Fisch gewagt ist halb gewonnen

Ein neuer Rekord: In Tokio gibt es seit Kurzem mehr Drei-Sterne-Restaurants als in jeder anderen Stadt der Welt. Eckart Witzigmann hat sie für uns getestet – und auch ein paar ohne Stern.

Tag 1
Eine Woche Tokio, auf Einladung der internationalen, nicht gewinnorientierten Grand Jury Européen, für die ich hier gemeinsam mit Otto Geisel und François Mauss Sternelokale auf Harmonie zwischen japanischem Essen und großen europäischen Weinen testen soll. In Tokio sind dieses Jahr so viele Drei-Sterne-Lokale wie in keiner anderen Stadt der Welt vom Guide Michelin ausgezeichnet worden: acht von 160?000 getesteten Lokalen.

Mittagessen im Restaurant »Yebisu« im »Westin Hotel«, ein Stern: zur Vorspeise Abalone-Seeschnecken vom Teppanyaki-Grill. Zuerst werden Bambusblätter auf die Grillplatte gelegt, darauf die frisch geöffneten Abalone mit der Fleischseite platziert, mit etwa drei Bambusblättern abgedeckt, mit schneeweißem Salz zugedeckt, mit wenig Wasser beträufelt, damit eine Salzkruste entsteht, dann überlässt man die Seeschnecke eine Stunde ihrem Schicksal. Mit einem Spatel wird die Salzkruste behutsam abgehoben. Die Abalone wird in große Stücke geschnitten, mit Dashi-Sauce und Kräutersaitlingen serviert (Geschmack zwischen Steinpilz und Austernpilz, gibt es auch auf dem Viktualienmarkt beim Frutique-Stand). Abalone mit Biss, guter Auftakt. Gegrillter Tunfisch – pur und einfach gut, dazu Wein Nr. 32 der Grand Jury: Weißburgunder Spätlese, trocken, von Fritz Waßmer, fein. Zur gegrillten Seebrasse: Algen aus Tasmanien, weil dort das sauberste Wasser, auch tolle Lachse, geniale Schnittkunst bei der Verarbeitung. Schließlich das speziell aufgezogene Maezawa Beef als Hauptgang: Sirloin und Tenderloin Steak rasch auf beiden Seiten, ganz gekonnt an der Schnittfläche angebraten und sofort serviert. Dazu vier Millimeter dick geschnittene Süßkartoffel-Scheiben. Ein Gedicht. Wie auch später noch: gekochter Klebereis auf dem Grill angebraten, mit einem Gewürz, dessen Rezeptur der Koch uns nicht verrät. Fein!

Meistgelesen diese Woche:

Abendessen in dem Restaurant »L’ecrin«, kein Stern: wieder sechs Gänge. Die Langustinen eine Augenweide. Meines Erachtens: Rote Beeten in einer Art Ratatouille für die Langustinen etwas befremdend. Ich hätte stattdessen einen lauwarm geräucherten Aal oder Saibling mit feiner Gurken-Brunoise und Meerrettich verwendet. Dessert: Mango und Pfirsich in einem Mantel von Kokosmilch, in Jasmintee schwimmend, eiskalt serviert. Genial!

Tag 2
Morgens um fünf auf dem Fischmarkt von Tokio: Leider schon zu spät für die Tunfischversteigerung, aber die hab ich ja schon mal miterleben dürfen. Der schönste, größte und teuerste Fischmarkt der Welt. Tollen Fugu gesehen, hab ihn schon mal gekostet, für Japaner eine Delikatesse, als Carpaccio oder in einer Suppe.

Mittags in der japanischen Filiale von Joël Robuchon, drei Sterne: Chef Alain war im »Petrus Restaurant« in Hongkong. In Tokio gibt es allein 3000 bis 4000 französische Lokale. Perfektion von Anfang bis Ende: Limoges?-?Porzellan, schwarzes Tischtuch, schwarzer Teller. Stuck an der Decke, mit Swarovski-Steinen eingefasst. Viel mehr Frauen als Männer unter den Gästen. Ein Glanzlicht schon das Amuse-bouche: Seeigelzungen, am Boden mit Gelee bedeckt, darauf feine elegante Blumenkohlcreme. Mit ein Höhepunkt der ganzen Reise.

Abends Restaurant »Ginza Kojyu«, drei Sterne, Patron Tooru Okuda. Sashimi von Tunfisch, Dorade (toll) und Oktopus. Dann: Frische Jakobsmuscheln werden eine halbe Minute auf dem Reis gegart, sehr schön. Achtung: Wasabi wächst nur in klarem Wasser! Beim Schneiden von Tunfisch spielt die Temperatur des Fisches eine große Rolle.

Das ganze Restaurant hat nur sechs Plätze am Tresen und noch vier kleine Nebenräume. Chef Okuda hat drei Assistenten, seine Frau im Service. Okuda benutzt fünf ganz verschiedene Messer für den Fisch, spricht sogar ein wenig Englisch, sehr Europa-interessiert, hat für den Sommer schon bei Alain Ducasse in Paris reserviert.

Tag 3
Restaurant »Quintessence«, drei Sterne: Highlight ist das speziell aufgezogene Kyushu-Schwein. Das Schweinekarree wird angebraten und etwa drei Stunden bei Niedertemperatur gebraten. Es war sehr rosa. Zwischendurch immer wieder aus dem Ofen genommen (eine Minute im Rohr, fünf Minuten ruhen lassen), zum Abkühlen drehen, damit sich das Blut verteilt. Dazu Galette von Linsen, gedünstete Zwiebel und Sauerkraut à la creme. Kein Jus. Der 2002 Château Rayas ist ein Superwein. Ein junger japanischer Chef, der auch schon in Paris gearbeitet hatte. Eigene Weinkarte, sehr selten in Tokio!Das Restaurant, das wir abends besucht haben, ist nicht weiter der Rede wert.

Tag 4
Restaurant »Hamadaya«, drei Sterne: Zum Waßmer-Wein klare Suppe. Bunter Anblick, leicht bekömmlich, Jakobsmuscheln millimeterdünn eingeschnitten, Frühlingsgemüse. Leichter Räuchergeschmack durch Bonitoflocken. Sensationell! Ambiente: Kaiseki-Stil mit Geishas im Service, feinstes Holz und Porzellan. Sashimi: Jede Portion hat eine andere Dekoration gehabt. Überzeugt durch Frische, Qualität und Präsentation. Kyoko war unsere Geisha, eine bildhübsche Japanerin. Wir durften auch einen Blick in die Küche werfen, ernteten dafür aber böse Blicke des Patrons.

Abends im »Aoyagi«, kein Stern, unbegreiflich! Höhepunkt: lange zweistöckige Bentobox, appetitlich anzusehen. Mit kleinen Tintenfischen, Sushi, feinsten Fischrouladen, Lachseiern, Kugeln von grüner Gurke. Goldbrasse gilt in Japan als der beste Fisch. Später noch ein köstliches Reisgericht mit Rührei, Erbsen, frisch, klein, fein.

Tag 5
Restaurant »Michel Troisgros«, nur zwei Sterne in Tokio, meines Erachtens drei! Der Bruder von Troisgros hat ein Jahr bei mir im »Tantris« gearbeitet. Der Koch in der Tokio-Depandance heißt
Lionel Beccat. Höhepunkt: der Kabeljau, in neutralem Öl mit Haut confiert, perfekt gegart, glasig, fantastisch! Fische aus dem japanischen Meer haben eine festere Textur, wahrscheinlich durch das kältere Wasser, aber weniger Geschmack als Pazifik- oder Mittelmeerfische. Durch kurze We-ge von nur hundert Kilometern große Frische. Eigener Tempura-Koch, der das schon sechzig Jahre macht: Abalone, Aal, Tintenfisch und frischer Bambus. Frau und Schwiegertochter assistieren. Ich bin ein großer Tempura-Lieb-
haber. Hinterher ein Sake.

»Sushi Mizutani«, drei Sterne. Für Europäer äußerst schwer, einen Tisch zu bekommen; Chef Mizutani sagt, Europäer könnten japanische Küche ohnehin kaum richtig verstehen. Wir fragen den Mizutani, ob er sich auch für den Mozart des Sushi hält, er antwortet nein, er sei der Beethoven des Sushi. Seine Sushi und Sashimi sind wirklich eine Augenweide und Bombe auf der Zunge. Die Qualität ist umwerfend, der Preis aber auch. Französische Drei-Sterne-Lokale sind billiger. Dabei: keine Weinkarte, keine Blumenbouquets, keine Tischkultur. Und ein Drei-Sterne-Lokal im Keller? In Europa undenkbar!

Tag 6
Restaurant »Mikumi«, kein Stern: schönes Haus mit verschiedenen Esszimmern. Service sehr aufmerksam, fast übertrieben: Einer arbeitet, vier schauen zu. Küche sehr französisch, Mikumi hat viele Jahre bei Girardet in der Schweiz und bei Haeberlin in Frankreich gelernt, gut, aber im Vergleich zu Robuchon zu klassisch. Interessant waren die kleinen Kürbiswürfel mit Maronengeschmack. Die Frau vom Chef sagt, Kyoto ha-be mindestens 15 Drei-Sterne-
Lokale, doch Michelin wollte erst den Tokio-Führer herausbringen. Bin froh, dass Kenichiro Ooe vom »Park Hyatt Hotel« in Tokio im Oktober als Gastkoch einen Monat lang zu uns nach Salzburg in den »Hangar 7« kommen wird.