Das Leben des Anderen

30 Jahre lang wollte dieser Mann lieber ein anderer sein – und nannte sich Yusuf Islam. Jetzt hat er seinen Frieden mit seinem früheren Ego als Cat Stevens gemacht. Warum? Das soll er am besten selbst erklären – auf einer Tour im VW-Bus durch London

Mit Schlafzimmerblick und Hippie-Look verkaufte Cat Stevens in den späten Sechzigern und frühen Siebzigern Millionen von Alben mit sanfter, introspektiver Popmusik.

Foto: Getty Images

Mit der Faust drischt der Engländer auf die Hupe seines Kleinwagens. Wütend starrt er zu dem seltsamen Gefährt hinüber, das seine Einfahrt versperrt. Es ist ein VW-Bus, Baujahr 1965, bemalt mit einem »Peace«-Zeichen, einer Friedenstaube und dem Bild eines bärtigen jungen Mannes. Derselbe Mann, inzwischen alt geworden, sitzt hinterm Steuer und dreht gerade am Zündschlüssel. Aber ist er wirklich derselbe?

Früher hieß er Cat Stevens und war ein großer Star. Dann warf er seinen Namen weg wie einen abgenagten Apfelbutzen, nannte sich Yusuf Islam und kehrte der Popmusik den Rücken zu. Doch vor zwei Jahren war er plötzlich wieder da. Seit seinem Comeback-Album An Other Cup fragen sich viele: Wie viel Cat steckt noch in Yusuf?

Yusuf gibt Gas und fädelt in den Verkehr auf der Salusbury Road im Norden Londons ein. Er trägt einen schicken braunen Cordanzug und eine randlose Brille; Bart und Stirnlocken sind sorgfältig gestutzt. Normalerweise fährt er Mercedes, aber weil er auf dem Cover seines neuen Albums ein Symbol der Hippie-Ära zeigen wollte, weil es auf der Platte außerdem um Bewegung, Stillstand und Lebenswege geht, hat er sich den alten VW-Bus gekauft. An diesem Freitagnachmittag will er mit einigen Journalisten eine Rundfahrt durchs Zentrum von London machen, vorbei an wichtigen Wegmarken seiner Vergangenheit – falls der Wagen nicht unterwegs zusammenbricht. Hinten im Bus ist noch die Campingausrüstung des Vorbesitzers zu bewundern, das Autoradio ist allerdings brandneu. Yusuf schiebt seine neue CD Roadsinger (To Warm You Through The Night) hinein. Zwei akustische Gitarren klimpern, dann kommt der Gesang. »Saw a sign on the path / All seekers this way.« Ah, diese Stimme!

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Vor einigen Jahren hätten wohl nur wenige darauf gewettet, dass Yusuf Islam einmal ein Pop-Comeback gelingen würde. Durch die Hinwendung zum Propheten Mohammed hatte er seine Fan-Basis erfolgreich dezimiert; CDs mit islamischen Kinderliedern (A Is For Allah) ließen nicht darauf schließen, dass er es noch einmal im Pop versuchen würde. Doch als dann vor zwei Jahren wieder seine Stimme ertönte, als sie immer noch genauso klang wie in den Siebzigern, immer noch die Aura von Räucherstäbchen, Batiktüchern und Buddhafiguren verbreitete, da war klar, dass dieser Mann nichts Böses im Sinn hatte. So empfing ihn die Popwelt mit offenen Armen, und Yusuf konnte da anknüpfen, wo Cat Stevens einst aufgehört hatte. »Das ist eine unserer Schulen«, sagt er und deutet nach links. »Islamia Primary School« steht an dem Gebäude, aus dem gerade ein Schwarm kleiner Mädchen mit Kopftüchern herausrennt. In den Achtzigern gründete Yusuf mit den Erlösen seiner Erfolgsalben drei islamische Schulen, was ihm unter britischen Muslimen hohes Ansehen verschaffte. Die Öffentlichkeit war anfangs skeptisch, was da gelehrt würde, doch seit zehn Jahren bekommen die Schulen nun staatliche Unterstützung; auch Prinz Charles hat sie inzwischen besucht. Statt die Vorzüge der islamischen Erziehung anzupreisen, fängt Yusuf aber plötzlich an, von Jimi Hendrix zu erzählen. Jimi Hendrix?

Wie er den knatternden VW-Bus so durch Nord-London steuert, grauhaarig und mit mönchischer Gelassenheit, fällt es schwer, sich daran zu erinnern, dass dieser Mann schon mitmischte, als der Rock noch jung war. Im Dezember 1966 hatte er seinen ersten Hit, zwei Monate lang war er darauf mit der Jimi Hendrix Experience auf Tour; gemeinsam fuhr man nach Bremen zur TV-Sendung Beat-Club, wo Steve Marriott von den Small Faces Amok lief. »Das war haarig, sehr haarig«, erzählt er. »Alkohol, verwüstete Hotelzimmer, Randale im Flugzeug.«

Viele würden sich mit solchen Anekdoten brüsten, Yusuf hadert damit. Lange hat er über jene Momente in seinem Leben nachgedacht, in denen er gegen die Gebote des Islam verstieß. Und das waren nicht wenige. »Am Anfang war alles außer Kontrolle. Als junger Mann mit großem Antrieb und großem Erfolgshunger macht man Dinge, die nicht besonders klug sind«, sagt er und lacht etwas gequält. Was für eine Sünde mag ihm gerade durch den Kopf gehen?

In den Achtzigern scheint Yusuf versucht zu haben, durch besonders strenge Befolgung der Glaubensregeln für Cats Verfehlungen zu büßen. Dass man sich seiner Vergangenheit nicht ohne Weiteres entledigen kann, merkte er jedoch spätestens dann, als sein Sohn Mohammed vor einigen Jahren eine Gitarre ins Haus brachte und sie im Wohnzimmer liegen ließ. Anfang der Achtziger hatte Yusuf seine Sammlung erlesener Gitarren versteigern lassen, als Zeichen des radikalen Neubeginns. Nun stand er zögernd vor dem Instrument, das ihm einst den Weg an die Spitze geebnet hatte. »Ich habe auf ihr gespielt«, erzählt er, »und gemerkt, dass es keine besonders gute Gitarre war. Doch ich hatte sofort wieder eine enge Verbindung zu dem Instrument. Also habe ich mir eine neue, bessere Gitarre gekauft.«

Durch die St John’s Wood Road fahren wir auf den Regent’s Park zu, und Yusuf berichtet von seiner musikalischen Wiedergeburt. »Ich kann gar nicht mehr aufhören, Songs zu schreiben. Vor ein paar Tagen habe ich erst wieder einen verfasst; er ist mir einfach zugeflogen. Kaum ein Album habe ich so zügig aufgenommen wie Roadsinger. Der Titelsong saß schon beim ersten Versuch – das hatte ich seit vierzig Jahren nicht mehr geschafft!« Wenn sich sein Talent so leicht wiederbeleben ließ, ist es dann nicht bedauerlich, dass es dreißig Jahre lang brachlag? Der Muslim antwortet mit einem Zitat aus der Bibel, Buch Prediger, Kapitel 3: »Alles hat seine Zeit und jegliches Vornehmen unter dem Himmel seine Stunde.«

Über die Marylebone Road nähern wir uns dem Londoner West End, wo Steven Demetre Georgiou in den Fünfzigerjahren aufwuchs, als Sohn einer schwedischen Mutter und eines zypriotisch-griechischen Vaters. Die Eltern hatten mitten im Theaterviertel ein griechisches Restaurant namens »Moulin Rouge«, in das viele Tänzer und Schauspieler aus den nahen Musicalhäusern kamen; in den Clubs um die Ecke lief Blues, Jazz und Bluebeat, wie man den Ska damals nannte. »Es war großartig, zu dieser Zeit dort aufzuwachsen«, sagt Yusuf.

Er reißt das Steuer nach rechts und biegt in eine Straße ein, die schnurgerade nach Süden führt. Eben hat er noch vom Propheten Abraham und den gemeinsamen Wurzeln von Judentum, Christentum und Islam erzählt, nun ist er in Gedanken wieder bei seiner Jugend. »Dies ist die Gower Street. Die führt direkt zum Restaurant meines Vaters. Soho ist gleich um die Ecke, das war meine Spielwiese.« Er zeigt auf ein Eckhaus an der rechten Straßenseite. »Da drüben hat mein bester Freund Andrew gewohnt.« Auch auf einen Regenschirm-Laden – »der älteste der Welt« – und eine ehemalige Schokoladenfabrik weist er hin: »Mmmh! Den Geruch habe ich heute noch in der Nase.« Dann sind wir da. »Sehen Sie den schwarzen Laden? Das ist es.«

Das ehemalige Restaurant der Familie Georgiou steht an der Ecke New Oxford Street und Shaftesbury Avenue, ein großes Lokal in bester Lage. Bereits jetzt, am Nachmittag, sind die Bürgersteige voll, und vor den umliegenden Pubs stehen Trauben von Menschen; abends dürfte hier erst recht das Geschäft brummen, heute wie damals. »Mein Vater ist viel herumgekommen«, erzählt Yusuf. »Er ging in den Zwanzigerjahren von Zypern nach Amerika und hat dort viele Ideen aufgeschnappt. Unser Restaurant war im Art-déco-Stil eingerichtet, das war damals ziemlich fortschrittlich.« Er zeigt zu einem Fenster im ersten Stock hinauf. »Und dort oben war mein rotes Zimmer.«

In der privaten Mythologie des Yusuf Islam nimmt dieses Zimmer eine zentrale Rolle ein. Nach ersten Hits in den Jahren 1966 und 1967, nach Erfolgen und Exzessen, erkrankte Cat Stevens an Tuberkulose. Drei Monate verbrachte er im Krankenhaus, lange auf der Schwelle des Todes, dann zog er wieder bei seinen Eltern ein, in ein Zimmer, dessen Wände er purpurrot gestrichen hatte. In diesem Raum erholte er sich ein weiteres Jahr von der Krankheit, dachte über die Zukunft nach – und schrieb mindestens vierzig Songs, darunter Klassiker wie Moonshadow, Father And Son und Peace Train. Das rote Zimmer ist die Keimzelle seiner Karriere, und weil es so wichtig für ihn ist, hat er es nun in seinem Büro in Nord-London nachgebaut, komplett mit roten Wänden, Wasserpfeife und Hippie-Mobiliar. Ein weiterer Schritt zur Versöhnung von Yusuf und Cat; er könne sich sogar vorstellen, den abgelegten Namen bei Konzerten erneut zu verwenden, sagt er.

Aus seinem Handy kommt ein orientalischer Klingelton. »Salam alaikum, Dave«, sagt er. »Alles cool, wir sind gerade am Restaurant. Im Wagen stinkt’s ziemlich nach Benzin. Bis später, inschallah.« Hinter uns hupt jemand, und Yusuf kämpft mit der Gangschaltung. »Wo ist denn bloß der erste?«, murmelt er, dann steuert er den Bus ins Straßengewirr des Londoner West End. In etlichen dieser Häuser hat er etwas erlebt: »Dort habe ich meine erste Gitarre gekauft«, erzählt er. »Da drüben hatte der Vater eines Freundes ein Café. Und da ist der Spielsalon, wo ich immer geflippert habe.«

Als wir aus einer Gasse wieder auf die Shaftesbury Avenue einbiegen, deutet er auf ein großes Kino. »Das war das Saville Theatre, das damals Brian Epstein gehörte. Nach meinen ersten Hits bin ich dort mit Georgie Fame aufgetreten.« Auch Jimi Hendrix, Cream und die Bee Gees haben an diesem legendären Ort gespielt, die Beatles drehten dort einen Promo-Film für Hello Goodbye. Im Player läuft immer noch Yusufs neue CD, sanfte akustische Klänge perlen aus den Lautsprechern. »Time rolls on«, singt er, »and so we travel on.«

An den Häusern blinken die Markisen der großen Musical-Theater, und Yusuf gibt sich überraschend als Musical-Fan zu erkennen. Er erzählt, wie er sich als Teenager an den Bühneneingang schlich, um West Side Story zu hören, und wie er Anfang der Siebziger selbst lange an einem Musicalstoff gearbeitet habe. »Es ging um die russische Revolution, um Zar Nikolaus und seinen Sohn Alexej.« Was ist mit Lenin und Trotzki? »Die waren auch dabei! Wir haben sie irgendwie noch reingekriegt.«

Wie um die Ambitionen des jungen Cat doch noch zu erfüllen, arbeitet Yusuf erneut an einem Musical. »Moonshadow« soll es heißen und Songs aus allen Phasen von Cats/Yusufs Karriere enthalten. »Wir haben inzwischen ein wunderbares Skript«, erzählt er. »Es geht um einen jungen Mann, der in der Welt der Dunkelheit lebt und von einer Welt des Lichts träumt, in der niemand arbeiten muss.« Als er das sagt, muss er selbst lachen.

Auf der Tottenham Court Road verlassen wir das West End und fahren wieder Richtung Norden. »Ich zeige Ihnen noch meine Moschee«, sagt Yusuf. Er fährt östlich am Regent’s Park vorbei, die goldene Kuppel der Londoner Zentralmoschee ist von Weitem zu erkennen. »Ich bin jetzt in einer Position, in der ich meine in jahrelangen Studien erworbenen Kenntnisse, meine Lebensgeschichte, nutzen kann, um einige Dinge zu erklären«, sagt er. »Zum Beispiel über den Islam, dessen Kern ich glücklicherweise gefunden habe, ehe die Bomben losgingen.«

Aber inzwischen ist klar, dass es bei seiner Rückkehr in den Pop nicht nur um den Glauben des alten Yusuf geht, sondern auch um das, was den wilden Cat bewegte. »Wir werden niemals wirklich älter, oder? Irgendwie fühle ich mich, als sei ich immer noch 17.«