Die Einführung des Pfandes auf Einwegflaschen hat zwar deren Verbreitung kaum behindert, dafür einen neuen Erwerbszweig geschaffen. Schließlich werfen nur vier Flaschen pro Stunde den gleichen Ertrag ab wie ein Ein-Euro-Job der Arbeitsagentur.
Deshalb ist das Deponieren von Pfandflaschen in oder an Papierkörben inzwischen fast üblich geworden und wirkt sinnvoll – mit einem Problem: Mir scheint bei der Idee, anderen via »Abfall« Gutes zu tun, eine Grenze berührt oder überschritten. Menschen, die den Müll anderer aufsammeln oder nach Verwertbarem durchsuchen, waren bei uns bislang selten. Dass dies nun zum Straßenbild gehört, kann man unterschiedlich sehen. Pragmatisch, nach dem Prinzip: solange dadurch geholfen ist; positiv, weil man die Augen vor der Armut nicht mehr so gut verschließen kann; oder negativ, weil es den Betroffenen einen Teil ihrer Würde nimmt. Ich tendiere zu der letzten Ansicht, nur wäre die einzig sinnvolle Konsequenz daraus, die Lebensumstände zu verbessern und nicht auch noch diese Einkommensmöglichkeit zu unterbinden.
Zumal diese eine gewisse Tradition aufweisen kann, die Bibel kennt zum Beispiel den »Eckenlass« – ausdrücklich als Hilfe für den Nächsten: »Wenn ihr die Ernte eures Landes aberntet, dann sollst du das Endstück deines Feldes nicht völlig abernten. Und du sollst keine Nachlese deiner Ernte durchführen. Auch deinen Weinberg sollst du nicht nachlesen, und abgefallene Beeren deines Weinbergs sollst du nicht auflesen; dem Armen und Fremdling sollst du sie überlassen.« (Lev 19,9f)
Und an anderer Stelle: »Wenn du auf deinem Feld deine Ernte hältst und eine Garbe auf dem Felde vergisst, so kehre nicht um, sie zu holen. Dem Fremdling, der Waise und der Witwe soll sie gehören.« (Dtn 24, 19-21)
Und damit wären wir bei Ihnen: Was Sie betreiben ist Nachlese – ohne wirklich bedürftig zu sein.
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Illustration: Marc Herold