Das Phänomen Böhmermann: Den Bart hat nur er - nie seine Witze.
Neulich hat sich der Unterhaltungschef des ZDF über Jan Böhmermann geäußert, und was er sagte, hätte man fast als Aussicht auf eine berufliche Perspektive in seinem Sender missverstehen können. Er nannte den 33-jährigen Moderator einen »großartigen Kollegen, Produzenten und Künstler«. Und über seine Sendung Neo Magazin, die im kleinen Schwes-tersender des ZDF läuft, sagte er: »Wenn das Format bei ZDFneo mal eine lange Strecke durchhält, auf der etwas aufgebaut werden kann, dann ist der Schritt ins Hauptprogramm ein möglicher.« Man kann die angestrengt ungefähre Konditionalkonstruktion eigentlich nur so interpretieren: Dazu wird es nie kommen.
Das ist blöd für Jan Böhmermann, viel blöder aber noch für das ZDF. Und so ist dies nicht nur die Geschichte von jemandem, der im vergangenen Jahr von der Presse zum »Hoffnungsträger« des deutschen Fernsehens erklärt wurde. Sondern auch die, wie das deutsche Fernsehen solche Hoffnungen immer wieder enttäuscht.
Das Neo Magazin ist die vielleicht verschwenderischste Sendung im deutschen Fernsehen: die größte Mühe für das kleinste Publikum. In guten Wochen enthält sie schon in den Eröffnungsszenen mehr Ideen und Leidenschaft als anderswo ganze Programmabende. Opulent inszenierte Musical- oder Filmparodien. Oder ein animiertes Riesenwimmelbild des Illustrators Christoph Hoppenbrock, das vor Anspielungen auf Inspirationsquellen für die böhmermannsche Fernsehunterhaltung aus allen Nähten platzt.
Böhmermann ist eigentlich kein Nachwuchstalent mehr. Er hat als Moderator und Komiker bei mehreren ARD-Radiosendern gearbeitet, bekam eine kleine WDR-Show, verlud Menschen auf RTL, arbeitete für Harald Schmidt, macht Comedy in Büchern, mit Hörspielen, auf Bühnen. In diesen Tagen tritt er wieder mit einem Solo-Programm auf, es heißt Schlimmer als Jan Böhmermann, außerdem moderiert er jeden Sonntag eine Radiosendung im RBB mit Olli Schulz.
Die Hoffnungsträgerwerdung begann vor zwei Jahren mit der talk-showkritischen Talkshow Roche & Böhmermann auf ZDFkultur, die wenige sahen und viele liebten. Anfang 2013 war seine Co-Moderatorin Charlotte Roche sehr plötzlich ausgestiegen, nachdem beim Deutschen Fernsehpreis die Produzenten, aber nicht die Moderatoren ausgezeichnet worden waren. Was blieb, war die Zusammenarbeit von Böhmermann mit der Produktionsfirma Bildundtonfabrik.
Ihr Studio liegt im Kölner Stadtteil Ehrenfeld inmitten einiger unansehnlicher Gewerbegrundstücke. Böhmermann sitzt im Kapuzenpulli im Besprechungszimmer, das wie die Wohnküche einer WG wirkt. Ein lustiges Motto für die nächste Sendung wird gesucht. Kann man schon eine Pointe wagen über Philip Seymour Hoffman, der zwei Tage zuvor gestorben ist? »Er wurde mit Naddel im Arm im Badezimmer gefunden«, geht der Witz, über den sich Böhmermann die ganze Zeit schon amüsiert. »Tragödie plus Zeit ist Komödie«, zitiert er Woody Allen. »Fahr mal mit der Zeitmaschine eine Woche in die Zukunft und sag, ob es da schon lustig ist.«
Böhmermann hat bei Harald Schmidt gelernt. Er beherrscht das ganze Repertoire der Uneigentlichkeit. Jedes Scheitern lässt sich mit einer ironischen Geste als Gelingen verkaufen. »Aber man kommt nicht ewig mit der Ironie weiter«, sagt er, »irgendwann ist Schluss.«
Im Februar war die Sängerin Judith Holofernes zu Gast im Neo Magazin. Also produzierte das Team eine neue Version ihrer Single Liebe Teil 2, in der sie beschreibt, wie ein erschöpftes Paar gemeinsam die Kinder erzieht. Böhmermann tauchte in dem Musikvideo als genervter Ehemann auf und sang ihr dazwischen, was nicht nur lustig aussah, sondern einen ernsten Widerspruch bildete zu dem, was er für eine lebensferne Illusion privilegierter Berlin-Mitte-Eltern hält. Bierdosenwerfend brachte er da Zeilen unter wie: »Deine schlechte Laune schiebe ich der Emanzipation in die Schuhe.«
Er scheut auch nicht den Nahkampf. Als David Garrett zu Gast im Neo Magazin war und einen schrecklich peinlichen Trailer für seinen Film Der Teufelsgeiger über Paganini mitbrachte, drehte Böhmermann seine eigene Version: »Der Satanstrianglist«, in der er sich über den Trailer und Garrett und sein ganzes Gehabe lustig machte. Während der ihm gegenübersaß.
Für einen vermeintlichen Dauerironiker ist erstaunlich vieles von dem, was er macht, echt, und von dem, was er sagt, wahr. Dass Sky Du Mont bei ihm nur einen sehr kurzen Auftritt hatte, den er überwiegend damit verbrachte, über die Produktionsfirma zu schimpfen, die es nicht schaffe, Zeitpläne einzuhalten, lag daran, dass es genau so war. Andererseits ist so ein Mini-Mini-Eklat mit einem verärgerten Sky Du Mont mindestens so unterhaltsam wie ein Fernsehgespräch mit Sky Du Mont über, sagen wir, Sky Du Mont.
Ein Pingpong-Spiel voller selbstreferenzieller Anspielungen.
Jan Böhmermann
Der gebürtige Bremer, 33, hat als Moderator schon für den WDR, RTL und diverse Radiosender gearbeitet. 2005 erfand Böhmermann die Parodie-Serie Lukas’ Tagebuch, wegen der Lukas Podolski den WDR verklagte. Darin prägte Böhmermann auch den Satz »Fußball ist wie Schach - nur ohne Würfel!«, der von etlichen Medien für ein echtes Podolski-Zitat gehalten wurde.
Das müsste das erste Gebot der Fernsehunterhaltung sein: Du sollst nicht langweilen. Tatsächlich wird es in Deutschland regelmäßig von Showbeamten außer Kraft gesetzt, deren erste Regel lautet: Du sollst nicht auffallen.
Jan Böhmermann hat einen Traum, er will eine Late-Night-Show im ZDF moderieren, sehr spät, nach Mitternacht, nach Markus Lanz. Aber das ZDF tut sich schon schwer mit dem sehr erfüllbar wirkenden Wunsch Böhmermanns, seine wöchentliche Sendung vielleicht um 0:30 Uhr im Hauptprogramm zu wiederholen. Allein dadurch ließe sich die Zahl der Zuschauer, ein paar Zehntausend, vervielfachen.
Es muss langsam was passieren. Böhmermann ist 33. Es gibt genügend mahnende Beispiele von »Talenten«, die in Jugend- und Innovations-Biotopen vor sich hin arbeiten, mit jährlich abnehmender Aussicht, es jemals ins Hauptprogramm zu schaffen. Die Frage treibt eine ganze Moderatoren- und Entertainer-Generation um, Olli Schulz, Joko Winterscheidt, Klaas Heufer-Umlauf: »Langsam versuchen wir, diese ›Talent‹-Haut abzuschütteln und zu gucken, wo finden wir unseren Platz? Uns eint der Wille, unsere Sache zu machen, die anders ist als das, was sonst im Fernsehen läuft.«
Er ist dabei der vielleicht stärkste Repräsentant des post-schmidtschen Unterhaltungszeitalters. Sie alle sind mit schlauem, ironischen Fernsehen, wie Harald Schmidt es gesprägt hat, aufgewachsen. Sie kennen die alten Fernsehrituale, die sie natürlich nicht einfach befolgen wollen – und sie kennen die ironische Brechung dieser Rituale. Nun nehmen sie beides als Basis und entwickeln daraus etwas eigenes: Fernsehen, das schlau und selbstbezüglich ist, sich selbst und die alten Regeln zitiert, das sich aber auch vor den echten Gefühlen, die das Medium produzieren kann, nicht scheut.
Sie spielen sich quer über Sendergrenzen hinweg die Bälle zu. Vor Kurzem haben Joko und Klaas den knorrigen Neo Magazin-Ansager William Cohn in ihren Circus HalliGalli auf ProSieben gelockt und Böhmermann vorgeführt. Böhmermann schleuste dafür jemanden mit versteckter Kamera bei Circus HalliGalli ein und revanchierte sich mit einer Genre-genau inszenierten Enthüllungsreportagenparodie über die Umstände bei der »werbefinanzierten Proletenshow«. Ein Pingpong-Spiel voller selbstreferenzieller Anspielungen.
Mit Olli Schulz moderiert Böhmermann sonntagnachmittags auf Radio Eins im RBB die Sendung Sanft & sorgfältig. Zwei Stunden lang veranstalten die beiden einen Marathon des Dummquatschens, in dem es um nichts geht als darum, mit unernst gemeinten Floskeln und abwegigen Gedankensprüngen eine Unterhaltung zu simulieren. Ein großer, sehr eigener Spaß. Sie würden das gern an andere ARD-Radiowellen verkaufen oder sogar ins Fernsehen bringen. Aber auch das gestaltet sich schwierig.
Sie sind einfach nicht glatt, nicht anschmiegsam, nicht schubladentauglich genug. ARD und ZDF machen Fernsehunterhaltung, die zeitgemäß verpackt ist, aber in ihrer Biederkeit die Fünfzigerjahre atmet. Oliver Fuchs, der Unterhaltungschef des ZDF, soll über Böhmermann intern auch gesagt haben, er sei nicht schlecht, aber man müsse ihm »die Spitze« nehmen. Er hat ihn zum Start von Neo Magazin nicht einmal als Gast zu Wetten, dass . . ? geholt, das Markus Lanz gerade entgleitet. Er holte aber Johannes B. Kerner zurück ins ZDF. Fuchs meint, dass Kerner ein Moderator sei, den die Leute gern in ihr Wohnzimmer lassen. Er bezweifle, ob das auch für Böhmermann gelte.
Böhmermann ist kein Kerner oder Lanz, und auch kein Pflaume und kein Pilawa, die Shows wie Dalli Dalli und Einer wird gewinnen im Ersten präsentieren. Aber das Problem ist nicht, dass er nicht so ist wie die. Das Problem ist, dass die öffentlich-rechtlichen Unterhaltungs-Verantwortlichen glauben, dass das ein Problem sei.
Bleibt Böhmermann also der ewige Hoffnungsträger? Er selbst übersetzt das Wort mit: »Der Einzige, der es versucht.« Nämlich: als junger Mensch im öffentlich-rechtlichen Fernsehen zeitgemäße Unterhaltung zu machen. Dafür könnten er und das Neo Magazin in zwei Wochen mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet werden. Aber womöglich würde das auch nur das Gefühl bei den Senderchefs zementieren, es mit einem massenuntauglichen Nischenprodukt zu tun zu haben. Oder wie Böhmermann sagt: »Das brächte uns unserem Ziel, eines Tages Wetten, dass . . ? abzulösen, nicht gerade näher.«
Fotos: Thomas Rabsch