk und Jazz – und mit Jones' reifem Songwriting, das die subkulturelle Sensibilität der Beat-Poeten mit der Beobachtungsgabe rebellischer Country-Troubadoure verband, ähnlich wie bei ihrem zwischenzeitlichen Partner Tom Waits. Die Freude war allerdings nur von kurzer Dauer, in den Achtzigern kämpfte Jones mit persönlichen Problemen, kommerziell konnte sie nie wieder an ihre Anfangsjahre anknüpfen. Aber sie ist immer noch da und veröffentlicht regelmäßig hervorragende Alben, die ihre große Musikalität und ihren ungewöhnlichen Blick auf die Welt erkennen lassen. Das gilt auch für ihre neues Werk Kicks, das am 7. Juni erschien und ausschließlich Coverversionen enthält. Vor einer Weile hatte ich Gelegenheit, mit Rickie Lee Jones in ihrer Wahlheimat New Orleans zu telefonieren.

Sie haben Ihre Platten lange bei großen Firmen veröffentlicht, für Ihr erstes Album gab es damals sogar einen Bieterwettbewerb, bei dem sich Warner Brothers den Zuschlag sicherte. Seitdem haben sich die geschäftlichen Rahmenbedingungen Ihrer Arbeit stark verändert, Kicks ist nun Resultat einer Crowdfunding-Kampagne. Wie denken Sie darüber?
Vor einigen Jahren habe ich bemerkt, dass ich von jeder neuen Platte immer ungefähr die gleiche Anzahl von Exemplaren verkaufe. Keiner Plattenfirma ist es gelungen, diese Decke zu durchbrechen, und mir kam die Erkenntnis, dass es finanziell wahrscheinlich lohnender für mich wäre, meine Platten selbst rauszubringen. Anfangs fühlte es sich schon etwas entwürdigend an, nicht mehr Teil der großen Maschine zu sein, aber inzwischen liebe ich es. In meinem Alter ist es gesünder, sich auch mit der geschäftlichen Seite zu befassen, statt nur ein Rockstar zu sein und diesen Aspekt zu ignorieren.

Was für Erinnerungen haben Sie an Ihre Zeit bei den großen Firmen? Sind Sie bei Warner Brothers gut behandelt worden?
Ja, außerordentlich gut. Nachdem sie mich unter Vertrag genommen hatten, war ich ihr Liebling. Ich bin jeden Tag in die Firmenzentrale gegangen und habe mich mit allen dort angefreundet. Einmal pro Woche habe ich mit Mo Ostin, dem Präsidenten von Warner Brothers, in seinem Büro zu Mittag gegessen. Während der ersten fünf Jahre meiner Karriere hatte ich keinen Manager – die Plattenfirma hat sich um mich gekümmert. Dann ist allerdings der Mann gestorben, der meine Karriere dort vorangetrieben hat, und ich hatte  keinen Ansprechpartner mehr. Ich habe noch das Album Pirates gemacht, danach habe ich Warner Brothers verlassen und bin zu Geffen gegangen. Dort war alles ganz anders und längst nicht so gut, wie ich leider sagen muss.

Meistgelesen diese Woche:

Ihr neues Album Kicks ist schon ihr viertes mit Coverversionen, wenn ich richtig gezählt habe. Was reizt Sie daran, die Songs Anderer zu singen?
Die Leute haben anfangs ein Bild von mir bekommen anhand von »Chuck E.'s In Love« und dem, was ich sonst noch geschrieben habe, zur gleichen Zeit habe ich aber »My Funny Valentine« und andere Jazz-Standards live gesungen. Es war mir immer wichtig, dass die Leute mich als Sängerin wahrnehmen, und das geht nur, wenn man keine Singer-Songwriterin ist. Hinzu kam, dass ich einen sehr ungewöhnlichen Blick auf die Songs habe, die ich singe. Manche singe ich so, wie man sie kennt, wie »Up The Lazy River«, andere, wie »The Weight« und »Sympathy For The Devil«, interpretiere ich vollkommen neu. Sie einfach nur akustisch zu spielen, unterstreicht die Rauheit der Texte. Ich mache es also, damit das Publikum eine neue Interpretation dieser Songs hören kann, ich mache es aber auch, weil es meinem Selbstbild entspricht – und schließlich, weil ich keine besonders produktive Songschreiberin bin. Es ist nun mal ein Geschäft – wenn drei Jahre vergangen sind und ich noch nichts Neues produziert habe, denke ich darüber nach, was ich veröffentlichen könnte, bis ich wieder genug eigene Songs habe. Warum ist es dann überhaupt wichtig, ob ich selbst etwas schreibe? Weil die Leute meine Songs mögen und auf neue hoffen, aber auch weil ich mit eigenen Songs das Geld verdiene, um zu überleben. Mit Coverversionen verdiene ich kaum etwas.

Denken Sie manchmal, ich habe da, diesen großartigen Song, den die Welt hören muss? Und sind Sie dann enttäuscht, wenn er doch nicht so große Wellen schlägt, wie Sie gehofft hatten?
Bis vor fünf Jahren habe ich so gedacht. Jetzt nicht mehr. Ich habe das Gefühl, dass die Fans, die ich habe, mein Werk in seiner Gesamtheit schätzen. Sollte ich mehr Fans haben? Auf jeden Fall! Denke ich, dass all das, was ich geleistet habe, ein größeres Publikum verdient hätte? Sicher! Bin ich überrascht darüber, dass noch niemand ein Buch geschrieben hat über den Einfluss von Rickie Lee Jones auf all die Sängerinnen, die nach ihr kamen? Das bin ich. Aber es ist okay. Es gab schon vor mir Musikerinnen und Musiker, die nicht ausreichend Anerkennung bekommen haben. Ein wenig mehr wäre aber schon schön.

»Mein Beruf reißt mich in den Himmel empor und lässt mich wieder fallen. Da brauche ich noch ein anderes Leben«

Auf Ihrem neuen Album covern Sie songs von Dean Martin und Louis Armstrong, aber auch von Elton John und Rockbands wie America und Bad Company. Welchen dieser Songs kennen Sie am längsten?
Die sind alle ungefähr in derselben Zeit zu mir gekommen, zwischen 1965 und 1970.

Der populärste Song auf dem Album dürfte »Mack The Knife« sein, in Deutschland bekannt als »Die Moritat von Mackie Messer«. War es schwierig, einen Song zu covern, von dem es bereits viele unterschiedliche Versionen gibt?
Ja, das war es. Ich konnte mich nicht entscheiden, ob ich es so wie Kurt Weill und Lotte Lenya machen sollte, als Akkordeon-Walzer, oder eher wie Bobby Darin. Wenn man genau hinhört, merkt man, dass in jeder Strophe ein Instrument hinzugefügt oder wieder weggelassen und auch das Metrum leicht verändert wird; so wollte ich Louis Armstrong, Lotte Lenya und Bobby Darin meine Anerkennung erweisen.

Daneben covern Sie Elton John, America und die Steve Miller Band. Ist das ein Anzeichen dafür, dass der Softrock der Siebziger nun auch den Klassiker-Status erreicht hat?
Ja, da haben Sie den Nagel auf den Kopf getroffen. Die sind nun auch alle ehrwürdig geworden.

Jemand wie Elton John ist ja weiterhin so präsent, dass man manchmal vergisst, wie lange es her ist, dass er seine ersten Hits hatte.
Für solche Zeitabläufe kriege ich nur dann einen Sinn, wenn ich mir sage, das ist so, wie wenn ich im Jahr 1970 Musik von jemand aus dem Jahr 1928 gehört hätte.

Man kennt Sie unter dem Spitznamen »The Duchess of Coolsville«. Fühlen Sie sich davon heute noch angesprochen?
Der stand zu erst im Time Magazine, in einem der ersten Artikel, der über mich erschienen ist. So wollten sie zum Ausdruck bringen, dass ich eine Jazzsängerin bin, viele Jazzmusiker wie Lady Day und Duke Ellkington hatten ja ähnliche Namen. Mir gefiel der Name gut, da ich Coolsville erfunden habe (Anmerkung: So heißt ein Song auf dem Debüt von Rickie Lee Jones), ist es doch angemessen, dass ich dort einen Platz am Hof habe. Bin ich jetzt noch in Coolsville? Privat eher weniger. Aber es ist ein Geschäft, und wenn die Leute mich so sehen, habe ich nichts dagegen. Ich muss mich von keinem Teil meiner Historie distanzieren, das gehört alles zu mir dazu.

Marianne Faithfull hat mir mal gesagt, dass der Drang, cool sein zu wollen, für sie inzwischen etwas Destruktives habe. »Hipness ist wie der Tod«, so waren ihre Worte. Sie waren in den Siebzigern und Achtzigern zusammen mit Künstlern wie Tom Waits und dem von Ihnen besungenen Chuck E. Weiss Teil der Boheme von Los Angeles, die von vielen Menschen angekultet wurde. Können Sie nachvollziehen, was Marianne Faithfull über die zerstörerische Seite der Coolness gesagt hat?
Absolut. Hipness ist immer eine Sache der In Crowd – wir sind cool, und du bist es nicht. Das hat eine Grausamkeit an sich, die mich an das Verhalten auf der High School erinnert. Weil Du nicht zu den beliebten Schülern gehört hast, hast du deine eigene kleine Gruppe von nicht so beliebten Kids gegründet – wo du dann auch wieder andere ausgeschlossen hast. Was mich betrifft, glaube ich aber, dass meine selbstzerstörerische Ader zwar in diesen Jahren eine Tendenz hatte, ins Unverhältnismäßige anzuwachsen, dass das – anders, als Marianne Faithfull sagt – aber nichts mit Hipness zu tun hatte. Oder vielleicht doch? Darüber muss ich nochmal nachdenken.

Inzwischen sind Sie eine begeisterte Gärtnerin. Das Gegengift zur Coolness?
In der Welt da draußen beurteilst du mich anhand des Kostüms, das ich trage, und der Art, wie ich die Straße hinuntergehe. Wenn ich aufhöre, die Straße entlang zu gehen und ein Kostüm zu tragen, sondern stattdessen in den Garten gehe und Unkraut jäte, bringt mich das in die Gegenwart, und ich bin ganz bei mir. Das ist eine andere Mentalität als rauszugehen und die Welt einzuladen, es mit mir aufzunehmen. Beim Gärtnern denkt man eher, ich habe jetzt genug von der Welt. Ich sitze jetzt einfach hier mit meinen Pflanzen, meinem Gemüse. Nicht jeder versteht das. Ich weiß nicht, wie Ihnen das geht, aber ich finde es sehr erfüllend, eine Beziehung zu anderen lebendigen Wesen zu haben. Es ist unglaublich, einer Pflanze beim Wachsen zuzusehen. Das Gärtnern und auch der Kontakt zu Tieren hilft mir dabei, die Bodenhaftung zu behalten. Mein Beruf reißt mich in den Himmel empor und lässt mich wieder fallen. Da brauche ich noch ein anderes Leben.