Dylan fühlt Veränderungen kommen

Mitte Januar kamen die ersten Gerüchte auf, dass Bob Dylan im Herbst ein neues Studioalbum aufgenommen habe. Viele Fans reagierten ungläubig, denn Modern Times, seine bisher letzte Platte, ist noch nicht einmal zweieinhalb Jahre alt. War Dylan einem Anfall ungebändigter Kreativität erlegen? Aber was für Musik, wenn es denn stimmte, war dabei herausgekommen? Handelte es sich hierbei etwa um das Hank-Williams-Projekt, von dem in informierten Kreisen schon länger die Rede war? (Dylan soll aus dem Nachlass von Hank Williams einige noch nicht vertonte Texte erhalten haben, mit der Aufgabe, daraus Lieder zu machen.) Nach und nach sickerten immer mehr Informationen durch. Dylans Manager Jeff Rosen sei mit dem Album im Gepäck quer durch Europa gereist, hieß es, und habe es den Topmanagern der Plattenfirma Sony vorgespielt; in London, Oslo und selbst in Berg am Laim (München) soll Rosen gesichtet worden sein. Gäste wie David Hidalgo von Los Lobos seien darauf zu hören, und es handele sich keineswegs um das Hank-Williams-Material, sondern um  zehn neue Dylan-Songs.

Die offizielle Bestätigung von Sony steht weiterhin aus, wird jedoch für diese Woche erwartet. Nun hat Bob Dylan schon oft die Erwartungen seiner Fans enttäuscht, dennoch deutet inzwischen alles darauf hin, dass das Album tatsächlich Ende April erscheinen wird. Laut einer norwegischen Website heißt es I Feel A Change Coming On, und auch die Namen einiger Songs werden bereits diskutiert: "Beyond Here Lies Nothing", "If You Ever Go To Houston", "This Dream Of You", "It's All Good" und "My Wife's Hometown".

Der einzige Journalist, der das Werk bisher hören durfte, scheint David Fricke vom Rolling Stone gewesen zu sein. Laut Fricke entstand das Album, als der französische Regisseur Olivier Dahan Dylan bat, einen Song zu seinem neuen Film beizusteuern. (Ich weiß, das klingt total ausgedacht.) Plötzlich von der Inspiration gepackt, nahm Dylan zügig zehn weitere Songs auf. Fricke: "The disc has the live-in-the-studio feel of Dylan's last two studio records, ... but with a seductive border-cafe feel (courtesy of the accordion on every track) and an emphasis on struggling-love songs."

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Ich finde, das klingt sehr vielversprechend! Da es aber noch einige Wochen dauern wird, bis wir Normalmenschen mit David Fricke gleichziehen, möchte ich zwei ganz andere Dylan-Neuerscheinungen vorstellen, allerdings keine offiziellen. Jede Woche kommen neue Dylan-Bootlegs heraus und hier den Überblick zu behalten, ist eine Aufgabe, der sich andere widmen sollen. Dennoch einige Worte zu einem überraschenden Mini-Trend: der Rückkehr des Vinyl-Bootlegs.

Schneller und kompletter als die offizielle Musikwirtschaft hatte die Bootleg-Branche einst Abschied vom Vinyl genommen. CDs sind billiger herzustellen, leichter und unauffälliger zu transportieren – in diesem klandestinen Gewerbe große Vorteile. Seit Anfang der Neunziger hatte ich keine Vinyl-Bootlegs mehr gesehen, nun sind sie wieder da. Die Dicke des Vinyls deutet darauf hin, dass sie nicht nur für den Sammlermarkt, sondern auch den audiophilen Markt bestimmt sind. Doch sagt gute Pressqualität ja noch nichts über die musikalische Qualität aus. Was ist also auf den beiden Dingern drauf?

Tell Tale Signs: 3rd & Bonus verdient in dieser Hinsicht keinerlei Respekt, denn das enthaltene Material ist in Gänze auch auf offiziellen Veröffentlichungen erhältlich. Auf den ersten drei Seiten der Doppel-LP findet man die komplette Bonus-CD der Tell Tale Signs-Deluxe-Edition; auf Seite vier folgen dann noch seit Jahren bekannten Dylan-Songs von diversen Filmsoundtracks. Ursache für diese Veröffentlichung war sicherlich die verfehlte Preispolitik von Sony; die Tell Tale Signs-Deluxe-Edition steht schließlich für 100 Euro in den Läden. Dennoch ist diese Doppel-LP eine ziemlich unsympathische Mogelpackung.

Anders sieht das bei Unravelled Tales aus. Dieser im vergangenen Jahr auf CD und nun auf Vinyl erschienene Konzertmitschnitt ist sicherlich das wichtigste Fundstück, das in den letzten Jahren aus dem Dylan-Archiv nach außen drang. Es handelt sich um Dylans Carnegie-Hall-Konzert vom 26. Oktober 1963 – eine von der ersten bis zur letzten Minute fantastische Aufnahme, die, wie Songauswahl und Vortrag preisgeben, zur Hochzeit von Dylans Engagement in der Bürgerrechtsbewegung entstand.

Schon der Opener zeigt, woher der Wind weht: "The Times They Are A-Changin'". Es handelt sich um die Uraufführung dieses epochalen Songs, der immer noch in Dylans Repertoire auftaucht – und in seinem Kopf herumspukt. 46 Jahre später greift er anscheinend denselben Gedanken wieder auf und nennt sein neues Album I Feel A Change Coming On. Darüber wird noch zu reden sein.