Sprachpfleger

Schon das Wort »Sprachpfleger« ist ein seltsames, irgendwie absurdes Wort.Dennoch gibt es Menschen, die sich freiwillig selbst so nennen. Oder, umgenauer zu sein: Eigentlich sind es ausschließlich Männer. Der richtigeUmgang mit der Sprache lässt ihnen keine Ruhe, weder beruflich noch privat.Hört der Sprachpfleger in der Kaffeebar die Bestellung »zwei Espresso«, hebter ansatzlos zu einem längeren Vortrag über die Mehrzahlbildung imItalienischen an. Entdeckt er auf dem Markt eine Tafel mit der Aufschrift»mittwoch’s frische Austern«, freut er sich wie ein Kind und zückt sofortdas Notizbuch. Und sollte es tatsächlich eine Frau geben, die ihm einesTages ihre Liebe gesteht (»wegen dir würde ich in München bleiben«), dannwird sie sofort darüber belehrt werden, dass es eigentlich »deinetwegen«heißen müsste. Aus der Beziehung wird so natürlich nichts – dafür hat aberder Genitiv einen kleinen Sieg davongetragen.Sprachpfleger haben niemals Sex, sind verbittert, neigen zu verstärkterNasen- und Ohrenhaarbildung und verkehren nur mit Menschen, die sich anbeamtenhaften Wortkonstruktionen wie »ob des erlittenen Verlustes« oder»zulasten des Gemeinwesens« berauschen können. So war das bisher, zumindestin unserer Vorstellung. Seit etwa drei Jahren aber tritt unter dem NamenBastian Sick ein neuer Typ des Sprachpflegers auf. Er distanziert sich von»pädagogischem Eifer« und »grimmiger Erbsenzählerei«, er will »Spaß an derSprache« und verkündet ohne Unterlass eine zentrale Botschaft: »Syntax undGrammatik sind nicht langweilig und nervtötend, sondern können witzig undunterhaltsam sein.« Dieser moderne Sprachpfleger gibt seinen Büchernironische Titel (Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod), er hat inzwischeneinen festen Platz in den Bestsellerlisten – und als er, wie im Märzgeschehen, zur »Größten Deutschstunde der Welt« in die Kölnarena lud,folgten mehr als 15000 Adepten seinem Ruf zurück auf die Schulbank.Mit Spaß hat das dennoch wenig zu tun. Unter einem dünnen Firnis vonKalauern (»Willkommen im Todestal des Genitivs«) driftet »Deutschlandsbekanntester Sprachpfleger« (Spiegel) schnell wieder ins Esoterische undTabellarische ab: Da verhandelt er den nicht vorhandenen Unterschiedzwischen Imperfekt und Präteritum, »unregelmäßige Befehlsformen« oder»problematische Fremdwörter in Einzahl und Mehrzahl«, und ganz schnell gehtes um Lehrbuch-Kauderwelsch wie das »weggefallene Endungs-e bei Verben inder ersten Person Singular«. Schon wahr, in seinen ersten Texten müht sichSick noch mit ungelenken Erzählungen ab, in die er seine stilistischenEinsichten einbettet, aber zunehmend direkte Lesernachfragen drängen ihnimmer mehr in die Rolle eines Dr. Sommer der deutschen Grammatik. »DasBedürfnis nach Aufklärung und Klarstellung ist immens«, sagt er und nenntDeutschland ein »Jammertal, durch das orientierungslose Wanderer zwischenalter und neuer Orthographie verwirrt umhergeistern«. Seine Symbiose ausBildungshuberei und Spaßkultur trifft dabei einen besonders empfindlichenNerv: All die Regeln und Spitzfindigkeiten, die unser Verhältnis zur Sprachevon jeher belasten, sollen jetzt auf einmal richtig gute Laune machen.Glauben muss man das alles nicht und das neue ironische Sprachpflegertum istkeinesfalls besser als das knochentrockene alte. Es geht immer noch um dasBeherrschen der Sprache und nicht um die Liebe zu ihr, es geht immer noch umdie Noten und nicht um die Musik. Denn in Wahrheit gibt es vielleicht nureine goldene Regel für Stil: Wenn Sie mal wieder an einem Verb hängenbleiben, bei dem Sie nicht sicher sind, ob es ein Genitivobjekt hat, oderwenn Sie eine besonders gestelzte Präposition verwenden möchten, bei der Siesich über den Einsatz des Dativs im Unklaren sind – streichen Sie einfachden ganzen Satz. Richtig oder falsch ist oft die völlig falscheFragestellung. Denn gutes Deutsch, das sieht auf jeden Fall einfacher,klarer und sinnlicher aus.