Die Krise und wir

Verändert die Wirtschaftskrise uns, unser Denken, unser Leben? 85 Deutsche erzählen uns, wie die schwerste Rezession in der Geschichte der Bundesrepublik ihren Alltag verändert hat.

    Petra Henkel (39, im Bild), arbeitslos und alleinerziehende Mutter von zweijährigen Zwillingen:
    »Bis jetzt macht mir die Krise keine Angst. Wenn man nichts hat, kann man auch nichts verlieren.«

    Erdmut Wegmann (70), Pensionärin:
    »Ich bemerke mit Bedauern, dass die Containerschiffe auf der Elbe teilweise nur noch zu einem Drittel beladen sind. Das ist mir neu und schlecht für Hamburg.« Dieter Wedel (67), Regisseur:
    »Ich habe im letzten Sommer alle Aktien verkauft, weil ich die Immobilienkrise in Amerika heraufziehen sah. Leider bin ich der Empfehlung eines Freundes gefolgt und habe Geld bei einem Schweizer Vermögensverwalter angelegt. Obwohl ich ihn beauftragt habe, nur ein minimales Risiko einzugehen, hat er gemeinsam mit einer renommierten Schweizer Bank meine Unterschriften gefälscht und alles verzockt.«

    Wolfgang Joop (64), Modeschöpfer:
    »Mich beunruhigt nur die Krise der Herzen. Die Wirtschaftskrise dagegen wird zeigen, wer Herzensstärke hat und damit zum Gewinner wird. Ich mache Kunst jetzt selbst, statt sie zu kaufen.«

    Meistgelesen diese Woche:

    Anton Forster (52), Florist:
    »Blumen sind ein Luxusartikel. An Weihnachten und auch jetzt zum Valentinstag hatten wir 60 bis 70 Prozent Umsatzeinbußen im Vergleich zum Vorjahr. Viele Kunden kaufen nun auf Rechnung - bezahlt wird aber selten sofort. Zwei bis drei Mahnungen sind normal geworden. Wenn das so weitergeht, sehe ich mich in fünf Jahren unter der Brücke.«

    Jutta Damm-Zinser (59), Goldschmiedin:
    »Wenn ich mir die jungen Leute anschaue: Die wuseln wie verrückt. Die 80er-Jahre waren toll, die 90er auch noch. Aber jetzt wuseln auch wir Alten wieder wie verrückt.«

    Angela Jürgens (24), Angestellte in einem Sonnenstudio:
    »Ich merke, es gibt auf einmal überall Rabatte. Sogar bei teuren Sachen, bei Markenartikeln, bei Autos. Mir macht das Angst: Wenn alles verschleudert wird, verliert ja alles an Wert.«

    Rolf Herdegen (36, im Bild), Boutiquenbesitzer:
    »Am schlimmsten war es im November bei den Horrormeldungen, da ist der Umsatz rapide abgestürzt - mittlerweile ist, glaube ich, das Schlimmste überstanden. Wir jammern alle auf hohem Niveau. Ich habe meine Teilzeitkraft entlassen und eine kleinere Wohnung gesucht. Ich hatte Pläne, auf Mallorca einen Laden aufzumachen - aber dort sieht es auch nicht gut aus. Also: erst mal abwarten. Mein Plan B: In die Schweiz gehen und dort als Angestellter arbeiten. Mein Plan C: Nach Berlin gehen, eine Ein-Zimmer-Wohnung nehmen und von Hartz IV leben.«

    Eva Fetzer (49), Leiterin einer Stadtbibliothek:
    »Unsere Regale sind voll mit Büchern über Aktien und Geldanlage. Aber die sind ausgerechnet jetzt richtige Ladenhüter.«

    Stephan Lipke (33), jesuitischer Seelsorger:
    »Das Schlimmste wäre, wenn durch die Krise Vertrauen und Hilfsbereitschaft kaputtgehen würden.«

    Erwin Huber(62), Politiker:
    »Ich fahre in Dingolfing am BMW-Werk vorbei, und es ist Stillstand. Ich treffe am Heimatort Fachkräfte, die auf Kurzarbeit sind. Sie sind erstaunlich gefasst.«

    Sebastian Turner(42, im Bild), Chef der Werbeagentur Scholz & Friends:
    »Neulich treffe ich am Bahnhof einen Chefredakteur, nettes Gespräch am Bahnsteig, das man auf der Fahrt gut fortsetzen könnte. Er: ›Ich muss jetzt in die zweite, Sie fahren doch sicher noch erster Klasse.‹ - ›Nee, ich fahr immer zweiter.‹ Es wurde ein nettes Gespräch im Zug. Und dann noch ein interessantes Wahrnehmungsphänomen: Ein Restaurant erscheint leer. Vor einem halben Jahr hätte man gedacht: Ist der Laden neu oder überteuert oder ist der Koch schlecht? Jetzt denkt man: Ja klar, die Krise.«

    (Lesen Sie auf der nächsten Seite: Marietta Slomka, Fernsehmoderatorin: »Selbst wenn man argumentiert, dass viel von dem Geld ja nur auf dem Papier existierte, ist das keine befriedigende Erklärung.« Anne Will, Fernsehmoderatorin: »Ich bekomme weniger Anrufe von Bankberatern. Genau genommen gar keine mehr!«)

    Anne Will (43, im Bild), Fernsehmoderatorin:
    »Mir macht an der Krise Angst, dass offensichtlich keiner weiß, was hinter der nächsten Ecke noch lauert und was Rettung versprechen könnte. Das war und bleibt uns Anlass für so manche Sendung. Für mich persönlich hat sich verändert, dass ich mit Aktienfonds ein bisschen Geld verloren habe. Die Konsequenz: Ich bekomme weniger Anrufe von Bankberatern. Genau genommen gar keine mehr! Außerdem lese ich anders Zeitung, fange inzwischen mit dem Wirtschaftsteil an. Und solange es noch geht, begreife ich shoppen nicht mehr simpel als einkaufen, sondern verkläre es als meine oberste Bürgerpflicht zum Konsum.«

    Michael Mösbauer (42), Friseur:
    »Bei vielen Kunden verlängert sich der Abstand zwischen den Friseurbesuchen. Und im Bekanntenkreis sind gerade diejenigen, die früher aufgeschnitten haben und immer sagten: »Geld spielt keine Rolle«, auf einmal recht leise geworden.«

    Bodo Kirchhoff (60), Schriftsteller:
    »Ich bemerke die Krise gar nicht; denn der Schriftsteller ist immer in der Krise. Aber ich gebe jetzt fast alles aus, solange es noch etwas wert ist.«

    Marietta Slomka (39), Fernsehmoderatorin:
    »Ich werde immer wieder gefragt: »Du musst das doch wissen: Wo ist das ganze Geld eigentlich hin?« Eine wirklich gute Antwort habe ich darauf bis heute nicht gefunden. Denn selbst wenn man argumentiert, dass viel von dem Geld ja nur auf dem Papier existierte, ist das keine befriedigende Erklärung.«

    Christian Thielemann
    (49), Generalmusikdirektor der Münchner Philharmoniker:
    »Gefühlsmäßig befindet sich die Krise ja noch in ihren Anfängen. Aber schon jetzt blicken die Menschen auf der Straße sorgenvoller drein.«

    Hans-Christian Ströbele (69, im Bild), Grünen-Politiker:
    »Meine persönlichen Verluste halten sich in Grenzen: Ein paar ererbte Wertpapiere sind nicht einmal mehr die Hälfte wert. Wenn es hart auf hart kommt, könnte ich auf vieles verzichten, aber nicht auf meinen morgendlichen Magerquark und die Milch.«

    Martin Thierer
    (30), Galerist und Assistent bei Schirmer & Mosel:
    »Auch der Kunstmarkt wird sich mäßigen. Und das ist gut so. Die Preise auf dem Kunstmarkt basierten auf reiner Spekulation und hatten nichts mehr mit Qualität zu tun.«

    Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (57), bayerische FDP-Vorsitzende: »Die Krise beunruhigt mich sehr. Ich muss politische Entscheidungen treffen, deren Tragweite niemand richtig abschätzen kann. Das bestimmt meinen beruflichen Alltag als Parlamentarierin und droht die Beschäftigung mit meinem eigentlichen Arbeitsbereich der Rechtspolitik zu verdrängen.«

    Dieter Rex-Stingl (46), Feinkosthändler:
    »Ich frage mich, woher die Bundesregierung das ganze Geld nimmt, und wie man, ohne mit der Wimper zu zucken, unseren Ururenkeln so viele Schulden aufhalsen kann. Kleine Unternehmer wie ich erhalten doch auch keine Unterstützung, wenn sie pleite sind.«

    Dirk Schönberger (42), Modeschöpfer:
    »Ich habe während der Zeit meiner eigenen Kollektion immer alles, was wir hatten, in die Firma gesteckt. Deshalb weiß ich, was Verzicht bedeutet. Für mich ist es einfach, back to basics zu gehen, wenn es sein muss. Solange ich meine Musik und meine Bücher behalten kann ...«

    André Schulten (33, im Bild), Investmentbanker:
    »Diese Krise ist keine so elementare! Keiner wird deswegen sterben! Um der PR willen sollte ich als Investmentbanker auf meinen Bonus verzichten. Das wäre super und populär. Aber ich werde erfolgsabhängig bezahlt, und wenn ich erfolgreich bin, möchte ich auch nicht auf einen Bonus verzichten, den ich auf messbarem Erfolg erwirtschaftet habe.«


    (Lesen Sie auf der nächsten Seite: Eckart Witzigmann
    , Koch: »Wer bei den täglichen Horrormeldungen keine Angst bekommt, muss eine Hornhaut um seine Empfindungen tragen.«)

    Brigitte Zypries (54, im Bild), Justizministerin:
    »Früher gab es das Leitbild des ehrbaren Kaufmanns, heute brauchen wir eine moderne Wirtschaftsethik. Damit meine ich nicht, dass Unternehmen darauf verzichten sollen, Gewinn zu machen. Manager müssen aber die Konsequenzen ihres Handelns im Blick behalten: Ohne das gesellschaftliche Umfeld lässt sich auf Dauer kein wirtschaftlicher Erfolg erzielen.«

    Theo Waigel(69), ehemaliger Finanzminister:
    »Stärker als in den letzten Jahren erhalte ich Anfragen, ob ich bei der Vermittlung von Jobs behilflich sein könnte. Junge Juristen sind auf der Suche nach qualifizierter Beschäftigung. Als Schwabe, Bauernsohn und Exfinanzminister habe ich nie einen aufwendigen Lebensstil gepflegt. Dies gilt auch für meine Familie. Der offene Kamin und der Kachelofen werden öfter benutzt. Urlaubsplanungen sind weitgehend auf das eigene Land gerichtet. Allgäu, Ostsee und Nordsee bieten genügend Möglichkeiten. Ich will bei Einkommen und Versorgung unabhängig bleiben. Reichtümer strebe ich nicht an. Vier Hektar landwirtschaftliche Grundstücke verleihen mir eine gewisse Nahrungsmittelautarkie. Holz aus meinem Anteil am Gemeindewald schützt mich vor Kälte.«

    Maria Thanner(57), Einzelhandelskauffrau für Kleidung und Schmuck:
    »Ich glaube, dass man nicht Einzelne für die Krise verantwortlich machen kann, sondern dass das systemimmanent ist. Wir leben nun mal im Kapitalismus, wo es darum geht, möglichst viel anzuhäufen.«

    Robert Meier(43), Schreibwarenhändler:
    »Ich habe keine Angst. Wir hatten doch schon immer Krisen, und auch diese Krise wird vorbeigehen. Für mich ändert sich nicht viel, ich hab schon immer wenig Geld gehabt.«

    Isabella Tsiolis
    (40), Innenarchitektin:
    »Mein zehnjähriger Sohn hat mich gestern gefragt, was er studieren soll, damit er in seinem Beruf einmal sicher Geld verdienen wird.«

    Michael Maendler (35, im Bild), Leiter eines Luxusbekleidungsgeschäfts:
    »Russland bricht total weg. Im Herbst sind die russischen Kunden von einem Tag auf den andern nicht mehr aufgetaucht. Ich bin gespannt, ob die Araber im Frühjahr kommen.«

    Ulrich Wickert (66), Autor:
    »Der Tanz um das Goldene Kalb ist vorbei. Die Gier ist ein Laster, sie wird sogar zu den sieben Todsünden gezählt - aber das Wort Gier ist in den letzten Jahren zu dem scheinbar positiven Begriff »Profitmaximierung« umgedeutet worden.«

    Martin Germer
    (52), Pfarrer der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche Berlin:
    »In der Bibel steht: »Sorgt euch nicht um den morgigen Tag.« Ich habe als Pfarrer ein regelmäßiges Gehalt. Von daher betrifft die Krise mich tatsächlich nicht unmittelbar.«

    Amelie Nowak (30), Obst- und Gemüsehändlerin:
    »Die Leute kaufen vorsichtiger. Grundnahrungsmittel wie Kartoffeln oder Zwiebeln gehen immer, aber Luxusartikel wie Artischocken oder bestimmte Pilzsorten nicht.«

    Eckart Witzigmann (67, im Bild), Koch:
    »Wer bei den täglichen Horrormeldungen keine Angst bekommt, muss eine Hornhaut um seine Empfindungen tragen.«

    (Lesen Sie auf der nächsten Seite: Smudo, Rapper: »Ich denke, bis 2010 gilt: Hintern zusammenkneifen.«)

    Petra Richter (37, im Bild), Musiklehrerin:
    »Menschen brauchen gerade in Krisenzeiten mehr Musik. Ich arbeite mit Kindern. Bei Kindern merkt man die Krise nicht. Da läuft die Nase im Winter, da ist der Pausenhof zugefroren - die Kinder sind immer Kinder. Und ich habe das Glück, in einer Art Musikblase zu leben: Tagsüber unterrichte ich Musik in der Grundschule, abends gehe ich in die Oper. Das beschützt mich.«

    Cemal Aydin(12), Schüler:
    »Wenn ich groß wäre, würde ich jetzt sparen. Dann würde ich mir keine Autos mehr kaufen. Aber ich wäre immer noch derselbe, auch mit weniger Geld.«

    Smudo (41), Rapper:
    »Ich bin aktuell auch ratlos, wie man sein Geld am besten anlegen sollte. Ich denke, bis 2010 gilt: Hintern zusammenkneifen.«

    Dirk Gödtke (45), Managing Director einer Softwarefirma:
    »Einer unserer größten Kunden hat nun gerade seinen Standort in Berlin geschlossen. Unser Umsatz ist um 45 Prozent eingebrochen. Wir müssen nun unsere Firma verkleinern oder den Umsatzverlust kompensieren.«

    Sebastian Gmelin (32), bis vor Kurzem Architekt bei Foster + Partners: »Alle Projekte, an denen wir gearbeitet haben, wurden im letzten halben Jahr nach und nach gestoppt, weil den Bauherren und Investoren die
    Mittel ausgegangen sind. Dann wurden offiziell bei einer Vollversammlung 68 Architekten und acht weitere Mitarbeiter gekündigt.«

    Thorsten Mayer
    (30), Metallbauer, arbeitslos:
    »Ich kann nicht sagen, dass mir die Krise Angst macht. Man gewöhnt sich an alles.«

    Kurban Fahri (44, im Bild), Betreiber eines Cafés:
    »Ich kann das Gejammer auf hohem Niveau nicht mehr hören. Eigentlich sollten wir lernen, uns wie die Tiere anzupassen und auch mal auf etwas verzichten zu können. In anderen Ländern geht es den Menschen nicht so gut wie uns, und sie sind trotzdem zufrieden. Warum schaffen wir das nicht?«

    Roland Koch (42), bis vor drei Wochen angestellter Redakteur bei einer Zeitschrift:
    »Mein Arbeitgeber hat gerade Arbeitsplätze abgebaut und mir ein Angebot zum freiwilligen Ausscheiden unterbreitet. Ich habe es angenommen und versuche mein Glück nun auf neuen Wegen.«

    Gabriele Pauli(51), Politikerin:
    »Ich versuche, die Krise zu verstehen. Es gibt ein Netzwerk zwischen Banken, Wirtschaft und Politik, das in der Vergangenheit möglicherweise zugunsten einiger weniger ganz gut funktioniert hat. Wenn wir in unserem Staat irgendwann noch mal was bewegen wollen, dann müssen wir an dieses Netzwerk rangehen.«

    Songül Cobanoglu
    (33), Angestellte in einem Fotostudio:
    »Wenn Leute kommen, um sich fotografieren zu lassen ­ Hochzeitspaare oder Familien zum Beispiel ­ nehmen sie jetzt immer die günstigsten Angebote. Nur Bewerbungsfotos werden noch gemacht, manchmal 40 oder 60 Stück auf einmal!«

    Lilli Oldag (12, im Bild), Schülerin:
    »Ich wollte letztens mit meiner Freundin in die Stadt fahren zum Shoppen. Mein Papa hat mir kein Busgeld gegeben, sondern meinte, dass ich mir das ja von meinem Ersparten kaufen könnte. Vielleicht kommt das von der Krise? Ich bekomme 5 Euro Taschengeld die Woche.«

    (Lesen Sie auf der nächsten Seite:Süleyman Karadag, Inhaber eines Frühstückscafés: »Seit zwei Monaten wird viel weniger gekauft. Bei den Brötchen geht es noch, aber Kuchen essen die Leute nicht mehr.«

    Thomas J. Diekmann (61, im Bild), Wirtschaftsanwalt:
    »Anwälte leben von der Bewegung, insbesondere in der Wirtschaft. Die Richtung der Bewegung, nach oben oder nach unten, ist dabei nicht so wichtig. Angst macht mir nur, dass es einer relativ kleinen Gruppe von Menschen gelingt, legal so große Summen des Volksvermögens zu vernichten.«

    Pia Stumpf (50), Sekretärin bei Opel:
    »Ich habe Angst um meinen Arbeitsplatz. In meinem Alter ist es schwer, wieder eine Arbeit zu finden. Rücklagen habe ich nur wenige. Aktien sind was für Reiche. Wenn ich das Wort Finanzberater nur höre, kriege ich die Krise. Den kann ich mir doch sowieso nicht leisten.«

    Bane Knezevic
    (44), Deutschland-Chef McDonald's:
    »Die Verlangsamung der wirtschaftlichen Entwicklung wird sich positiv auf die Umwelt und das Klima auswirken. Gerade in der Krise werden sich zukunftsfähige Innovationen wie zum Beispiel nachhaltige Technologien durchsetzen.«
    Franziska Knuppe (34), Model:
    »Ich bin vor allem entgeistert darüber, wie die Finanzkrise in den Medien dargestellt wird. Die Art und Weise entmutigt doch die Menschen eher, als dass sie sie ermutigen würde.«

    Süleyman Karadag (38), Inhaber eines Frühstückscafés:
    »Seit zwei Monaten wird viel weniger gekauft. Bei den Brötchen geht es noch, aber Kuchen essen die Leute nicht mehr.«

    Bruno Brunnet (51, im Bild), Galerist:
    »Die wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Konsequenzen der Krise bieten zwar eine Riesenchance, können aber genauso gut in die absolute Scheiße führen. Vielleicht ist das Ganze ja einfach ein biblischer Zyklus, wie er in der Genesis steht: Nach den sieben fetten Jahren kommen halt sieben magere.«

    Ute Ohoven (63), Spendensammlerin:
    »Die Spendenbereitschaft in Deutschland ist weiterhin vorhanden. Bemerkenswerterweise sind es besonders die einfachen Leute, die spenden, wenn sie von dem Leid anderer berührt werden.«

    Stephan Landwehr
    (50), Wirt des Berliner »Grill Royal«:
    »Ob die Krise mir Angst macht? Ich sage: Angst macht Angst, Krise macht Arbeit. Die gute Seite: Das Mittagsmenu bei Joël Robuchon in Paris (2 Sterne) kostet mit Wein und Kaffee 55 Euro!«

    Claus Kleber (53), Fernsehmoderator:
    »Wenn wir jetzt über Pläne sprechen, zum Beispiel über die Zukunft unserer Kinder, dann ist ein kalter Hauch von Unsicherheit im Raum. Aber was soll man schon tun? Die einen raten zu Vorsicht und Sparsamkeit, die anderen dazu, Geld auszugeben, solange es noch was wert sei. Drum mache ich weiter wie bisher. Schwäbisch-solide.«

    Esther Gummig (43, im Bild), Diplom-Grafikerin, alleinerziehende Mutter:
    »Wenn ich ausgehe, merke ich nichts von der Krise. Viele Freunde schlagen immer noch gern teure Restaurants zum Ausgehen vor ­ die dann schon Tage vorher ausgebucht sind. Rätselhaft.«

    (Lesen Sie auf der nächsten Seite: Dieter Hildebrandt, Kabarettist:»In meinem Beruf merke ich fast nichts ­ die Menschen nehmen die Krise offenbar nicht ernst. Der Saal ist voll.«)

    Sabine Werth (52, im Bild), Gründerin der Spendenorganisation Berliner Tafel: »Wir können uns an zehn Fingern abzählen, dass die neuen Arbeitslosen kommen werden. In spätestens einem halben Jahr sind sie da.«

    Nikolaus Rheinländer (46), Taxifahrer:
    »Ich würde mir erhoffen, dass neues Solidaritätsdenken aufkommt. Zu viele Unternehmer scheißen doch auf alles und jeden und denken nur an sich.

    Peter Quast(55), Fischverkäufer:
    »Die Kunden werden sparsam. Statt Rotbarschfilet wird jetzt günstiger Seelachs gekauft.«

    Dietmar Dath
    (38), Schriftsteller:
    »Mir macht die Krise Angst: Wenn man Ratten in einen Käfig sperrt und dann das Bodengitter mit Krisenspannung elektrisiert, fangen sie an, einander totzubeißen. Die Frau an der Supermarktkasse ist noch besoffener als sonst. Mit Recht. Und das größte Rätsel ist, warum es immer noch erwachsene Menschen gibt, die den Kommunismus ablehnen.«

    Oliver Staabs
    (40), IT-Vertriebsmanager:
    »In meinem privaten Alltag bemerke ich die Krise bisher kaum. Habe den Eindruck, dass viele Freunde sich gerade jetzt etwas gönnen. Überall werden Häuser, Autos, Boote gekauft.«

    Joachim Weckmann (55), Bäcker:
    »Für mich ist diese Krise eine Charakterkrise. Und ich denke, dass sie in Bezug auf Finanzwirtschaft und Politik zu einem Reinigungsprozess führen wird.«

    Andreas Zierhut (45, im Bild), Chef einer Bio-Textilreinigungsfirma:
    »Bisher hat sich die Krise in meiner Firma noch nicht bemerkbar gemacht. Aber wenn immer mehr Kurzarbeit kommt, werden viele vielleicht wieder selber ihre Hemden bügeln. Was soll's ich habe sowieso schon sieben Jahre lang keinen Urlaub mehr gemacht.«

    Dieter Hildebrandt (81), Kabarettist:
    »In meinem Beruf merke ich fast nichts ­ die Menschen nehmen die Krise offenbar nicht ernst. Der Saal ist voll. Privat versuche ich, die Krise zu bemerken. Es gelingt mir nicht.

    Gabriele Weishäupl (62), Münchner Fremdenverkehrschefin:
    »Das Oktoberfest ist bereits wieder bestens gebucht, ein krisenfestes Unternehmen. Aber wir bemerken einen schleichenden Rückgang bei den Touristenströmen aus den USA.«

    Dirk Müller (40), Kursmakler (»Mister Dax«):
    »Das blinde Vertrauen auf mathematische Modelle hat hochintelligente Menschen daran gehindert, auf ihren gesunden Menschenverstand zu vertrauen. Wir handeln doch an der Börse immer nur mit Wahrscheinlichkeiten.«

    Michael Biedermann (44), Architekt:
    »Meine Frau und ich haben ein Haushaltskonto eröffnet. Jetzt wird nur noch die Hälfte von dem ausgegeben, was eingenommen wird. Bisher haben wir uns um Geld eher wenig Gedanken gemacht. Meine Frau und ich haben aber festgestellt, dass Sparen in dieser Form durchaus Spaß machen kann.«

    Tamara Tischer (46, im Bild), Leiterin einer Friseurschule:
    »Früher haben Frauen mehr Geld für Friseure ausgegeben. Jetzt entsteht zwischen den Friseuren ein kleiner Konkurrenzkampf. Das ist gut für mich, da sich viele Friseure weiterbilden möchten und meine Seminare besuchen. Das heißt für mich, dass es momentan eher bergauf geht.«

    (Lesen Sie auf der nächsten Seite: Reiner Calmund, Fußballexperte: »Meine Sorge ist, dass der eine oder andere Unternehmer schlechte Geschäfte nun ausschließlich pauschal auf die Krise schiebt, um sich einen Freifahrtschein zu besorgen.«)

    Abdullah Aschemchel (61, im Bild), Kioskbetreiber:
    »Bis vor ein paar Jahren konnte ich von meinem kleinen Laden noch leben ­ obwohl ich kein Lotto anbiete. Seit einem halben Jahr sieht es anders aus: Ich liege abends im Bett und mache mir Sorgen, wie ich weiter existieren soll. Das zehrt sehr an meinen Kräften.«

    Pia Pfaller (50), Sparkassenangestellte:
    »Die Kunden haben uns die Bude eingerannt. Nach dem Motto: Hauptsache sicher. Weg von den Risikobanken. Auf einmal waren die konservativen Banken wieder gefragt. Wie viel ich selbst durch das Ganze verloren habe, will ich im Moment lieber gar nicht wissen.«

    Reiner Calmund (60), Fußballexperte:
    »Meine Sorge ist, dass der eine oder andere Unternehmer schlechte Geschäfte nun ausschließlich pauschal auf die Krise schiebt, um damit von eigenen Unzulänglichkeiten abzulenken und sich einen Freifahrtschein zu besorgen.«

    Anne Unger (31, im Bild), selbstständige Werberin:
    »Ich habe mich vor einem ¾ Jahr selbstständig gemacht. Es gibt Menschen, die sagen, eine schlechtere Zeit hättest du dir wohl nicht aussuchen können. Ich sehe das anders. Ich habe Kunden gewinnen können. Wenn wir dran glauben, wird 2009 das Jahr der Chancen.«

    Otto Graf Lambsdorff (82), ehemaliger Wirtschaftsminister:
    »Ich teile die Erwartung, dass das deutsche Bruttosozialprodukt viel stärker schrumpft, als es die Bundesregierung einschätzt. Die Finanzkrise kann im Ernstfall zu sozialen Unruhen führen. Ich selbst bemerke sie in Form von Verlusten in meiner privaten Altersvorsorge. Mein Wertpapierdepot ist um mehr als 20 Prozent geschrumpft. Aber ich sehe kaum eine Möglichkeit, den Entwicklungen auszuweichen. Jedenfalls bin ich in meinem Lebensalter nicht mehr in der Lage, Vermögensverluste durch Arbeit wieder zu ersetzen.«

    Elfriede Thiele (67), Betreiberin eines Kleiderladens:
    »Ich wüsste nicht, warum ich Angst haben sollte. Das ist doch alles nur Trara. Die Umsätze gehen zwar zurück, der Winter war katastrophal, aber das liegt doch nur an der Angstmache. Was hatten wir denn früher für Perspektiven? Keine!«

    Heinrich Breloer (67, im Bild), Regisseur:
    »In Sicherheit werden wir nie sein. Ich hoffe, dass wir eines Tages alle auf eine globale Krise zurückblicken, die von der ganzen Welt gemeinsam gelöst wurde. Wir sind ja der wesentliche Teil des Systems der Marktwirtschaft: Wir leben unter der Sauerstoffblase des Vertrauens.«

    (Lesen Sie auf der nächsten Seite: Barbara Schöneberger, Entertainerin: »Irgendwie hab ich seit Jahren das Gefühl, dass wir die soziale Sorglosigkeit meiner Jugend in den Achtzigern nicht mehr zurückbekommen.«)

    Anna Serebrjakova (24, im Bild), Verkäuferin am Münchner Viktualienmarkt:
    »Ich spare jetzt auf ganz altmodische Art und Weise (Sparschwein), das Geld wird zwar nicht verzinst, aber das kann mir niemand nehmen.«

    Kathrin Schwarz (26), Verkäuferin in einem Kiosk:
    »Es ist deutlich weniger los. Am meisten merken wir das beim Lotto ­ Jackpot-Tage ausgenommen. Und beim Tabak. Viele kaufen jetzt billige Zigaretten, Zigarillos. Oder drehen selber.«

    Barbara Schöneberger (35), Entertainerin:
    »Irgendwie hab ich seit Jahren das Gefühl, dass wir die soziale Sorglosigkeit meiner Jugend in den Achtzigern nicht mehr zurückbekommen.«

    Thilo Sarrazin (64, im Bild), Berliner Finanzsenator:
    »Mir macht die Krise schon Angst, weil der bisherige Verlauf historisch einmalig ist und wir keine zuverlässigen Prognosen haben, wie es weitergeht. Ansonsten lautet meine Regel: Nur das Geld ausgeben, das man hat. Hat man weniger, gibt man weniger aus. Für Strom, Heizung und ein neues Taschenbuch wird es ja noch reichen.«

    Ralf Schmerberg (44), Filmemacher:
    »Plötzlich diese Unsicherheit: Betrifft es einen selbst oder am Ende doch nur die anderen? Die Wirtschaftskrise entpuppt sich als globale Identitätskrise. Jonathan Meese hat mal zu mir gesagt, er wolle an einer wirklichen Revolution teilnehmen. Könnte sein, dass sich jetzt die Chance bietet.«

    Claus Rehm (61, im Bild), Steinmetz und Bildhauer:
    »Ich verdiene als Handwerker mein Geld mit meinen Händen. Von der Hochfinanz und den Geldjongleuren habe ich mich immer verarscht gefühlt. Jetzt kommt alles mal wieder auf den Boden. Wer weiß, vielleicht müssen wir unsere Welt völlig neu erfinden. Vielleicht ist schon die Idee Geld überhaupt veraltet. Die Krise ist ein Umbruchsmoment: Jeder Sturm bringt frischen Wind.«

    (Redaktion: Christine Dohler, Max Fellmann, Tobias Haberl, Patricia Hecht, Martin Langeder, Moritz Pontani, Rainer Stadler, Alexandros Stefanidis, Peter Wendl, Antje Windmann)

    Fotos: Konrad R. Müller