Was ich über Ärzte gelernt habe

Unsere Kolumnistin war schon zehn Jahre krank, bevor sie zum ersten Mal an einen Mediziner geriet, der sich wirklich mit ihr und ihrem Leiden beschäftigte. Heute kann sie sagen, was gute und schlechte Ärzte unterscheidet und wie viel Mediziner selbst mit kleinsten Äußerungen bewirken oder kaputt machen können.

Illustration: Eleni Kalorkoti

Wer Migräne hat, sollte aufgeklärt sein über die verschiedenen Möglichkeiten der Behandlung, über Entspannungsverfahren, Ausdauersport, Achtsamkeit und darüber, dass Migräne eben nicht nur Kopfschmerzen bedeutet. Es gibt noch viel mehr Dinge, die man als Betroffener wissen sollte, etwa, dass Migräne derzeit nicht heilbar ist und im Verlauf der Erkrankung ständig ihr Gesicht ändert. Geradezu erschreckend empfinde ich in der Rückschau, dass ich mir all diese Informationen über meine Erkrankung selbst angeeignet habe.

Ich erinnere mich daran, wie es war, als ich die Migräne-Diagnose das erste Mal erhielt – und da hatte ich bereits lange Zeit Anfälle und war bei einigen Ärzten gewesen. Der Neurologe startete auf seinem Laptop eine Präsentation über ein neues Antidepressivum. Ohne erklärende Worte, was dieses bei Kopfschmerzen und Migräne bewirken soll, ohne den Hinweis, dass dies eine Standardtherapie wäre und ohne eine Erklärung, was genau Migräne eigentlich ist. Damals wirkte es auf mich, als hielte der Arzt meine Beschwerden für reine Einbildung und wolle mich mit diesem Mittel wieder »auf Spur« bringen.

Ich erinnere mich an den Besuch in einem Schmerzzentrum. Monatelang hatte ich auf den Termin gewartet, in der Hoffnung, auf wahre Koryphäen zu treffen. Ich saß jedoch nur einer gelangweilten Ärztin mit starker Erkältung gegenüber (ich verstehe das zu einem gewissen Grad, ich bin auch unleidlich, wenn ich erkältet bin), die auf meine Antwort, ich würde bereits Entspannungsverfahren anwenden und Krankengymnastik bekommen, lapidar meinte, was ich dann hier wolle, sie könne mir auch nicht helfen. Mir wurde keine einzige Therapie angeboten. Sie hatte mich nicht einmal angefasst, geschweige denn eine ordentliche Anamnese vorgenommen. Damals wusste ich immer noch nicht viel über meine Beschwerden und ihr lag nichts daran, mir zu mehr Erkenntnis zu verhelfen.

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Ich erinnere mich an so viele Ärzte, die meine Halswirbelsäule als Wurzel allen Übels betrachteten (das liegt natürlich erst einmal nahe, denn alles begann mit einem Schleudertrauma) und mich einrenkten, ohne mich zuvor zu röntgen oder andere Bilder zu machen (hier weiß ich noch gut von einem Vorfall, als ich mich nach einer solchen Behandlung auf der Heimfahrt im Auto übergeben musste und mein Lebensgefährte panisch den Arzt anrief, der daraufhin ebenfalls panisch wurde – zum Glück ist jedoch kein Schaden geblieben). Heute darf niemand mehr an meine Halswirbelsäule.

Erst als ich schon sieben Jahre krank war, ordnete ein Arzt meine Ganzkörperschmerzen einer Hormonstörung zu und behandelte mich entsprechend

Ich traf auch auf sehr freundliche, verständnisvolle, hilfsbereite Ärzte. Ich wurde genadelt, geschröpft, von Parasiten befreit, Vergiftungen wurden diagnostiziert, ein schiefes Becken, Skoliose, falscher Biss, schlechte Haltung, es wurden Eppstein-Barr-Viren entdeckt und der Verdacht auf Borreliose geäußert. Ich befand mich in einem endlosen Kreislauf, denn es gab immer noch einen Blutwert, der nicht passte, einen Mineralstoff, der aufgefüllt werden konnte, eine Diagnose und noch eine Diagnose und noch eine Diagnose und für jede Diagnose auch eine Behandlungsmöglichkeit, die aber nie Besserung brachte. Dass ein großer Teil meiner unerklärlichen Symptome wie Kreislaufprobleme, Schwindel, schlechtes Sehen auf einem Auge, Überempfindlichkeit und vieles mehr auch Teil eines Migräneanfalls sein konnte, das wusste ich nicht.

Erst als ich schon sieben Jahre krank war, ordnete ein Arzt meine Ganzkörperschmerzen einer Hormonstörung zu und behandelte mich entsprechend – innerhalb weniger Monate ging es mir und geht es mir bis heute deutlich besser.

Mitte 2018 fand ich dann auf der Suche nach Hilfe für meine Endometriose, die nach einer OP langsam zurückzukehren drohte, eine Hormonklinik – und der Arzt, der mir zugeteilt wurde, hatte eine Kassenzulassung, die Motivation mir trotz meiner verschlungenen Vorgeschichte zu helfen und nahm sich Zeit (in meiner Welt kommt das einem Hauptgewinn gleich). Durch seine Behandlung sind meine Endometriose-Beschwerden weiter zurückgegangen und in Folge auch in kleinen Schritten die zum Zeitpunkt der Periode auftretenden, teilweise zehn Tage am Stück anhaltenden, besonders schweren Migräneanfälle.

Durch ein Online-Forum, in dem Betroffene sich austauschen, lernte ich zunehmend mehr über Migräne und meine Symptome. Ich fand heraus, dass viele schwer Betroffene einen ähnlich langen Weg hinter sich haben und oft erst nach vielen Jahren überhaupt eine eindeutige Diagnose für ihre Kopfschmerzerkrankungen erhalten. Das Forum gab mir so viel Wissen und neuen Auftrieb. Ich führte eine sechswöchige Medikamentenpause durch, denn ich nahm offensichtlich zu oft Schmerzmittel – keiner der mich bis dato behandelnden Ärzte machte mich in all den Jahren je darauf aufmerksam.

Die Betreiberin des Forums machte mir klar, dass ich ein Recht habe auf gute Behandlung und Medikamente als Kassenleistung. Sie half mir, einen guten Neurologen zu finden, der nur ein paar Kilometer von mir entfernt an einem Klinikum praktiziert. 

Ich weiß noch, dass ich sehr aufgeregt war, denn vielleicht hätte er keine Lust auf eine schwierige Patientin, der nichts half, vielleicht hielt er mich für zu gesund aussehend, um wirklich so schwer betroffen zu sein, vielleicht hatte er für so simple Erkrankungen wie Migräne keine Zeit, wo er doch ein neurologisches Zentrum leitete.

Aber er nahm sich lange Zeit, untersuchte mich, nahm mich ernst und erstellte einen Plan, wie weiter vorzugehen war. Er kannte die Bandbreite dieser Erkrankung und klärte mich auf über Behandlungen, seine Absichten und Medikamente. Er fragte mich zu meiner Ernährung, zu Bewegung und Entspannung und zu meinem Alltag. Es war das erste Mal nach fast zehn Jahren Schmerzen, dass ein Arztgespräch mit einem Neurologen auf diese Art verlief. 

Ich habe nun das Gefühl, nicht mehr allein zu sein, was diesen Teil meines Lebens angeht. Ich fühle mich endlich gut aufgestellt, ich habe inzwischen Ärzte um mich, die mir anerkannte Therapien zukommen lassen und mich regelmäßig ansehen.

Ich hätte mir sicher viel Zeit, Geld und auch Leid ersparen können, wenn ich manche Dinge früher gewusst hätte. Ich habe aufgehört, nach der Ursache für die Grunderkrankung Migräne zu suchen (und mir nicht die Halswirbelsäule versteifen lassen, wie auch schon vorgeschlagen). Ich bilde mich weiter in Bezug auf meine Erkrankungen, ich tausche mich mit Betroffenen aus und ich spreche mit meinen Ärzten. Ich kann nur schlecht vermitteln, welche Erleichterung dieser aktuelle Zustand für mich ist. Auch habe ich die Angst vor Arztbesuchen komplett verloren.

Wenn man krank ist und nicht weiß, was man hat, kann das Nicht-Wissen so zermürbend sein wie der Schmerz selbst. Ich fühlte mich zeitweise verletzlich wie nie zuvor, wenn ich in diesen Wartezimmern saß und nichts anderes tat als warten, während mir das Herz bis zum Hals klopfte und ich einstudierte, was genau ich sagen wollte, um nicht hypochondrisch, verrückt, wehleidig oder – genauso wenig hilfreich – zu gesund zu wirken. Ich glaube vielen Ärzten ist nicht bewusst, welche Macht ihre Worte haben oder wie tief verletzend bestimmte Bemerkungen sein können.

Die Menschen, die ich kenne, gehen nicht aus Langeweile zum Arzt oder um sich wichtig zu machen, sondern sie leiden und haben Angst. Sie suchen Hilfe. Wer krank ist, ist abhängig – von Krankenkassen, von medizinischem Personal, von gutem Willen. Und er muss darauf vertrauen dürfen, dass sein Arzt entsprechend informiert ist, um sinnvolle Behandlungsmöglichkeiten unterbreiten zu können.

Wie ein Arzt etwas formuliert, kann so wichtig sein. Warum verschreibt er ein bestimmtes Medikament, was bedeutet das? Hat er eine Idee für eine weitere Therapie, falls diese nicht anschlägt? Kann er berechtigte Hoffnung machen oder muss er diese lieber zerschlagen? Ich habe glücklicherweise nun Ärzte, die mit mir wertschätzend und aufmerksam sprechen und mir die nötige medizinische Unterstützung geben möchten, damit auch ich endlich ein hilfreiches Medikament und eine gute vorbeugende Behandlung finde. Ich sage dafür aus vollem Herzen danke.