Die Gewissensfrage

Darf man eine Party geben, um seine Scheidung zu feiern? Oder ist das geschmacklos?

»Ist es guter oder schlechter Geschmack, anlässlich einer Scheidung eine Party zu geben? Oder anders gefragt: Ist das Scheitern einer Lebensplanung ein freudiges Ereignis, das man feiern sollte, oder ein trauriges Ereignis, das man besser einfach nur hinnimmt? Verletzt man vielleicht seine eigenen Gefühle oder die anderer, etwa der Kinder, wenn man eine Scheidung feiert?« Sandra B., Aachen

Rein logisch scheint es klar: Im Falle einer Scheidung beschließen zwei Menschen, dass sie das Leben lieber getrennt statt wie bisher miteinander verbunden fortsetzen wollen. Zumindest einer von beiden bekommt an diesem Tag etwas, was ihm oder ihr lieber ist als das Vorherige. Und in vielen Fällen sehen das sogar beide so. Das ist etwas Erfreuliches, also auch Anlass für eine Party.

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Psychologen betonen, dass Statusänderungen im Leben häufig von Ritualen begleitet werden. Dazu gehören Abschlussfeiern an Schulen und Hochschulen oder der besonders groß gefeierte 18. Geburtstag zur Volljährigkeit. Und, speziell im Hinblick auf Partnerschaft, der Übergang von Junggeselle zu Ehepartner mit der Hochzeit und der von Ehepartner zu Witwer oder Witwe mit Beerdigungszeremonie und Leichenschmaus. Es mag makaber klingen, aber das spricht dafür, auch den häufigen Übergang von »verheiratet« zu »geschieden« durch eine Feierlichkeit zu begehen; und deren heute geläufigste Form ist nun einmal die Party. Dies passt auch insofern, als man derartige Übergänge – mögen sie auch betrübliche Komponenten haben – immer auch als Neubeginn sehen und versuchen sollte, etwaige Trauer zu verarbeiten und zu überwinden. Oder in den Worten Hermann Hesses aus seinem in diesem Zusammenhang fast unvermeidlichen Gedicht Stufen: »Es muß das Herz bei jedem Lebensrufe / Bereit zum Abschied sein und Neubeginne, / Um sich in Tapferkeit und ohne Trauern / In andre, neue Bindungen zu geben …Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!«

Mit Einschränkungen. Die erste würde ich machen wollen, wenn Kinder da sind, die unter der Scheidung leiden und es nicht verstehen würden, wenn ein Elternteil nun feiert. Aber auch wenn einer der frisch Geschiedenen unter der Trennung übermäßig leidet, könnte das aus nachwirkender partnerschaftlicher Rücksichtspflicht gegen eine Party sprechen. Und schließlich ganz einfach: wenn trotz aller Überlegungen ein ungutes Gefühl beim Feiern bleibt.

Aber wenn ich bei einem einschneidenden Ereignis grundsätzlich abwägen soll zwischen Rücksicht auf die Vergangenheit und Ausblick in die Zukunft, würde ich – sofern nicht gewichtige spezielle Gründe entgegenstehen – stets für die Zukunft plädieren. Denn die will noch gelebt werden.

Literatur:

Hermann Hesse, Stufen. In: Sämtliche Gedichte in einem Band. Suhrkamp-Verlag, Frankfurt am Main 1995.

14. Berliner Kolloquium der Daimler-und-Benz-Stiftung am 20. Mai 2010: Wozu braucht es Rituale? Kulturwissenschaftliche und neurobiologische Perspektiven
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Zur Tagung ist ein Spezial (1/2011) der Zeitschrift Spektrum der Wissenschaft mit dem Thema „Rituale“ erschienen.

Illustration: Marc Herold