Das Beste aus aller Welt

Sieh mal an, nun hat der Papst also »in begründeten Einzelfällen« den Gebrauch von Kondomen gestattet. Noch mehr Schutz verspricht allerdings die Hülle aus Eigenschleim, die ein australischer Fisch abzusondern pflegt.

In der Zeitung las ich von den neuen Kondom-Richtlinien des Papstes, der Gummi-Gebrauch zukünftig »in begründeten Einzelfällen« gestattet. Wobei ich mich natürlich sofort fragte, was mit »Einzelfall« gemeint ist: der jeweils einzelne Geschlechtsverkehr? Oder die Person, die denselben ausübt? Anders gefragt: Muss der Katholik für jeden und vor jedem Akt eine kirchenbehördliche Einzelfall-Genehmigung einholen? (Wobei sich hier ja die Frage stellt, wie lange im Voraus der Antrag zu stellen ist und ob es zum Beispiel für dringende Einzelfälle ein Eilverfahren gibt.) Oder ist als Einzelfall der Mensch zu sehen, der für sich – bei entsprechend guter Begründung – eine Art Dauergenehmigung erwirken kann, einen Präservativ-Führerschein?

Ich begann, mir die Ausgestaltung dieses Verwaltungsverfahrens vorzustellen, da sah ich im Tagesspiegel eine Karikatur des sehr großartigen Klaus Stuttmann. Er hatte einen Priester auf der Kanzel gezeichnet, der seiner Gemeinde roten Gesichts verkündet: »Nach ernstem Abwägen und in gottesgefälligem Ermessen beschloss die Diözese, dass folgende Mitglieder unserer Gemeinde als begründete Einzelfälle gelten und ab sofort Kondome benutzen dürfen: Maier, Wolfgang, Schröder, Peter und Müller, Klaus-Dieter …«

Wo wir über das Einhüllen von Körperteilen reden… Ein paar Leute der Universität Queensland in Australien haben jetzt entdeckt, wie sich Kugelkopf-Papageifische nachts gegen blutsaugende Parasiten schützen: Sie umhüllen sich selbst, bevor sie einschlafen, jedes Mal komplett mit einer dicken Schleimschicht, die zum Beispiel Wasserasseln daran hindert, an den Fischen herumzunuckeln. Von keiner einzigen anderen Tierart ist so etwas bekannt. Und man wagt auch gar nicht, sich vorzustellen, wie es wäre, das Beispiel machte Schule, und zum Beispiel Kühe würden sich auf der Weide komplett selbst einschleimen, um die Fliegen abzuwehren. Oder der Mensch säße in schönen Sommern, wenn Mücken ihn bedrängen, in einer schützenden Hülle aus Eigenschleim auf der Terrasse oder im Biergarten und läge, derart verpackt, später im Bett, sparte sich so das Moskitonetz, aber auch das Kondom, denn wer möchte ein solch gallertüberzogenes Wesen noch herzlich umarmen?

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Wir wären einsame Schleimer, unberührbare Einzelfälle.Übrigens habe ich noch nie erlebt, dass in meiner unmittelbaren Umgebung so viele Häuser vor Beginn des Winters hinter Gerüsten und einer Art von Ganzgebäudekondomen aus Plastikplanen verschwanden – warum? Es hat wahrscheinlich mit Zuschüssen zu tun, die man für die Wärmedämmung von Fassaden und den Ausbau von Dachgeschossen bekommt. Oder ist es eine Art vorbeugende Verhütung, was die Städtefilmer von Google betrifft, gewissermaßen die Verpixelung von Häusern schon im Hier und Jetzt, nicht erst im Internet?

Jedenfalls ist das noch nicht alles: Die Bauwut in der Stadt wird mir gerade ein bisschen unheimlich. In meiner Straße haben sie die Bürgersteige in diesem Jahr dreimal aufgerissen, um immer wieder irgendetwas – Kabel, Rohre – im Untergrund zu vergraben. In der Innenstadt wühlen sie in größtem Stil überall herum, alte Kaufhäuser werden abgerissen, die Untergeschosse ganzer Plätze werden neu gestaltet, und wo früher ein Zeitungshaus stand, wühlen Maschinen seit Jahren ziellos im Erdreich. Überall entstehen frische Löcher, aus denen Männer mit leuchtend orangeroten Westen in großen Scharen nach oben drängen, sie reißen wütend den Asphalt der Straßenzüge auf, eine ganze, immer weiter wachsende Armee aus dem Untergrund macht sich an der Stadt zu schaffen.

Das sind nicht, wie früher, begründete Einzelfälle von Bautätigkeit; das ist eine Massenbewegung. Im Erdinneren scheint seit langer Zeit ein troglodytisches Heer auf seinen Einsatzbefehl gewartet zu haben, nun ist seine Zeit gekommen, es beginnt unsere Welt einzureißen, wie viele kommen denn da noch, welche Massen warten in der Tiefe, was haben sie vor, wo liegt ihr Ziel?

Illustration: Dirk Schmidt