Ich liebe meinen Hund, ist ja eigentlich klar – und doch ein bisschen erstaunlich: Man legt 350 Euro auf den Tisch, sucht sich ein Hundebaby aus, nimmt es mit nach Haus – und nach ein paar Tagen liebt man es. Mit der Zeit vertieft sich das Gefühl, auch wenn der Hund irgendwann nicht mehr so süß aussieht und riecht wie als Welpe. Und nun, nach sieben Jahren, denke ich manchmal mit Schrecken, dass vielleicht schon die Hälfte der Zeit mit Ringo abgelaufen ist.
Aber liebt mein Hund mich auch? Und wenn ja, was ändert das? Ich könnte ihn doch auch lieben, ohne dass er meine Gefühle erwidert. Viele Verhaltensforscher und auch sonst viele Menschen bezweifeln, dass derart komplexe tierische Gefühle existieren. Und die, die zugeben, dass sie existieren, halten sie zumindest für unbedeutender als die menschlichen und führen das Verhalten nicht menschlicher Lebewesen auf umweltbedingte und soziale Einflüsse zurück. Sie schütteln den Kopf und sagen: »Mach dir nichts vor. Er himmelt dich nur an, weil du es bist, die ihm zu fressen gibt.« Oder: »Du bist der Rudelführer, mehr nicht.«
Ich glaube nicht, dass das stimmt. Es geht schon damit los, dass mein Hund, ein Jack Russell, meinen Schlaf bewacht. Wenn ich am Morgen die Augen aufschlage, liegt er auf seiner Decke und beobachtet mich schon. Dann stehe ich auf und er kommt an, sucht Nähe, schmiegt seinen Kopf in meine Hand, gräbt ihn in meine Armbeuge. Er trottet hinter mir her, wenn ich in die Küche gehe. Ich schalte das Radio an und fülle Wasser in den Kocher. Er sitzt still da, seine Augen folgen jeder Bewegung. Wenn ich mich an den Küchentisch setze, rollt er sich darunter zusammen, legt eine Tatze auf meinen Fuß und brummt leise.
Wenn das nicht Liebe ist, dann weiß ich es auch nicht. Liebe ist doch vor allem der Wunsch nach Nähe zu einem bestimmten Wesen, für das man sorgt und das man beschützt, falls es nötig ist. Es gibt Menschen, von denen ich glaube, dass sie mich lieben. Aber sie zeigen es viel weniger deutlich als der Hund. Natürlich weiß ich nicht, was genau der Hund fühlt. Aber weiß ich denn, was genau die Menschen empfinden, von denen ich glaube, dass sie mich lieben?
Während des Tages lässt das Zärtlichkeitsbedürfnis des Hundes nach. Doch steht er jedes Mal auf und folgt mir, wenn ich einen Raum verlasse. Manchmal sieht es so aus, als würde er tief schlafen, aber beim leisesten Geräusch aus meiner Richtung klappen seine Augen auf und er wirkt hellwach. Wenn ich zur Haustür gehe, guckt er mich an und stellt die Ohren nach vorn. Ich werde doch nicht ohne ihn gehen? Wenn ich nach der Leine greife, freut er sich wie verrückt und springt hoch in die Luft. Wenn ich sage: »Du passt aufs Haus auf«, lässt er Ohren und Kopf hängen.
Jetzt sagen die Skeptiker, der Hund möchte halt raus, herumrasen und zu all den schönen Hündinnen an der Isar. Ich sage: Ja, aber am liebsten in meiner Gesellschaft. Wenn ich eine Reisetasche packe, kann den Hund zum Ausführen und zu den schönen Hündinnen abholen, wer will, er wird nicht mitgehen. Er wird sich vielleicht zu ein paar Schritten überreden lassen, wenn man ihn mit Leckerbissen lockt, doch dann wird er einen Haken schlagen und zurücklaufen, nach Hause. Oder er wird mitten auf der Straße stehen bleiben, eine Pfote heben und den Kopf rückwärts drehen, mit flehendem Blick. Wieder zu Hause wird er sich so vor die Wohnungstür legen, dass man nicht an ihm vorbei herauskann.
Warum sollte er das alles tun, wenn nicht aus Liebe? Einer Liebe übrigens, die nicht nachlässt wie die Verliebtheit zwischen zwei Menschen. Der Hund freut sich auch nach Jahren noch jedes Mal sehr, wenn ich nach Hause komme. Man sieht das nicht nur daran, dass er wild mit dem Schwanz wedelt, sondern auch an seinen Augen. Sie können ganz blank sein vor Freude. Und sie werden matt, wenn er merkt, dass er allein bleiben muss. Er geht sogar lieber mit in die Stadt, schleppt sich samstags von Zara zu Muji und über den Viktualienmarkt, als allein zu Hause zu bleiben. Manche Leute unterstellen, dass ich mir das so hinbiege, weil es mir so passt. Aber ich weiß, dass es stimmt. Ich kenne ihn, meinen Hund.
Das ist natürlich alles nur Feldforschung. Doch kürzlich wurde auch in biochemischen Forschungslabors bewiesen, dass Hunde sich sehr gern in der Nähe ihres Herrchens aufhalten. Der südafrikanische Forscher Johannes Odendaal und seine amerikanische Kollegin Rebecca Johnson untersuchten Paare aus Mensch und Hund. Wenn sie sich nur zwanzig Minuten lang still in demselben Raum befanden, stieg bei beiden der Glückshormonspiegel an, während der Stresshormonspiegel sank: Es wurden vermehrt Oxytocine, Prolactine, Endorphine und Phenylethylamine ausgeschüttet, dafür weniger Cortisole. Wenn Hund und Mensch sich dann gegenseitig auch noch Zuwendung schenkten, stieg der Spiegel der Stimmungsaufheller abermals an. Nicht nur beim Menschen, was längst bekannt ist, sondern eben auch beim Hund.
Endorphine kennt man vom Sport: Sie beglücken einen, wenn man sich ordentlich bewegt hat. Phenylethylamine sorgen für die Art Euphorie, wie man sie beim Schokoladeessen empfinden kann. Prolactin löst Fürsorge aus: Es tritt vermehrt bei werdenden Müttern und sogar auch bei werdenden Vätern auf. Das sogenannte Treuehormon Oxytocin schließlich kommt besonders stark bei Müttern während des Stillens vor, aber auch bei frisch Verliebten, die sich tief in die Augen sehen oder sich berühren. Es sorgt für ein starkes momentanes Glücksempfinden durch die erlebte Bindung.
»Woran sieht mein Hund, dass ich Schmerzen habe?«
Folgerichtig stehen Hunde – und das müssen jetzt selbst die größten Behavioristen zugeben – seit Menschengedenken für die Treue zum Menschen. »Es gibt keine Treue, die nicht schon gebrochen wurde, ausgenommen die eines wahrhaft treuen Hundes«, schrieb Konrad Lorenz. Im Spielfilm Heimweh aus dem Jahr 1943 läuft der Collie Lassie dreimal durch ganz Yorkshire, um sein Herrchen Joe um Punkt vier Uhr von der Schule abzuholen. Und Terrier Bobby soll, nachdem sein Herr, Old Jock, gestorben war, für den Rest seines Lebens an dessen Grab gewacht haben.
Tatsächlich glaube nicht einmal ich, dass mein Hund das für mich tun würde. Aber auch Hunden muss man zugestehen, mehr oder weniger lieben zu können. Und unterschätzen sollte man sie nicht. Der Hund meiner Schwester wurde eines Tages im Kölner Stadtwald auf unglückliche Weise von einem Auto daran gehindert, zu ihr zurückzulaufen. Als das Auto vorbeigefahren war, war auch der Hund verschwunden. Meine Schwester wohnt viele Kilometer entfernt vom Kölner Stadtwald und war nie vorher mit dem Hund dort gewesen. Sie wartete also und rief und pfiff, zwei Stunden lang. Nichts. Sie fluchte, heulte, rief und pfiff weiter. Irgendwann fuhr sie nach Hause, holte die Decke des Hundes und seinen Futternapf. Sie stellte Futter an die Stelle, an der sie ihn zuletzt gesehen hatte, und legte die Decke daneben.
Tagelang passierte nichts. Die Familie redete über kein anderes Thema, alle schliefen schlecht. Nach einer Woche gab meine Schwester es auf, täglich mehrmals an die Stelle zu fahren, an der sie den Hund verloren hatte. Nach zehn Tagen lag der Hund auf der Schwelle ihres Hauses, er war fast tot vor Erschöpfung. Der Tierarzt, der ihn untersuchte, sagte, Hunde würden von dem Ort aus, an dem sie verloren gehen, ihr Zuhause in immer größer werdenden Kreisen suchen. Spiralförmig. Der Hund meiner Schwester musste Hunderte Kilometer gelaufen sein und verschiedentlich sechs- und achtspurige Straßen überquert haben. Er wurde 18 Jahre alt, was für einen Hund außergewöhnlich ist. Er war blind und taub und steif, joggte nur noch um einen Baum im Garten. Er wich meiner Schwester kaum von der Seite. Als wollte er sie niemals mehr allein lassen.
Da die Liebe aber eine sehr komplexe Angelegenheit ist, geht es um mehr als Zuneigung, Hingabe, Nähebedürfnis. Um Empathie beispielsweise, im Idealfall so eine Art Verantwortung für den anderen. Der populäre deutsche Neurobiologe und Hirnforscher Gerald Hüther schreibt in seinem Buch Bedienungsanleitung für ein menschliches Gehirn, die Fähigkeit zur Empathie würde das menschliche Gehirn von allen anderen Nervensystemen unterscheiden. Dabei übersieht er, dass der amerikanische Psychologe Russell Church bereits 1959 bei einem Versuch feststellte, dass sogar Ratten das Leid anderer Ratten begreifen können. Church brachte den Ratten bei, einen Hebel zu drücken, um an Futter zu kommen. Jedes Mal, wenn eine Ratte den Hebel betätigte, wurde einer anderen Ratte ein Stromschlag verpasst. Sie wand sich vor Schmerzen. Nach einer Weile weigerte sich die eine Ratte, den Hebel zu drücken – sie konnte den Schmerz der anderen mitempfinden.
Nun, ein halbes Jahrhundert später, wurde dieses Experiment im Zuge einer verstärkten Empathieforschung weitergeführt. Das Ergebnis: Mäuse, die sich aus dem Käfig kennen, empfinden den Schmerz ihrer Genossen viel stärker mit als Mäuse, die sich nicht kennen. Die Wissenschaft folgert daraus: Wenn Mäuse empathisch sind, sind Hunde es allemal. Sie verfügen also tatsächlich über ein großes Spektrum an Emotionen, von denen einige, wie die Empathie, sogar einen gewissen Grad an bewusstem Denken erfordern. Und weil Hunde und Menschen seit 40 000 Jahren auf engem Raum zusammenleben, weil sie also Sozialpartner geworden sind, stehen sie einander mindestens so nah wie eine Maus der anderen und empfinden füreinander Empathie.
Nur: Woran sehen Hunde, dass es dem Menschen, den sie lieben, schlecht geht? Oder dass er Schmerzen hat? Denn dieselbe Sprache sprechen Hunde und Menschen ja nicht.
Verhaltensforscher unterzogen Hunde, Wölfe und Affen mehrfach sogenannten Objekt-Wahl-Tests: Unter Bechern versteckten sie Futter. Dann deutete ein Mensch mit dem Finger auf den Becher. Die Wölfe und Affen verstanden den menschlichen Fingerzeig meist nicht, aber unter den Hunden begriffen oft schon die Welpen, worum es ging. Über ihre lange Zugehörigkeit zum Menschen haben Hunde also gelernt, dessen Mimik und Gestik zu lesen, und sie geben dieses Wissen offenbar in ihren Genen weiter. Im Gegensatz zu den Menschen übrigens, denen man in der Hundeschule erst einmal erklären muss, was ein Hund mit seiner Körpersprache sagen möchte.
Und mein Hund, ist er mitfühlend? Versteht er meine Gestik, meine Mimik? Manchmal schon. Wenn ich mit Fieber im Bett liege, ist er, der eigentlich ziemlich hyperaktiv ist, mit kleinen Notrunden draußen zufrieden. Als würde er einsehen, dass mich jeder Schritt anstrengt. Wenn ich Kummer habe, kommt er zu mir und legt den Kopf auf mein Knie, ganz zart, auch abends, wenn sein Zärtlichkeitsbedürfnis eigentlich gegen null geht. Seine Augen sind dann dunkel, voller Anteilnahme. Er liebt mich also, mein Hund. Er empfindet Wut, Schmerz, Trauer, Angst, Glück. Er fühlt mit mir mit. Vielleicht hat er sogar Emotionen, die wir Menschen gar nicht kennen und darum auch bisher nicht erforscht haben. Dieses Wissen ist nicht nur befriedigend, weil der Hund meine Liebe erwidert. Es ist wirklich wichtig. Weil es zeigt, dass nicht die Menschen allein über tiefe Gefühle verfügen. Und weil es die Haltung der Menschen gegenüber den Tieren verändert. Denn wer denkt, Tiere könnten nicht denken und kaum fühlen, darf ja fast alles mit ihnen machen.
Foto: Hubertus Hamm