»Vor kurzem habe ich noch Gitarrenunterricht gegeben«

Der Soundtüftler Matthew E. White über Begleiterscheinungen des Ruhms, den Reiz des rhythmischen Händeklatschens und die großen Musikproduzenten, deren Werke ihn zu seinen ungewöhnlichen Klangwelten inspirieren.

Foto: Sara Padgett

Matthew White, als erstes fallen an Ihrem Debütalbum Big Inner (Domino) der ausgefeilte Sound und die komplexen Arrangements auf. Fast scheint es, als sei Ihnen der Sound wichtiger als die Songs.
Ja, da ist was dran. Ich habe die Platte weniger gemacht, um meine tollen Songs zu präsentieren, obwohl ich natürlich schon gute Songs haben wollte. Mein Ziel war, Songs zu schreiben, in denen meine Arrangement-Ideen aufblühen können. Arrangements, Sound-Ideen, die Kombination verschiedener Texturen – das ist das, was mich am meisten interessiert.

Eine der großen Leistungen des Albums besteht für mich darin, dass der Sound zwar von Soul, Country und brasilianischer Musik inspiriert ist, zugleich aber neu und modern wirkt.
Die Musik, die ich liebe, gibt es bereits. Die Herausforderung besteht für mich darin, sie zu studieren und zu internalisieren, aber dennoch mit meiner eigenen Stimme zu sprechen. Das war natürlich schon immer Thema in der Kunst; jeder lernt von denen, die vor ihm da waren. An der heutigen Situation ist allerdings speziell, dass man mittels Internet extrem leicht an die Musik der Vergangenheit herankommt. Ich denke viel darüber nach, wie sich dieser Umstand in der Musik meiner Generation niederschlagen wird.

Meine These wäre, dass es heutzutage schwieriger ist als früher, seine eigene Stimme zu finden.
Vielleicht. Aber vielleicht dramatisieren wir auch den Einfluss des Internets. Wenn ich Musik mache, setze ich mich ans Klavier und versuche, einen Song zu schreiben – genau wie die Musiker früherer Generationen.

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Ein klarer Unterschied besteht allerdings darin, dass es heute viel leichter ist, Musik aufzunehmen.
Ja, da hat man heute viel mehr Optionen. Das war teilweise auch schon in den Sechzigern so, aber damals musste man es sich erarbeiten. Heute hat man diese Optionen schon am Beginn seiner Karriere. Mich hat neulich einer gefragt, ob ich gerne mal in einem berühmten Studio wie Abbey Road aufnehmen wolle. Meine Antwort: Jetzt noch nicht, ich könnte diese Möglichkeiten noch gar nicht richtig nutzen. Wenn man sich zu weit ins Wasser vorwagt, ertrinkt man.

Wer sind denn nun die Arrangeure und Produzenten, die Sie beeinflusst haben?
Als ich die Streicher-Arrangements beschreiben musste, habe ich gesagt, sie sollten eine Kombination aus drei verschiedenen Einflüssen sein: Impressions zur Zeit ihres Albums Young Mod’s Forgotten Story, das Ray-Charles-Album Modern Sounds In Country & Western Music und brasilianische Tropicalía-Musik. Allen Toussaint ein sehr wichtiger Mann für mich, außerdem liebe ich die späte Motown-Ära mit What’s Going On als Höhepunkt. Ich höre aber auch viel Brian Wilson, obwohl der Gesang bei mir eigentlich nicht so einen Stellenwert hat.

Interessant, dass Sie Marvin Gaye erwähnen – dessen Einfluss habe ich auf Ihrem Album in den gedoppelten Gesangsspuren gehört.
Wobei ich mich nie mit Marvin Gaye vergleichen würde! Bei mir war es eher so, dass ich kein erfahrener Sänger bin und deshalb meinen Gesang durch die Dopplung etwas unterstreichen wollte. Mit dem Ergebnis bin ich sehr zufrieden, das war ein glücklicher Zufall.

»Neulich haben mich meine Eltern gefragt, was ich im April mache – da bin ich in Europa auf Tour, habe ich gesagt. Für viele Musiker ist das normal, für mich ist es ein großes Ding«

In drei Songs ihres Albums haben Sie andere Kompositionen eingearbeitet, zum Beispiel einen Song des obskuren Bluessängers Washington Phillips.
Washington Phillips hat ja ein ungewöhnliches Saiteninstrument gespielt, über das sich heute niemand mehr wirklich im klaren ist. Der engelsgleiche Klang seiner Aufnahmen zieht mich magisch an. Der Song »Gone Away« entstand, nachdem meine vierjährige Kusine bei einem Autounfall starb. Als ich davon gehört habe, habe ich sofort an diesen Washington-Phillips-Song gedacht und seinen Text mit eigenen Ideen zusammengebracht. Es war mein Versuch, mit diesem schlimmen Ereignis fertig zu werden.

Auf die Gefahr hin, etwas nerdy zu wirken: Besonders gut hat mir auf Ihrer Platte auch das rhythmische Händeklatschen gefallen.
Da fällt mir ein Zitat von Steve Cropper ein, das ich neulich gelesen habe. Bei Stax haben sie anscheinend viel darüber nachgedacht, warum die Motown-Platten so erfogreich waren, und einer der Gründe, den sie laut Cropper gefunden haben, war der, dass man bei den Motown-Hits so gerne mitsingen wollte. Der Rhythmus sei so nett gewesen. Darüber denke ich viel nach: Was sind die Elemente, die ein Lied angenehm und erfeulich machen? Auch der Handclap auf »Brazos« macht Spaß und fühlt sich einfach gut an.

Wenn Sie jetzt nach Deutschland kommen, haben Sie wahrscheinlich nicht Ihren Chor und die Streicher dabei. Nein. Was können wir erwarten?
Wir sind zu sechst auf der Bühne und spielen die Songs des Albums, aber ein bisschen lauter, schneller, intensiver. Wenn es sich auf der Bühne genauso anhört wie auf Platte, macht man etwas falsch, das mag ich gar nicht.

Vor einem halben Jahr kannte Sie außerhalb von Richmond niemand, nun ist Ihr Album überall auf der Welt in den Musikzeitschriften gelobt worden. Wenn Sie an die vergangenen Monate zurückdenken – was ist das tollste, das Ihnen in dieser Zeit passiert ist?
Die Tatsache, dass ich um die Welt fliege und dort Leute treffe, die sich meine Musik anhören und für meine Songs interessieren. Neulich haben mich meine Eltern gefragt, was ich im April mache – da bin ich in Europa auf Tour, habe ich gesagt. Für viele Musiker ist das normal, für mich ist es ein großes Ding. Vor kurzem habe ich noch Gitarrenunterricht gegeben. Ich habe zehn jahre lang Kindern beigebracht, wie sie ein G-Akkord spielen. Und jetzt spiele ich ausverkaufte Konzerte in Deutschland. Abgefahren!