Reggio Emilia. Das Vollkommenste an diesem Wochenende war die Zeit. Sie blieb, sie dauerte. Sie erfüllte die Piazza del Duomo mit einem satten Wohlklang aus schnatternden Marktfrauen, knatternden Mopeds und auf den Pflastersteinen klackenden Absätzen, unter ihnen nicht wenige Highheels. Denn der Domplatz liegt im Zentrum einer Stadt, in der eine Modedynastie leise, aber unübersehbar Regie führt. Reggio Emilia ist nicht nur Geburtsstadt der italienischen Flagge und des Parmesans, sondern seit 1951 auch Sitz von Max Mara, Europas größtem Konzern für Damenmode. Sein Eigentümer, die Familie Maramotti, trägt wesentlich dazu bei, dass die Zeit in Reggio Emilia ganz bei sich und doch gegenwärtig bleibt. Die Maramottis lieben Kunst und pflegen Gastfreundschaft. Nur wenige Schritte vom Domplatz entfernt bieten sie im familieneigenen Hotel Albergo delle Notarie 34 geräumige Zimmer und Suiten mit hohen Decken und hellem Parkett. Ähnlich bodenständigen Glamour strahlt das Restaurant CaffÈ Arti E Mestieri in der Via Emilia aus, das in einem alten Palazzo mit üppig grün umranktem Innenhof liegt. Auf dem Weg zu den köstlichsten Gnocchi di patate tartufatti der Region darf der Gourmet allerdings auf keinen Fall die Antica Salumeria in der Via Broletto versäumen, in der sich riesige Würste, Schinken und bauchige Parmesanlaibe zu einem Stillleben verbinden, das die Magensäfte in Aufruhr versetzt. Wer gut gegessen hat, sollte sich auch Schönheit gönnen. Der ideale Verdauungsspaziergang führt zunächst in den Lesesaal der Panizzi-Bibliothek unter das aufregend farbstrudelnde und wirbelnde Deckengemälde Whirls and Twirls des amerikanischen Künstlers Sol LeWitt. Es entstand im Auftrag der leidenschaftlichen Kunstsammler-Familie, ebenso wie die Skulptur Less Than von Robert Morris im Chiostro Piccolo des Dominikanerklosters. Mitten auf dem Kreuzgang beugt sich die bronzene Plastik, die Morris schuf, unter dem Gewicht einer schweren Amphore. Auf den ersten Blick scheint sie den Sisyphusgang durchs Leben zu symbolisieren, doch wer sein Ohr nah an das Gefäß hält, der hört von innen verfremdete Stimmen. Sie scheinen ein aufbauendes Wort zu flüstern: »Hoffnung«.