SZ-Magazin: Ein Mann, den sie Ratte nennen, ein Mann, der rücksichtslos seine Ziele verfolgt, der sich keine Gefühle gönnt, kurz: ein richtiges Arschloch. Herr Lauda, erkennen Sie sich da wieder?
Niki Lauda: Als ich den Film zum ersten Mal gesehen habe, dachte ich: Boah, bin ich das? So hart, so ruppig? Meine Frau Birgit hat mich angeschaut und sofort gefragt: Warst du damals wirklich so? Ich hab ihr sagen müssen: Ja, so war ich.
Daniel Brühl: Da bin ich ja froh, dass ich dich erst so spät kennengelernt habe.
Wie haben Sie sich kennengelernt?
Brühl: Es war klar, für die Rolle muss ich mit ihm reden. Das erste Telefonat war im Morgengrauen, um sechs oder sieben Uhr. Lauda steht ja immer unglaublich früh auf. Ich sah »0043« auf dem Handy, also die Vorwahl von Österreich, ging ran, und er meinte nur: Wir müssen uns treffen, kommst mich besuchen, aber bring nur Handgepäck mit - wenn wir uns nicht verstehen, kannst gleich wieder abhauen.
Lauda: Ah geh, so aggro war ich nicht.
Brühl: Na ja ... Also bin ich mit meinem Beutelchen nach Wien gefahren. Ich war nervös, ich hatte ja das Drehbuch gelesen und dachte, das Bild vom harten Lauda wird schon der Wahrheit entsprechen. Aber dann musste ich Wäsche nachkaufen - wir haben uns tatsächlich gut verstanden, ich konnte länger bleiben.
Da sind Welten aufeinandergeprallt. Sie, Herr Brühl, gelten als diplomatisch, bedächtig. Niki Lauda dagegen hasst Grauzonen und sagt, er kann es nicht leiden, wenn Menschen »Ja, aber« sagen.
Lauda: Ich habe das durch den Sport. Man kann dort immer Ausreden suchen: Ja, es ist schief gegangen, aber der andere war's, das Wetter oder der Stoßdämpfer. Das bringt nichts. Besser ist es, den Fehler bei sich selber zu suchen. Im Geschäftsleben ist es bei mir das Gleiche. Jeder erzählt dir, wie es nicht geht. Das interessiert mich nicht. Ich fordere immer: Sagen Sie mir, wie wir das Problem lösen.
Brühl: Da bin ich genau das Gegenteil. Er ist brutal konsequent. Ich kenne keinen, der so vehement eine Meinung hat, der so klar ist. Da kann ich auch was lernen. Ich bin konfliktscheu. Gerade im Zwischenmenschlichen bin ich in meinem Leben schon oft feige und inkonsequent gewesen.
Lauda: Na ja, Daniel, ich muss sagen, im Privatleben stoße ich schon auch an Grenzen. Zumindest, wenn ich meiner Frau genauso konsequent bei allem sage: Ja oder Nein.
Herr Brühl, Sie werden oft als nett und freundlich dargestellt, genauso oft sagen Sie, dass Sie das nervt. Nun haben Sie einen komplett anderen Typen gespielt. Haben Sie da ...
Lauda: Moment, da muss ich unterbrechen! Daniel - hast du eigentlich irgendwas von mir behalten, etwas übernommen? Dann müsstest du ja jetzt ganz unsympathisch geworden sein ...
Brühl: Also, wenn mir beim Dreh etwas nicht gepasst hat, hab ich manchmal mit deiner Stimme gesprochen, knapp, scharf, mit Akzent: »Who did it?« oder »The shooting ist too long. Let's finish.« Es war ja ein komplett amerikanisches Filmteam. Ich hatte den Eindruck, die Leute haben dann eher gemacht, was ich wollte. Das sollte ich vielleicht beibehalten. Überhaupt hat mir Niki geholfen, Schiss zu verlieren. Allein wie schnell er damals nach dem Unfall zurückgekehrt und wieder ins Auto gestiegen ist! Die Angst zu überwinden, nachdem man dem Tod so knapp von der Schippe gesprungen ist - das ist für mich kaum begreiflich. Unmenschlich.
1976, der Unfall am Nürburgring, bei dem Sie, Herr Lauda, 50 Sekunden im offenen Feuer saßen. Wie war das, sich jetzt, anlässlich des Films, wieder damit zu beschäftigen?
Lauda: Ich habe ja an den realen Unfall keine Erinnerung. Nichts. Gar nichts. Der Aufprall war so hart, dass es mir den Sturzhelm heruntergerissen hat. Das war ein echter Knock-out. Mir fehlen zwei Stunden.
Nur 42 Tage nach dem Unfall haben Sie den Helm wieder aufgesetzt und sind weitergefahren. Das können viele bis heute nicht fassen.
Lauda: Am Nürburgring wurde der Film neulich gezeigt, extra für die ganze Formel-1-Kommune. Neben mir saßen die Jungen, der Lewis Hamilton, der Nico Rosberg. Die wussten gar nicht, dass die Gefahr damals so groß war. Die Szene mit dem Sturzhelm, da ist der Lewis immer mehr in sich zusammengesunken. Er hat mich völlig entgeistert angeschaut. Und ich hab gesagt: »Halb so wild, ich bin doch noch da.«
Halb so wild?
Lauda: Schauen Sie, ich hab mich nie damit auseinandergesetzt, was die anderen empfinden. Als ich damals aus dem Krankenhaus kam, haben mich die Reaktionen der Menschen wahnsinnig geärgert. Die haben sich erschreckt, als sie mich gesehen haben. Sie haben mir nicht mehr in die Augen geschaut, sondern auf mein Ohr. Ich hab gesagt: »Wenn Sie mit mir reden, schauen Sie mir in die Augen.« Ich fand das verletzend. Jetzt, bei dem Film, habe ich zum ersten Mal verstanden, warum die Menschen so reagiert haben. Es war der Schock.
Brühl: Sogar mich in der Maske haben die Leute am Set erschrocken angeschaut.
Lauda: Ich habe erst jetzt die innere Ruhe gefunden, mit diesen Blicken von damals umzugehen. Ich denke im Nachhinein, die hatten alle recht. Es gibt im Film diese Szene, wo ich das erste Mal nach dem Unfall wieder an der Rennstrecke bin, in Monza. James Hunt kommt hinzu, ich, also Daniel, dreh mich um - und man sieht dieses Gesicht. Bamm. Da hab ich gedacht: Scheiße. Was für ein Anblick!
Niki Lauda nennt seinen Unfall gern »das Barbecue«. Wie finden Sie das, Herr Brühl?
Lauda: Ja, Daniel, da lachst du, aber das hab ich halt irgendwann mal geantwortet, weil mich die Leute immer gefragt haben, wie war das? Und was soll ich denn da sagen? Hab ich halt gesagt, ein Barbecue, und jetzt hörts auf zu fragen.
Herr Brühl, Sie graust es bei der Formulierung nicht?
Brühl: Ich finde das super. Das können wir Deutsche auch von den Österreichern lernen - Sinn für Humor.
Ist das speziell österreichisch?
Brühl: Vielleicht wienerisch. Morbid. Die haben keine Berührungsängste, da darf der Tod immer Thema sein. Wenn ich dran denke, was er gestern erzählt hat: wie er die Moderatorin von dieser amerikanischen Show erschreckt hat, mit seinem wiedergefundenen Ohr.
Wie bitte?
Brühl: Niki, erzähl das noch mal.
Lauda: Na ja, das war eine von diesen amerikanischen Morningshows, die kamen zum Nürburgring, und so eine Frau, groß, blond, alles dran, wollte mich an der Unfallstelle interviewen. Die hatten sich alle gesagt: Ui, der wird sicher weinen, das wird ein ganz großer emotionaler Moment! Ich hab mir aber vom Hotelbuffet ein Kipferl mitgenommen und das vorher ins Gras gelegt. Die fängt an: »Mister Lauda, how is it to be here ...« Sag ich: »Just a moment!« und geh ein paar Schritte ins Gras. Fragt sie: »What are you doing?« Sag ich: »Oh look, here's my ear!« Die war fertig. Die hat die Fassung verloren. Die mussten alles noch mal drehen.
Brühl: Unfassbar!
Lauda: Aber Daniel, meinst nicht, wenn du in so einer Situation wärst, und es gäbe die Möglichkeit, da mit Ironie rauszufinden, dass du es auch so machen würdest? Wenn man verletzt ist oder im Rollstuhl sitzt, irgendein Handicap hat, dann ist das ein guter Weg, diese endlosen peinlichen Situationen zu überwinden.
Brühl: Absolut.
Lauda: Nur so kann man zeigen: Es belastet mich nicht. Ich kann damit umgehen.
»Ich wusste immer: In der nächsten Runde kann ich tot sein«
Verletzungen und Tod sind Teil des Geschäfts - wie sind Sie denn vor Ihrem Unfall damit umgegangen?
Lauda: Du kommst in die Formel 1 und plötzlich, bing, stehst Du vor einem tödlich verunglückten Kollegen. Beim ersten Mal sagst, des is a Pech. Gut. Beim zweiten Mal denkst du dir: Oh, warum ist das jetzt passiert? Ich habe gesehen, wie der François Cevert vor mir innen die Fahrbahnbegrenzung berührt, 90 Grad nach links abbiegt, anschließend stand ihm die Leitplanke aus dem Bauch. Das Auto musste mit ihm drin abtransportiert werden, weil er nicht herauszukriegen war. Ich war der Erste dort.
Brühl: Und wie kommt man mit so einer krassen Situation klar?
Lauda: Für mich war die einzige Lösung, genau zu analysieren, was passiert ist. Es lag eben daran, dass er rechts an den Randstein hingefahren ist. Also war die Konsequenz: Ich darf unter keinen Umständen den Randstein berühren. Als die Strecke nach einer Stunde wieder offen war, bin ich raus - und die schnellste Runde gefahren. Im Auto habe ich mir Gefühle versagt. Ich habe das mal so genannt: Ich durfte mich nicht vermenschlichen. Ich wusste immer: In der nächsten Runde kann ich tot sein.
Brühl: Ich glaube, das kann man nicht verstehen, wenn man es nicht erlebt hat.
Waren Sie dem Tod mal nahe, Herr Brühl?
Brühl: Immer nur gefühlt.
Zum Beispiel?
Brühl: Na ja, ich bin extremer Hypochonder.
Lauda: Ha.
Brühl: Doch, ich dachte schon manchmal: Aus, jetzt habe ich noch einen Tag ... Mein Arzt lacht sich jedes Mal tot, wenn er mich sieht, und fragt, na, was ist es denn heute?
Lauda: Du bist also ein Hypochonder und glaubst bei einer Verkühlung schon, du stirbst - und dann spielst ausgerechnet mich, dem genau das Gegenteil passiert ist ...
Brühl: Tja.
Lauda: Aber jetzt kannst du meinen Fall anschauen und glaubst nicht gleich bei jeder Verkühlung, das Ende ist gekommen. Hilft das?
Brühl: Ja, es hat tatsächlich geholfen.
Herr Lauda scheint Ihnen also gutzutun, Herr Brühl. Vielleicht hätte er Ihnen auch sagen können, wie Sie mit Halbstarken im Flieger umgehen sollen. Sie haben mal erzählt, dass Sie da ganz furchtbar mit Papierkügelchen beworfen wurden.
Brühl: Moment, das waren bestimmt zwanzig! Eine Riesentruppe, einige schön rasiert, aus einer bestimmten Ecke! Und ich mitten drin, Mallorca - Berlin, easyJet. Volle Maschine, das heißt, man kann sich auch nicht umsetzen. Nach wenigen Minuten der erste Spruch: »Ich dachte, ein Mann von Welt fliegt erster Klasse.« Ich hab mich hinter der Zeitung vergraben, oh nee, Scheiße, das waren echt zu viele, um sich da anzulegen. Dann ging das eben zwei Stunden, bis wir gelandet sind. Mehr als ein ein klägliches böse Aufschauen von der Zeitung ist da nicht drin, eigentlich machst du nichts.
Lauda: Es wäre auch sinnlos. Ich hab ja mit Popularität eh ein Problem, ununterbrochen werd ich beobachtet. Ich hab einfach gelernt, wenn da jemand wartet und will ein Autogramm, geb ich's ihm sofort. Auch wenn ich Kaffee trinke, und der steht an der Tür und wartet, geht dir auf die Nerven, weil er nicht versteht, dass das jetzt der falsche Moment ist - ich mach's trotzdem. Damit er weg ist. Sofort reagieren! Ich versuche nie eine Konfrontation, und schon gar nicht in der Öffentlichkeit.
Nie?
Lauda: Na ja, fast nie. Gestern geh ich über die Straße, will gerade zur Bank, kommt da so ein Typ und sagt: »Hey, du, kauf einen Falter.« Der Falter ist ja eigentlich eine gute Zeitung. Ich schau den an, er schaut mich an, und dann sag ich: »Wenn Sie Zeitungen verkaufen wollen, dann können'S nicht sagen, hey du, kauf eine.« Schaut er mich noch blöder an. Sag ich: »Erst einmal sind wir beim Sie.« Dann sag ich: »Ich tät Ihnen sofort zehn Zeitungen abkaufen, wenn Sie höflich sagen: Grüß Gott, darf ich Ihnen einen Falter anbieten?« Sagt er: »Hä, zehn Zeitungen willst du mir abkaufen?« Sag ich: »Na, jetzt sicher nicht mehr!«
Bei Ihnen muss immer alles korrekt sein. Es heißt, im Flugzeug schalten Sie gern auf Autopilot und reinigen das Cockpit mit einem Pinselchen.
Lauda: Da muss ich gleich korrigieren! Der Flieger fliegt immer auf Autopilot.
Ach so.
Lauda: Aber stimmt schon, wenn man da stundenlang sitzt, zehn Stunden, kann man auch dem Piloten sagen: »Eh ihr nix tut, könnts ihr auch das abwischen.« Oder ich machs gleich selber.
Brühl: Seine Ex-Frau hat mir erzählt, er sei auch sehr sparsam im Flieger. Man durfte dort früher nicht aufs Klo gehen und musste in Flaschen pinkeln, weil die Reinigung teuer gekommen wäre. Als mich Niki neulich mit zum Rennen genommen hat, nach São Paulo, bin ich extra eine Stunde früher aufgestanden, um vier in der Früh, und so oft aufs Klo gegangen, wie ich konnte. Ich hatte so einen Horror vor dem langen Flug! War aber falscher Alarm. Niki hat nur gelacht, gesagt: »Ach geh, das war früher.«
Ehrlich gesagt, wir staunen ein wenig.
Brühl: Aber deswegen ist Niki so erfolgreich, mit allem, als Fahrer, als Geschäftsmann, als Pilot, das kommt ja auch im Film klar raus, wie er auf Kleinigkeiten achtet ...
Lauda: Genau.
Brühl: ... wie fokussiert ...
Lauda: Genau.
Brühl: ... und diszipliniert er ist.
Lauda: Genau, genau.
Brühl: So muss man wohl sein, wenn man auf lange Sicht so erfolgreich sein will.
Andere haben den Stress, die Todesangst, den Kampf um Titel mit wilden Partys ausgeglichen.
Brühl: Ja! Wenn man sich vorstellt, James Hunt hat dann vor den Rennen noch einen gekifft oder Whiskey getrunken, das ist für mich der blanke Wahnsinn. So gesehen, warst du, Niki, ja der modernste Fahrer, du hast nie über die Stränge geschlagen.
Lauda: Ich habe halt auf die Sicherheit geachtet. Ich war einer der Fahrersprecher. Und wenn da irgendwo eine Leitplanke war, wo einer drunter durch ist und es hat ihm den Kopf abgerissen, dann hab ich gesagt, die muss weg. Und im Jahr drauf war sie weg. Den meisten anderen war so was wurscht. Weils denen zu mühsam war.
Die anderen galten als cool, als die Popstars, Sie, Herr Lauda, waren für alle der Techniker.
Lauda: Korrekt.
Einer wie Daniel Brühl hängt auch als Posterboy in den Zimmern verliebter Mädchen.
Brühl: Was? Muss lange her sein.
Haben Sie, Herr Lauda, es manchmal bedauert, dass Sie nie so einer waren?
Lauda: Nein.
Also sind Sie zufrieden mit der Rolle des kalten Technokraten?
Lauda: Ich mache mir keine besonderen Gedanken darüber. So einfach ist das.
Gibt es denn irgendetwas in Ihrem Leben, was Sie bereuen?
Lauda: Nein.
Brühl: Ich muss da aber noch mal kurz einhaken. Auch wenn er sehr diszipliniert, sehr eisern ist, hinter diesen Eigenschaften verbirgt sich ein Mensch. Bei Lauda ist ja trotzdem immer Gefühl da! In der ersten Woche hab ich noch zum Regisseur gesagt: Hey, komm ich hier nicht ständig als totales Arschloch rüber? Aber er meinte immer: Wart ab.
Lauda: Und dann?
Brühl: Mit der Zeit wurde klar: Dieser Lauda, der hat eigentlich eine Menge Charme. Meine Freundin, ich und Alexandra Maria Lara, die Laudas erste Frau spielt, wir haben viel über Männertypen gesprochen - und die beiden Frauen meinten, dass sie Niki den interessanteren und auch attraktiveren Typ fanden als seinen großen Widersacher James Hunt. Und auch die Art, mit dem Unfall so umzugehen - davon geht ja eine bestimmte Attraktivität aus. Und eine Stärke. Die viele andere nicht hätten. Die meisten Menschen wären an so was zerbrochen. Er aber hat einfach weitergemacht. Faszinierend.
Lauda: Schauen'S, was hätt ich jetzt bereuen sollen?
Fotos: Paul Kranzler