SZ-Magazin: Frau Müller, können Sie einen Bullen kastrieren?
Ina Müller: Ja. Und ich kann auch einer Kuh beim Kalben helfen. Ich bin ein Bauernhofkind.
Stimmt es, dass Sie als Kind an Hospitalismus litten?
Ja. Bis ich 13 war, gab es keine Nacht, in der ich nicht im Bett so lange hin und her schaukelte, bis ich bewusstlos zur Seite wegkippte. Das muss ein tragisches Bild gewesen sein, aber mir war halt immer so unglaublich langweilig. Meine Eltern haben sich wenig mit uns Kindern beschäftigt. Ihnen war wichtig, dass wir die Hosen nicht voll hatten, dass uns der Rotz nicht lief und dass wir still waren, wenn die Nachrichten kamen. Wir waren keine Kuschelfamilie, in der körperliche Nähe angesagt war.
Sie haben vier Schwestern. Hatten Sie Ihr eigenes Zimmer?
Nein. Wir Kinder schliefen zu fünft in einem Raum, aufgeteilt auf drei Betten. Das waren noch diese alten Oma-Hochzeitsbetten. Wir waren Laufgitterkinder. Morgens wurden wir aus dem Bett gehoben, gewickelt, und dann ab ins Laufgitter. Das war schon sehr öde, denn es passierte ja nichts auf diesen Bauernhöfen. Manchmal hörte man einen Trecker, oder der Hund lief am Laufgitter vorbei. Unser Blockbuster hieß Hausschlachtung. Als ich mit vier Jahren in den Kindergarten kam, brach die schönste Zeit meiner Kindheit an. Endlich passierte was.
Wie waren Sie mit 15?
Viel mehr Kind als die Girls heute. Es war unvorstellbar für mich, eine Nylonstrumpfhose anzuziehen oder Nagellack zu benutzen. Das hätte ich als peinlich und eklig sexy empfunden. Vor der Schule half ich oft beim Melken. Danach musste ich schnell Haare waschen, weil die nach Kuh stanken. Das Wasser war eiskalt, weil die Kälber das warme Wasser bekamen. Im Winter froren meine langen Haare auf dem Weg zur Bushaltestelle zu einem Eisfladen. Passend dazu hörte ich auch noch uncoole Musik von Angelo Branduardi, Hermann van Veen und Barclay James Harvest. Ich trug weiße Netzhandschuhe und in meinem Boris-Becker-Stirnband steckte eine lange Feder. Ich fürchte, ich war die Einzige, die das extrem modern fand.
Nach der Schule arbeiteten Sie zehn Jahre lang in Apotheken.
Ich mochte gern mit diesem weißen Kittel rumlaufen und mag Apotheken bis heute. Die riechen so gut. Nicht dreckig sein, gut riechen und immer warmes Wasser: das Paradies.
Peter Ustinov sagte einmal über sich: »Indem einem fast alles zur Pointe wird, hält man die Welt auf sicherem Abstand. Ich bin ein scheuer und schüchterner Mensch, der sich versteckt, indem er die Flucht nach vorn antritt.« Trifft das auch auf Sie zu?
Fast alle Humoristen behaupten, sie seien als Kind entweder dick oder hässlich gewesen, und beginnen ihre Lebensgeschichten mit dem Satz: »Ich war ja mal Messdiener …« Bei mir dagegen kamen die Komplexe erst nach der Pubertät. Ich war ein verklemmter Spätzünder. Flirten war mir peinlich. Dass ich mit 18 Sex hatte, hat sich zufällig so ergeben. Es hätte auch gut erst mit 25 passieren können.
Woody Allen meint: »Hochkomische Menschen fürchten sich tief in ihrem Inneren vor Sex. Das Lachen ist für sie der Schutzmechanismus gegen Sex.« Richtig?
Wahrscheinlich ist das so. Ich reagiere seit jeher auf flirtige Situationen mit Humor – immer in der Hoffnung, dann keinen Sex haben zu müssen. Klappt aber zum Glück nicht immer. Ich finde, Humor darf beim Sex nicht fehlen. Was sonst passiert, kann man in Pornofilmen beobachten. Das sieht meist tragisch aus und hört sich albern an. Ich könnte Sex ohne Humor nicht ernst nehmen, auch meinen eigenen nicht. Außerdem ist sich totzulachen ja auch eine Form von Orgasmus. Man müsste mal ausprobieren, ob es geht, sich gleichzeitig oben- und untenrum totzulachen.
Ist Witz die Kultivierung einer Aggression, wie Freud behauptete?
Der zynische, bösartige Witz vielleicht. Meine Witze tänzeln fluffig auf der Gürtellinie rum und fallen manchmal runter. Damit könnte Freud nichts anfangen.
Wann verlässt Sie Ihr Humor?
Wenn beim Joggen ein Hund auf mich losgeht und das Herrchen schreit: »Sie dürfen nicht stehenbleiben! Das mag er nicht.« Oder wenn ich beim Schlangestehen den Atem fremder Menschen in meinem Nacken spüre. Da trete ich nach hinten aus.
Erzählen Sie gern Witze?
Ja. Mein momentaner Lieblingswitz geht so: Wohin geht Pinocchio, wenn er erkältet ist? – Zum Holz-Nasen-Ohrenarzt. Darf ich noch einen? Wie heißt das Geschlechtsteil vom Elefanten? – Dicktiergerät.
Gehören Sie zu den Naturen, die dreißig, vierzig Witze am Stück erzählen können?
Überhaupt nicht. Jürgen von der Lippe kann das richtig gut oder, was ich nicht gedacht hätte, Olli Dittrich. Er mag das nicht, aber er kann es. Als Fips Asmussen in meiner Sendung war, habe ich mich zur Vorbereitung durch alte Kassetten von ihm gehört. Nach dreißig Minuten wurde ich aggressiv und dann wurde mir schlecht. Zu viele Witze verursachen Übelkeit. Das ist wie zu viel Alkohol.
Warum gibt niemand zu, dass er keinen Humor hat?
Alle Frauen wollen einen Mann mit Humor. Da sagt doch keiner freiwillig: »Du, Uschi, isch habe Jeeeld, isch sehe jut aus, aber isch bin leider völlich humorlos.« Da kickt der sich doch selber ins Off.
»Für die nächste Runde habe ich mir vorgenommen, einfach mal nichts zu fragen.«
Der Sabbelbüdel
Die vierte von fünf Töchtern einer Bauernfamilie wuchs im niedersächsischen Köhlen auf und arbeitete zehn Jahre lang in Apotheken, bevor sie 1994 mit Edda Schnittgart das Kabarett-Duo Queen Bee gründete. Mit ihren plattdeutschen Lese- und Gesangsprogrammen machte Müller zunächst in Norddeutschland Karriere. Seit 2007 moderiert sie die Late-Night-Show »Inas Nacht«, für die sie mit dem Deutschen Fernsehpreis und dem Grimme-Preis ausgezeichnet wurde. Die 47-Jährige lebt im Hamburger Stadtteil St. Georg und ist mit dem Popsänger Johannes Oerding liiert.
Macht Humor Frauen attraktiv, oder meiden Männer diesen Typ?
Ich habe es sehr gut geschafft, Männer, die mich nicht beachtet haben, durch Humor auf mich aufmerksam zu machen. In wissenschaftlichen Studien wurde aber festgestellt, dass der Mann die Witze lieber selber machen möchte und es sexy findet, wenn die Frau dann lacht. Das ist für mich natürlich eine Katastrophe.
Worüber machen Sie keine Witze?
Da fällt mir grad nichts ein.
Was entgegnen Sie Menschen, die Ihr Verhalten in Inas Nacht ordinär finden?
Sofort umschalten! Und in irgendeinem Forum lauthals die Fernsehgebühren zurückfordern.
Wie viele Promille trinken Sie sich in der Sendung an?
Das variiert von null bis 1,2. Es gibt geheime Zeichen, mit denen ich Frau Müller am Tresen klarmache, ob ich ein normales Bier möchte oder alkoholfreies. Wenn ich null Promille habe, war ich in der Sendung davor so betrunken, dass ich zwei Tage später nicht schon wieder Alkohol trinken kann.
Wie viel vertragen Sie?
Manchmal kann ich zehn Bier trinken, ohne dass ich umfalle. Manchmal reichen drei, und ich bin hin. Je mehr Ausdauersport ich mache, umso mehr vertrage ich. Leider vergesse ich das Wassertrinken zwischendurch. Ich würde mir so wünschen, dass mir Wasser so gut schmeckt wie Bier. Aber es schmeckt mir halt überhaupt nicht.
Sind Sie auch privat ein Fragensteller?
Ja. Allerdings oft aus Not. Wenn ich mit fremden Menschen in einer Runde sitze, versuche ich die gehemmte Stimmung durch Fragen aufzuwärmen. Es fragt aber nie mal einer was zurück. Vielleicht bin ich zu distanzlos oder meine Fragen sind zu privat. Für die nächste Runde habe ich mir vorgenommen, einfach mal nichts zu fragen. Das wird ein Spaß.
Warum kommen nur Frauen auf die Idee, ihren Partnern Fragen zu stellen wie: »Wenn es mich nicht gäbe, mit welcher meiner Freundinnen würdest du schlafen?«
Manchmal denke ich, ich bin vielleicht gar keine richtige Frau, weil ich meinem Freund nie so eine Frage stellen würde. Da kann man ja auch gleich noch fragen, an wen er denn beim Onanieren so denkt. Egal was er antwortet, es kann nur falsch sein. Wahrscheinlich stellen Frauen solche Fragen auch nicht, um die Wahrheit zu erfahren, sondern um den Humor und die Kreativität ihres Partners zu testen.
Haben Männer seit der Mutterfrage »Hast du schon Pipi gemacht?« eine Abneigung gegen Frauen, die Fragen stellen?
Ich glaube, die heute 30-Jährigen reden gerne mit Frauen. Sie sind nicht mehr so verklemmt und konfliktscheu und stellen sogar selber Fragen. Das liegt daran, dass ihre Mütter mit Kolle und den Stones und der Gleichberechtigungsfrage aufgewachsen sind und deshalb mit ihren Jungs mehr als nur die Pipi-Frage besprochen haben.
Wer stellt im Fernsehen die besten Fragen?
Bettina Böttinger.
Ihr Freund, der Popsänger Johannes Oerding, ist 16 Jahre jünger als Sie. Kommen Sie damit klar, dass Ihr Körper 47 Jahre hinter sich hat?
Ja, aber ich habe meine Tricks – zum Beispiel wie man die Bettdecke so drapiert, dass nur das Positive rausguckt.
Warum halten Sie sich für »nicht zusammenwohnkompatibel«?
Das Elend beginnt in dem Moment, wo man zusammenzieht. Wenn du eine gemeinsame Höhle beziehst, entromantisiert sich die Beziehung. Wie soll ich denn mit jemand noch Sex haben wollen, dessen Unterhose ich waschen muss? Es glaubt immer keiner, aber ich möchte nie wieder mit einem Mann, den ich liebe, eine Wohnung teilen. Ich habe ein Lied, das heißt: Ich ziehe aus, weil ich dich liebe. Ich brauche asoziale Tage ohne Reden und Verständnis, aber mit Chips und Horrorfilme-Gucken bis in die Nacht in meinem Frottee-Nachthemd mit dem Bärchen drauf. Ich möchte mir nie wieder wünschen, dass der andere doch bitte einfach mal weggeht.
Einer Illustrierten erzählten Sie einmal von Ihrer Sehnsucht, »einfach weggeheiratet zu werden«.
Bei uns im Dorf waren die Unverheirateten immer die Übriggebliebenen. Das war das schlimmste Schicksal. Das hat sich wohl in meine Hirnwindungen eingefräst.
Was hat den größeren therapeutischen Wert: Lachen oder Weinen?
Ich mag beides. Und wenn nichts mehr geht, kann man immer noch Horrorfilme gucken. Wissenschaftler haben festgestellt, dass Weinen nur dann hilft, wenn man am Ende eine Lösung für das Problem hat. Einfach nur heulen bringt nichts außer dicke Augen und ’ne rote Nase.
Haben Sie eine Lieblingssendung?
Ja, Visite. Das ist wie die verfilmte Apotheken Umschau. Es geht um interessante Krankheitsbilder wie Knochenschmerzen, zu denen Ärzte ein bisschen was erzählen. Manchmal schreibe ich mir deren Namen auf und denke, wenn du mal einen Arzt brauchst, dann den.
Sind Frauen für Frauen genauso rätselhaft wie für Männer?
Nein. Frauen sind doch in Sekunden zu durchschauen. Nach zwei Minuten habe ich sie abgescannt und weiß genau: Typ A, B oder C.
Sie gehen jedes Jahr auf Konzerttournee. Haben Sie Groupies?
Nein. Der Popptourismus von Popstars ist ein Männerphänomen. Es gibt Männer, die mich bei Konzerten anschmachten, aber am Ende liegen wir nicht gemeinsam im Hotelbett. Das fände ich auch äußerst unappetitlich.
Haben Sie Sex zu Ihrer eigenen Musik?
Nein. Ich höre beim Sex gar keine Musik, weil ich es als musikalischer Mensch sehr schwierig finde, einen Sexrhythmus zu finden, während ein bestimmter Beat läuft. Es gibt Menschen, die zu Musik joggen oder Sex machen können. Ich kann beides nicht.
Sie sagten einmal: »Von eigenen Kindern bin ich so weit entfernt wie Afrika von Norderney.« Mögen Kinder Sie?
Nicht alle. Ich kann mit Kindern nicht gut umgehen, weil ich ständig zu ironisch bin. Damit können Kinder nichts anfangen. Mir fehlen wohl auch die Nerven für Kinder. Ich hab es gerne ruhig. Das hängt mit meiner Kindheit zusammen. Es war immer überall laut. Ich verstehe auch nicht, warum Eltern immer so laut mit ihren Kindern reden, als wären die Kleinen schwerhörig. Weil die Kinder so weit unten sind und die Eltern so weit oben? Die Vorstellung, selber ein Kind zu kriegen, hat mir immer Angst gemacht, schon die Geburt an sich und das ganze Drumherum. Und dann wird der arme Mann auch noch in den Kreißsaal geschleppt, muss seine Frau leiden sehen, sich den verklebten Säugling auf der schwitzenden, abgekämpften Mutter ansehen und das alles toll finden. Das kann doch keiner wollen! Meine Mama hat immer gesagt: »Wenn ihr Kinder kriegt, geh ich mit in den Kreißsaal. Der Mann hat da nichts zu suchen. Wenn alles gewaschen ist, kann er reinkommen, und ihr sagt: ›Es hat auch gar nicht weh getan.‹«
Gibt es Bereiche, wo Sie heute sagen, da bin ich nah am Wasser gebaut?
Ja. Mittlerweile empfinde ich Empathie für Sachen, die mich früher nicht berührt haben. Dem völlig zerzausten Punker-Eichhörnchen vor meiner Balkontür kaufe ich Bio-Haselnüsse. Das wäre mir früher nicht passiert. Wenn keine Nüsse da sind, stemmt das Eichhörnchen die Ärmchen in die Seite und guckt mich fies an. Ich denke dann, es gehört vielleicht zu einer Drückerkolonne und kriegt richtig Ärger, wenn es ohne Nüsse in die Zentrale zurückkommt. Dann lege ich schnell neue Nüsse raus. Jedenfalls habe ich keine Angst mehr vor Alterseinsamkeit. Ich habe ja mein Eichhörnchen.
Fotos: Gianni Occhipinti