Transnistrien öffnet sich der Welt. Doch die nimmt davon kaum Notiz. Nur zwei Engländer kamen im Juli der Aufforderung der neuen Homepage Transnistriens, Visitpmr.com, nach: »Besuchen Sie die transnistrische Moldau-Republik.« Das Einzige, was die zwei verwegenen Engländer auf Russisch sagen konnten, war: »Komm, lass uns einen trinken.« Das reichte für fünf Tage, in denen ihre Reiseleiterin Alena Woda ihnen alle Sehenswürdigkeiten Transnistriens zeigte: das tausend Jahre alte Kloster vor den Toren der Hauptstadt Tiraspol, die im ganzen ehemaligen Ostblock gerühmte Cognac-Destillerie Kvint, das vier Jahre alte Fußballstadion des FC Sheriff. Natürlich sorgte Alena auch dafür, dass die beiden Engländer wirklich genug zu trinken bekamen.
Kaum einen Monat später hat Alena nun schon die nächsten Gäste am Flughafen von Chisinau in Transnistriens Nachbarrepublik Moldawien abgeholt. Dieses Mal keine Touristen, sondern Journalisten. Denn auch denen öffnet sich der angebliche Schurkenstaat Transnistrien, um sein wahres Gesicht zu zeigen. Seit vergangenem Jahr helfen Alena und ihr Reisebüro jedem interessierten Besucher über die bürokratischen Hürden ihrer Heimat. Wer bei Alena über das Internet bucht, braucht keine persönliche Einladung mehr an der Grenze zwischen der Republik Moldawien und Transnistrien vorzuweisen. Alena kümmert sich selbst um die noch aus Sowjetzeiten stammende obligatorische Anmeldung bei den Behörden in Tiraspol. Sie bucht Reisende aus dem Westen im besten, mehr oder weniger auch einzigen vorzeigbaren Haus am Platze ein: »Hotel Timoty«, Doppelzimmer 80 Euro die Nacht, wir sind die einzigen Gäste. Alena bietet auch Führungen und Tagesausflüge an, in das Kloster, die Cognac-Destillerie, das Stadion. Selbst Kontakte zu Regierungsmitgliedern will sie vermitteln. Alena zeigt sich wirklich um gute PR für ihr Land bemüht.
Transnistrien hätte kaum in Verruf kommen können, wären seine Vertreter häufiger wie Alena: Die 22-jährige Frau ist blond, modisch gekleidet, charmant, spricht ne-ben Russisch und Ukrainisch auch perfekt Englisch und arbeitet deswegen in Transnistriens einzigem Reisebüro als Tourismusmanagerin. Alena freut sich, Gelegenheit zu bekommen, »die Lügenmärchen über meine Heimat« zurechtzurücken. Alena ist keine einfache Reiseleiterin, sondern geschult in PR-Arbeit: Bevor sie im Reisebüro anfing, arbeitete sie in der Presseabteilung des Obersten Sowjets Transnistriens.
Der Oberste Sowjet und Präsident Igor Smirnow sind sicherlich die Hauptverantwort-lichen für die Wahrnehmung ihres Landes im Westen, und das Image Transnistriens, sofern es überhaupt jemand kennt, ist wirklich hundsmiserabel: Dorado für Drogen-, Auto-, Zigaretten- und Waffenschmuggel, schwarzes Loch am Rande Europas, regiert von einem Exgeneral der Sowjetarmee und Exoffizier des KGB, der angeblich nicht nur äußerlich ein Wiedergänger Stalins zu sein scheint. Smirnows Sohn Wladimir soll als geheimer Spiritus Rector des Konzerns Sheriff, der die Republik beherrscht, für den Familienclan abkassieren. Das letzte Bollwerk des Kommunismus finanziert sich aus krummen Geschäften mit der russischen Mafia, die von Transnistrien aus den internationalen Waffenhandel organisiert – so behaupten Vertreter der Republik Moldau und immer wieder auch einzelne OSZE-Beobachter. In Kriminalromanen der letzten zehn Jahre stammen alle Waffen für Terroristen jedweder Couleur stets aus Transnistrien.
Auf jeden Fall ist Transnistrien ein kleines Land, etwa 200 Kilometer lang und an nur wenigen Stellen breiter als zwanzig Kilometer, im Rücken die Ukraine und im Westen, am gegenüberliegenden Ufer des Dnjepr, Moldawien, das alte Bessarabien. Die Republik Moldau, wie sie sich heute nennt, das ist der Feind, den die Menschen Transnistriens für den schlechten Ruf ihrer Heimat verantwortlich machen. Nun soll endlich Schluss sein mit dem üblen Gerede. Letzten Sonntag stimmte die Bevölkerung Transnistriens über die Unabhängigkeit des winzigen Staates
ab, den die Staatengemeinschaft bisher nie anerkennen wollte. Transnistriens faktische Unabhängigkeit soll nach 14 Jahren jetzt demokratisch legitimiert, der Westen endlich zur Anerkennung gedrängt werden.
Russische und ukrainische Soldaten überwachen die Grenze zwischen der Republik Moldau und ihrer abtrünnigen Teilrepublik. Eine Grenze, die für Moldau nicht existent ist, weshalb die Polizisten Moldaus auch keine Kontrollen vor dem Schlagbaum vornehmen. Die nicht anerkannte Hauptstadt Tiraspol liegt kaum zehn Minuten hinter der Waffenstillstandslinie von 1992. In den Straßen fahren tatsächlich auffällig viele Limousinen mit getönten Scheiben. Das Gerücht, dass der Müll sich auf den Gehwegen sammle und in den Lebensmittelläden Mangel herrsche, stimmt nicht. Abgemagert sind nur die vielen herrenlosen Hunde auf der Straße. Nachts quält ihr Gekläffe die ganze Stadt. Vor dem Sitz des Obersten Sowjets im Zentrum zeugt ein ausgemusterter Panzer vom damaligen Bürgerkrieg gegen Moldau und eine marmorne Leninbüste von der Trauer über den Untergang der alten Sowjetunion.
Stalin hatte Transnistrien 1940 von der Ukraine getrennt und Moldawien zugeschlagen. Nach dem Untergang der UdSSR fürchtete man in Transnistrien, die Rumänisch sprechende Mehrheit Moldaus wolle sich Rumänien anschließen, auf Kosten der meist Russisch sprechenden Minderheit Transnistriens. Eine unbegründete Angst – niemand reißt sich um das Armenhaus Europas; die Republik Moldau ist souverän geblieben.
Etwa 180 000 der rund 600 000 Einwohner Transnistriens leben in Tiraspol, einer Stadt, deren Straßen von Plattenbauten und gelben Sheriffsternen darauf geprägt werden: Sterne über den Sheriff-Tankstellen, den Sheriff-Supermärkten, dem Sheriff-Kasino, der Sheriff-Brotfabrik, dem Sheriff-Fernsehsender, dem Sheriff-Mobilfunkbetreiber, der Sheriff-Zeitung und dem allgegenwärtigen FC Sheriff, dessen Stadion mit Fernsehsendezentrum, Mercedes-Niederlassung und bald auch eigenem Fünfsternehotel schon heute Champions-League-tauglich ist. Selbst Fifa-Präsident Joseph Blatter ließ es sich da nicht nehmen, zur Stadioneröffnung vorbeizuschauen.
Seit seiner Gründung 1998 wurde der FC Sheriff Tiraspol sechsmal Meister in der gemeinsam mit Moldau ausgespielten Fußballliga. Diesen Sommer scheiterte die Elf um sechs Legionäre aus Burkina Faso und drei aus Rumänien erst im vorletzten Qualifikationsspiel für die Champions-League-Haupt-runde an Spartak Moskau. Dem Fußballverein soll bald gelingen, was den Politikern bisher versagt blieb: gute PR für Transnistrien. Bisher fragt man sich beim Anblick des pompösen Stadions in einem der ärmsten Winkel Europas allerdings unweigerlich, woher wohl das viele Geld für den Neubau und für Profispieler aus Afrika stammt.
Die Geschäfte des Sheriff-Konzerns laufen jedenfalls so gut, dass man jüngst sogar die Cognac-Destillerie Kvint vom Staat übernehmen konnte. Schlechte PR ist neben dem nicht gerade seriös klingenden Namen sicherlich auch die Tatsache, dass die beiden Firmengründer sich jeder Interviewanfrage hartnäckig verweigern.
Ilya Kazmaly und Wiktor Gushan haben ihren Konzern »Sheriff« genannt, weil beide Polizisten waren, bevor sie Anfang der Neunzigerjahre dem Staat eine Supermarktkette abkauften. Den aus Flachs ausgesuchten Namen wollten sie zwischenzeitlich einmal ändern, doch das Sheriff-Imperium ist heute so groß, dass eine Namensänderung juristisch viel zu aufwändig wäre. Wladimir Smirnow war damals Polizeichef von Tiraspol und damit Chef von Gushan und Kazmaly, und er soll später als Chef der Zollverwaltung direkt am Schmuggel von gestohlenen Autos, Zigaretten und Waffen beteiligt gewesen sein – so weit die schlechte PR durch moldawische Offizielle. Alena zeigt auf der Sheriff-Homepage, dass Smirnow weder zu den offiziellen Eignern noch zu den vielen Geschäftsführern zählt. Ein eindeutiger Beweis, meint sie, dass alles Gerede von Schmuggel und Vetternwirtschaft nur Propaganda Moldaus sei.
Wladimir Pasiutin ist Großbauer in Transnistrien. 5000 Hektar hat er vom Staat für 99 Jahre gepachtet, für 15 Dollar pro Hektar und Jahr, vor drei Jahren, als die Kolchose endgültig heruntergewirtschaftet war. Der 49 Jahre alte Pasiutin ist die transnistrische Version eines Erfolgsmenschen und hat sich von Alena nicht lange bitten lassen, vor der westlichen Presse zu bezeugen, dass man auch in Transnistrien von redlicher Arbeit leben und sogar reich werden könne – und nicht vom Schmuggel. Pasiutin zeigt stolz seine beiden aus den USA stammenden John-Deere-Traktoren und die deutsche Grimme-Erntemaschine. »So etwas Modernes finden Sie in ganz Moldawien nicht«, sagt er und rechnet hoch, wie viel Kartoffeln, Tomaten und mithin Geld ihn die bürokratischen Hürden Moldawiens beim Export aus Transnistrien bislang kosteten. Auf seinen Feldern arbeiten auch Frauen und Männer aus der Nachbarrepublik, für sechs Dollar am Tag plus Unterkunft und Verpflegung. »Die Menschen aus Moldawien mögen wir gern, viele Ehen sind auf dem Hof schon gestiftet worden. Die moldawischen Politiker sind es, denen wir nicht trauen.«
Gern zeigt Pasiutin seinen Besuchern dann noch die Grenzstadt Bendery, wo im Sommer 1992 sechs Wochen lang die Kämpfe wüteten. Er fährt zu einem verrosteten Panzer am Straßenrand, in dem ein Freund starb, und er sagt, dass dieser Krieg gerecht war. »Man hat uns damals überfallen und wollte uns unterjochen.«
Laut OSZE-Angaben stehen in Transnistrien heute 12 500 Soldaten unter Waffen. Große Teile der Truppen stammen aus der 14. Armee Russlands, die Anfang der Neunziger hier noch stationiert war, um Munition aus sowjetischen Beständen zu bewachen. Die russische Armee stellte sich zwischen die verfeindeten Parteien und beendete die Kampfhandlungen. Einige russische Soldaten ließen sich von Smirnows Miliz anwerben, andere zog Wladimir Putin ab. 1500 russische Soldaten sollen die Sicherheit des Russisch sprechenden Transnistrien bis heute garantieren. Sie bewachen immer noch die Reste von 40 000 Tonnen Munition und Waffen an der ukrainischen Grenze, die Russland bis heute nicht abgezogen hat.
Der stellvertretende Außenminister Transnis-triens, Witalii Yankowskyi, lässt sich nicht lange um eine Stellungnahme bitten. Er hat viel Zeit, denn wenn er sich tatsächlich im westlichen Ausland sehen ließe, würde man ihn verhaften, wie er selbst bestätigt: »Ich stehe als Separatist bei Interpol auf einer Fahndungsliste.« Verreisen könnten transnistrische Minister nur in die Ukraine, nach Russland oder in eine der beiden separatistischen Republiken Georgiens, Südossetien und Abchasien, ohne verhaftet zu werden. »Aber Abchasien«, sagt Yankowskyi mit einem Lächeln im Gesicht, »hat eine schöne Küste am Schwarzen Meer. Selbst Präsident Smirnow macht dort gern Urlaub.«
Man darf den stellvertretenden Außenminister gern nach den Waffen fragen, die sein Land schmuggeln oder produzieren soll. Yankowskyi erzählt dann geduldig von der Auflösung der Sowjetunion, davon, dass Transnistrien seine Unabhängigkeit erklärt habe, bevor Moldawien überhaupt die Sowjetunion verließ. Mithin dürfe dieser Staat auch keine rechtmäßigen Ansprüche an Transnistrien stellen. Yankowskyi sagt, dass man auf die Munitionsbestände der Sowjetunion verzichtet habe. »Die Ukraine übernahm die sowjetische Schwarzmeerflotte, Moldawien die dort stationierte Luftwaffe, aber wir haben auf die hier gelagerten Sowjetwaffen freiwillig verzichtet – unter der Bedingung, dass uns die Hälfte aller Verkaufserlöse zustehen. Bis heute ist etwa die Hälfte dieser Bestände vom russischen Verteidigungsministerium für zwei Milliarden Dollar verkauft worden. Die eine Milliarde hat Transnistrien dafür nie erhalten.« Dann verweist er auf die OSZE-Delegationen, die im letzten Herbst und Frühjahr nach Waffenfabriken und Schmuggelrouten gesucht hätten. Erfolglos, wie er betont.
»Bitte suchen Sie selbst im ganzen Land, und schicken Sie uns noch viele neugierige Kollegen vorbei«, sagt Yankowskyi, und er sieht dabei wirklich so aus, als ob er genug Geduld hätte für eine lange Schlacht mit den gegnerischen PR-Abteilungen um das bessere Ansehen im Ausland.
Auf dem Rückweg aus dem angeblich korrupten Schurkenstaat Transnistrien hält ein moldawischer Polizist den Fahrer von Alenas Reisebüro hinter dem Grenzbaum auf. Er verlangt fünf Dollar, bevor er den Wagen aus Transnistrien weiterfahren lässt. Heute sei sein Geburtstag, sagt der korrupte moldawische Polizist an der Grenze, die es laut seinen Vorgesetzten gar nicht gibt.