Das letzte Wort zum Klopapier

Was tun, wenn man beim Kampf um die Klorolle leer ausgegangen ist? Rettung verspricht ein Wohnmöbel, das leider in immer weniger Haushalten vorhanden ist.

Illustration: Dirk Schmidt

In Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausens 1669 erschienenem Simplicius Simplicissimus, dem ersten Abenteuer­roman deutscher Sprache, greift der Held im elften Kapitel des sechsten Buches, auf dem Abort sitzend, zu einem der neben ihm hängenden Papierbögen, als das Papier zu sprechen beginnt, ja, den Undank der Welt zu beklagen anhebt: Ach, so hört unser Mann es reden, »warum hat mich nit gleich in meiner Jugend ein Fink oder Goll aufgefressen, und alsobald Dreck aus mir gemacht (…), ehe daß ich einem solchen Landfahrer den Hintern hätt wischen und meinen endlichen Untergang im Scheißhaus nehmen müssen (…)?«

Es stellt sich heraus, dass dieses Papier sein Leben erzählen will, das als Hanfsamen begann, der zur Pflanze wurde: Faserhanf, den man verarbeitete, verspann, der zu einem Hemd wurde, das im Alter als Windel diente, die wiederum schließlich in einer Papiermühle landete. Das dort produzierte Papier wurde als Notizheft verwendet, das Notiz­papier als Packpapier und dieses endlich »an diesen Ort kondemniert, den Lohn meiner dem menschlichen Geschlecht treu geleisteten Dienste mit meinem endlichen Untergang und Verderben zu empfangen«. So weit der sprechende Klopapierbogen.

Vielleicht lohnt sich die Simplicissimus-Lektüre heute insofern wieder, als einem klar wird, welch unvergleichlicher Luxus uns selbstverständlich geworden ist, wenn wir in einem Drogeriemarkt fünflagiges, seidenweiches, sagenhaft saugfähiges, fein gekrepptes »Hygiene-Tissue« erwerben, falls … tja … falls es noch welches gibt … Denn eine der Außer­ordentlichkeiten dieser Tage ist die Tatsache, dass zu den ersten Artikeln, die Mangelware wurden, Klopapier gehörte. Seltsam, auf den ersten Blick, nicht wahr?

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Amüsiert erzählt man sich, wie man bei dm, Rossmann oder Müller vor leeren Regalen stand, wie in Australien sich drei Frauen um einige Rollen in einem Supermarktwagen balgten, und wie übrigens schon 1973 in ­Japan während der Ölkrise eine bis heute ­legendäre Toilettenpapier-Panik ausbrach: Die Menschen stürmten die Läden! 2014 forderte das dortige Industrieministerium die Landesbewohner auf, immer genug Rollen für einen Monat daheim zu haben, mit folgendem Argument: Wenn bei den in Japan üblichen Naturkatastrophen das Klopapier ausgehe, fingen die Menschen an, Papier­taschentücher zu benutzen, die wiederum Toiletten verstopften – so entstehe in ohnehin prekärer Lage ein vermeidbares Hygiene­problem.

Mag sein, dass auch die tief im Unbewussten verwurzelte Furcht vor Pest und Cholera uns im Seuchenfall Klopapier horten lässt, dazu der irgendwie befriedigende Gedanke: Ich habe in einer Lage, in der man weitgehend machtlos scheint, doch etwas getan. Ich bin gewappnet, jedenfalls auf dem Klo, das als Rückzugsort in Zeiten der Isolation mit ­weiterer Bedeutung, wie sagt man?, aufge­laden ist.

Grimmelshausen zu lesen, mag aber jene, die bei der Jagd nach »Hakle Traumweich«, »Sanft & Sicher Classic« oder »ja! Sensitiv« leer ausgegangen sind, daran erinnern, dass es Alternativen gibt. Es müssen nicht die ­eigenen Tagebücher sein, auch nicht die Blätter der Pestwurz, die bereits den Kelten in der Bronzezeit Wischdienste leisteten, weshalb die Pflanze in Bayern bis heute als Arschwurz bekannt ist. Ein gut gefülltes Bücherregal, das ohnehin in Quarantäne-Phasen (und überhaupt) rettend ist, weil stille Lektüre vor Viren und Ängsten da draußen schützt, ist auch in Hygiene­fragen nicht zu verachten. Kein Kindle vermag jenen letzten Dienst zu leisten, den ein pa­pierener Förster Wohlleben oder mancher Nobelpreisträger nun bieten könnte. Muss ich an Handkes Versuch über den Stillen Ort (Suhrkamp 2012) erinnern?

Das Abonnement einer gedruckten Tages­zeitung ist in diesen Wochen ebenfalls aus verschiedensten Gründen unbedingt zu empfehlen …