Nachricht in Abwesenheit

Auch nach dem Tod der Ehefrau unseres Lesers ist auf dem gemeinsamen Anrufbeantworter noch ihre Stimme zu hören. Sollte er die Aufnahme löschen, um Anrufer nicht zu verwirren?

Illustration: Serge Bloch

»Meine Frau ist Anfang des Jahres verstorben. Auf unserem Anrufbeantworter haben wir vor Längerem zusammen eine Ansage aufgenommen – im Stile von Teufelchen und Engelchen. Ich verwende sie heute noch. Müsste ich die Ansage nicht ändern? Sie erweckt doch den Eindruck, als würde meine Frau noch leben. Mit dem Löschen der Ansage geht andererseits die Stimme meiner Frau unwiederbringlich verloren. Sie ist mir aber wichtig.« Manfred Z., Fürstenzell

Ihre Frage hat mich so gerührt. Bitte löschen Sie die Ansage nicht. Es ist doch völlig egal, was andere denken. Es ist doch viel wichtiger, wie es Ihnen geht. Und wenn es Ihnen guttut, die Stimme Ihrer Frau zu hören, dann ist das Grund genug, niemals daran zu rühren, oder jedenfalls nicht, solange das eben so ist.

Es gibt keine Aufnahme der Stimme meiner Großmutter. Sie ist seit bald dreißig Jahren tot. Manchmal weht mich eine ­Erinnerung an, und ich weiß plötzlich wieder ganz genau, wie sie klang, und dann denke ich ganz schnell an etwas anderes, aus Angst, wenn ich zu stark daran festhalte, löst sie sich auf und wird für ­immer verschwinden. Irgendwann mal habe ich ein Interview mit dem Regisseur George Tabori gemacht, der inzwischen auch nicht mehr lebt. Er stammte aus Budapest, wie meine Großmutter. Sein Deutsch war perfekt, wie ihres, und hatte den gleichen Akzent: leicht wiegend und auf eine freundliche Weise ungeduldig, wie Deutsch eben klingt, wenn man jedes Wort auf der ersten Silbe betont. Und sie hatten die gleiche Stimmlage: Bass. Während des Gesprächs war es mir nicht aufgefallen, denn mir saß ja ganz deutlich George Tabori gegenüber mit seinem schönen weißen Schnurrbart, aber als ich später das Band abspielte, hörte ich sie endlich wieder, nach so vielen Jahren, die Stimme meiner Großmutter. Und auf einmal war alles wieder da. Ihr Geruch (»Jicky« von Guerlain und Zigarettenrauch). Ihre eleganten langen Finger (eine brennende Zigarette dazwischen). Ihr häufigster Gesichtsausdruck (eine Mischung aus unendlich gelangweilt und genervt). Ich habe das Band aufbewahrt. Ganz ­kostbar liegt es in einer Schublade, es ist eine Minikassette, zu der ich leider kein Abspielgerät mehr habe, heute ist ja alles ­digital. Und trotzdem.

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