»Wir waren anders als die anderen Kinder. Das hat uns zusammen geschweißt«

Zwei Freunde, die sich beim Sportunterricht kennenlernen, als Studenten an allem scheitern und dann aus einer Laune heraus eine Eisdiele eröffnen. Und weil einer von ihnen nur wenig schmecken kann, nehmen sie von allen Zutaten einfach etwas mehr - und erfinden eine der größten Eismarken der Welt. Die unglaubliche Geschichte von »Ben & Jerry’s«, erzählt von Ben Cohen und Jerry Greenfield selbst.

Freunde fürs Leben: Ben Cohen (rechts) und Jerry Greenfield.

Illustration: Mike Perry

SZ-Magazin: Herr Cohen, Herr Greenfield, als Schulfreunde haben Sie 1978 eine Eisdiele eröffnet, aus der seitdem die weltbekannte Eismarke Ben & Jerry’s geworden ist. Hat Ihre Freundschaft das überstanden?
Jerry Greenfield: Erst letztes Wochenende waren wir zusammen für drei Tage in Maine.
Ben Cohen: Es macht einfach Spaß, mit Jerry abzuhängen. Er ist der gewissenhafteste, klügste und lebenslustigste Typ, den ich kenne.
Greenfield: Man wird ja eher davor gewarnt, sich geschäftlich mit Freunden einzulassen. Für uns war es aber immer hilfreich. So haben wir viele Krisen überstanden, keiner wollte den anderen enttäuschen. Außerdem erlebt man in einem Unternehmen im Lauf der Jahre so viele ungewöhnliche, absurde Dinge – da ist es sehr wohltuend, wenn man alles mit einem Freund teilen kann.

Aber es gab auch Streit?
Cohen: Eigentlich nur über die Größe der Stückchen in unserem Eis. Das war der große Streit: Sollen wir größere Stückchen haben und dafür weniger? Oder kleine und mehr?

Klingt nach einem lösbaren Problem.
Greenfield:
Unterschätzen Sie nicht die philosophische Dimension dieser Frage! Ben mag einfach große Stückchen. Und er ging davon aus, dass das auf all unsere Kunden zutraf. Ich mag eine größere Anzahl von gut verteilten, kleineren Stückchen. Das waren die beiden Positionen. Die Frage hat daneben auch eine praktische Komponente: Es ist ganz schön schwierig, große Stückchen ins Eis zu mischen.
Cohen: Deshalb hat es auch keine andere Eisfirma gemacht. In der Lebensmittelindustrie wird das hergestellt, was gut durch die Maschinen läuft, nicht unbedingt das, was die Leute gerne essen möchten.

Wie ging der Streit aus?
Greenfield: Ich bin untergebuttert worden. Es hat sich aber schon längst herausgestellt, dass Ben recht hatte.
Cohen: Wir haben seitdem größere Stückchen in unserem Eis – aber dafür mehr davon.

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Was war das eigentlich für eine Situation, in der Sie sich kennengelernt haben?
Greenfield: Das war beim Sportunterricht in der Schule, mit 13. Auf der Laufbahn.
Cohen: Wir waren zwei dicke Jungs. Echt schlechte Läufer. Der Rest der Klasse war uns eine halbe Runde voraus. Wir hechelten hinterher, unter dem Gebrüll des Sportlehrers.
Greenfield: Wir waren anders als die anderen Kinder. Das hat uns zusammengeschweißt.

Haben Sie schon damals, Anfang der Sechziger, zusammen Eis gegessen?
Cohen:
Unsere Freundschaft wurde nicht auf Eis gegründet.
Greenfield: Aber wir haben schon immer gern zusammen gegessen. Ben hat auf eine Art über Essen nachgedacht, die ich gar nicht kannte: Er hat Kartoffelchips auf ein Roastbeef-Sandwich gelegt, um es knuspriger zu machen.
Cohen: Erst heute morgen habe ich etwas sehr Knuspriges zum Frühstück gegessen: Einen getoasteten Bagel, den ich eine Woche lang in meinem Toaster habe reifen lassen. Der war so knusprig, dass ich mir sogar einen Teil von meinem Zahn abgebissen habe. (Er zieht ein Stück Zahn aus der Tasche.) Hier, schauen Sie mal. Den können Sie gerne behalten, ich brauche ihn nicht mehr.

Später, Mitte der Siebziger, haben Sie sogar zusammen gewohnt – oft der ultimative Test für eine Freundschaft.

Greenfield: Als ich in unserer Wohnung auf der 10th Street in Manhattan ankam, hatte Ben die Wände gerade schwarz gestrichen.
Cohen: Ich wollte experimentelle Kunst machen. Mit Lichtstrahlen, Spiegeln und Prismen. Die Wände sollten der erste Schritt sein, weiter bin ich leider nie gekommen.
Greenfield: Wir haben dort festgestellt, dass wir gut zueinanderpassen. Keiner von uns hat zwanghafte Reinlichkeitsvorstellungen.
Cohen: Jerry sagt von sich, er sei ein »struppiger Schlamper«.
Greenfield: Wir hatten eine Regel, was das Saubermachen anging: Wenn einer von uns nicht mehr ertragen konnte, wie unordentlich die Wohnung war, musste er eben aufräumen.

In was für Jobs haben Sie mit Mitte zwanzig gearbeitet?
Greenfield:
Ich habe nach dem College zweimal vergeblich versucht einen Studienplatz für Medizin zu bekommen und deshalb als Labortechniker gearbeitet. Ben hat es in keinem College lange ausgehalten und irgendwann beschlossen zu töpfern.

Waren Sie ein guter Töpfer?
Cohen:
Nach Ansicht meiner wenigen Kunden eher nicht.
Greenfield: Wir waren damals 26 und eigentlich mit allem gescheitert, was wir angepackt hatten. Warum machen wir nicht einfach zusammen etwas, was uns Spaß macht?, haben wir gedacht. Und da wir gerne aßen, sollte es etwas mit Essen sein. Es war aber nicht unser Ziel, die große Karriere zu machen.
Cohen: Wir machen das jetzt einige Jahre, haben wir uns gesagt, und wenn es schiefgeht, werden wir Lastwagenfahrer.
Greenfield: Wir schwankten zwischen einem Bagel-Shop und einer Eisdiele. Allerdings wären die Öfen und die Ausrüstung eines Bagel-Shops ziemlich teuer gewesen. Also entschieden wir uns fürs Eis und kauften für fünf Dollar eine Broschüre, die einen Fernlehrgang über die Eiscremeherstellung enthielt.

Kann man aus dem günstigen Preis schließen, dass es ziemlich leicht ist, Eis herzustellen?
Cohen:
Sagen wir mal so: Es ist viel schwieriger, schlechtes Eis zu machen als wirklich hochwertiges. Etliche Firmen stecken viel Energie in den Versuch, aus minderwertigen Zutaten mit Hilfe von Chemie etwas Wohlschmeckendes zu machen. Wir haben unser Eis immer so gemacht, wie man es zu Hause machen würde: Mit viel Sahne, Zucker, Eigelb – das ist tatsächlich recht einfach.
Greenfield: In dem Fernkurs hieß es, diese Methode sei obsolet. Die würde keiner mehr anwenden.
Cohen: Es kommt allerdings darauf an, wirklich hochwertige Zutaten in ausreichender Menge zu haben. Außerdem braucht man eine Eismaschine mit einem guten, scharfen Drehmesser. Um schöne, weiche Eiscreme zu bekommen, muss man das Eis sehr schnell einfrieren. Das funktioniert so, dass man einen Kessel hat, der von Kühlmittel umgeben ist, und dort die Rohmasse hineingibt. An den Wänden dieses Behälters bildet sich das Eis und wird dann vom Drehmesser abgekratzt. Je schneller es abgekratzt wird, desto cremiger wird es.
Greenfield: Aber es ist auch nicht so, dass man einfach die Zutaten in die Maschine schmeißt, und dann kommt vorne das Eis raus. Man muss schon mit Liebe dabei sein.

Das Besondere an Ihrer Eiscreme sind die intensiven Aromen, die originellen Geschmacksrichtungen und die Stückchen. War das von Anfang an so?
Cohen: Das lag an meiner Anosmie.

Ihrer … was?
Greenfield:
Ben schmeckt nicht besonders viel. Seine Geschmacksknospen sind unterentwickelt. Deshalb hat er immer darauf bestanden, dass viele Geschmacksstoffe in das Eis kamen, ebenso wie große Keksbrocken und andere Stückchen.
Cohen: Ich wollte einfach etwas herstellen, was auch ich gerne essen möchte. Für mich ist es sehr wichtig, wie sich etwas im Mund anfühlt.

In Burlington, Vermont, haben Sie 1978 Ihre erste Eisdiele eröffnet. Wie war damals die Arbeitsteilung?
Cohen:
Jerry hat das Eis gemacht, ich habe mich um die Geschmacksrichtungen gekümmert. Wir standen beide am Tresen und haben Eis verkauft.
Greenfield: Im Sommer lief es super, aber Burlington liegt nun mal ziemlich weit im Norden der USA, und die Eiscreme-Saison ist ziemlich kurz. Deshalb haben wir angefangen, unser Eis zu verpacken und Restaurants und kleine Lebensmittelläden zu beliefern.

»Bis heute wundern wir uns darüber, dass aus uns beiden zwei angesehene Geschäftsleute geworden sind!«

Gab es einen Moment, an dem Sie festgestellt haben, dass aus dem Spaß auf einmal Ernst geworden war?
Cohen: Etliche. Zum Beispiel die Sache mit unserem neuen Milchtank. Weißt du noch, Jerry?
Greenfield: Oh Gott!
Cohen: Wir hatten einen neuen Tank gekauft, auf den wir sehr stolz waren. Also haben wir ihn bis zum Rand gefüllt. 3000 Liter Milch passten da rein – am nächsten Tag war die ganze Milch sauer. Also hat sich Jerry durch ein kleines Loch gezwängt und ist in den Tank gestiegen, um zu schauen, wo das Problem liegt.

Und?
Cohen: Der Quirl, der die Milch in Bewegung halten sollte, hat sich falschrum gedreht.
Greenfield: Eine andere Sache, die uns extrem verstört hat, war die Erkenntnis, dass wir nach einer Weile keine Eiscreme-Typen mehr waren, sondern Geschäftsleute. Wir standen nicht mehr hinter dem Tresen, sondern haben uns mit Buchhaltern und Anwälten beraten.

Wie ausgeprägt ist Ihr Geschäftssinn?
Cohen:
Die geschäftliche Seite hat uns nie wirklich interessiert.
Greenfield: Bis heute wundern wir uns darüber, dass aus uns beiden zwei angesehene Geschäftsleute geworden sind!
Cohen: Drei Jahre nachdem wir angefangen haben, haben wir einen Freund von uns als Manager eingestellt. In einer Schublade in unserem Büro hat der lauter Schecks gefunden, die wir vergessen hatten einzulösen.
Greenfield: Wir sind beide von den Sechzigern geprägt. Uns geht es um Liebe und Frieden, nicht ums Geldverdienen. Geschäftsleute waren für uns etwas Negatives – Typen, die ihre Arbeiter ausbeuten und die Umwelt zerstören. Damit wollten wir nichts zu tun haben. Wir haben ernsthaft überlegt, alles hinzuschmeißen.

Warum haben Sie weitergemacht?
Greenfield:
Ben hat unser Problem einem Freund geschildert, einem exzentrischen Restaurantbesitzer. Der sagte: Wenn euch die Art nicht gefällt, wie Geschäfte gemacht werden, dann macht es doch einfach anders. Das klingt simpel, war für uns damals aber eine Offenbarung. Wir haben beschlossen, dass es bei Ben & Jerry’s nicht nur um den Profit geht, und neue Ziele für unser Unternehmen formuliert.

Nämlich?
Greenfield:
Zum Beispiel so viel Geld wie möglich zu verschenken. Wir haben 1985 eine Stiftung gegründet und vertraglich festgelegt, dass sie einen festen Anteil der Profite erhält, um diesen an kleine, progressive Gruppen zu verteilen, die für Dinge wie die Rechte von Arbeitern und Migranten eintreten und oft von niemandem sonst unterstützt werden. Aber das war nur der erste Schritt. Später haben wir erkannt, dass die wahre Macht nicht darin liegt, Geld zu verschenken. Sondern in der Art, wie wir unser Alltagsgeschäft führen: den Einkauf der Rohstoffe, das Marketing, den Vertrieb, die Finanzen. Wir haben versucht, soziale und ökologische Belange in all unsere Tätigkeiten zu integrieren. Das ist ein Prozess, der bis heute andauert.
Cohen: Ich glaube, die Wirtschaft ist inzwischen die mächtigste Instanz in unserer Gesellschaft. Die Wirtschaft kontrolliert unsere Regierungen und setzt bei ihnen ihre eigenen Interessen durch. Wenn wir gesellschaftliche Probleme lösen wollen, muss die Wirtschaft die Initiative ergreifen. Deprimierend, aber so ist es.

Ihre Eis-Sorten enthalten gelegentlich eine politische Botschaft. So haben Sie Barack Obama mit der Geschmacksrichtung »Yes Pecan!« vor vier Jahren zur Wahl gratuliert. Wie politisch kann Eiscreme sein?
Cohen:
Auch mit Eis kann man für Frieden und Gerechtigkeit eintreten. Mitten im Kalten Krieg, in den Achtzigern, sind wir mit einem Schoko-Eis namens »Peace Pop« herausgekommen.
Greenfield: Ben wollte die Verpackung für eine Friedensbotschaft nutzen. Dort sollte stehen, dass man ein Prozent der US-Militärausgaben für Maßnahmen verwenden sollte, die das gegenseitige Verständnis zwischen den USA und der Sowjetunion fördern. Diese Idee war in der Firma unglaublich umstritten. Viele haben befürchtet, dass unser Eis boykottiert werden würde. Aber Ben hat sich durchgesetzt.
Cohen: Bald darauf war der Kalte Krieg vorbei.
Greenfield: Es kann natürlich vorkommen, dass Leute sich über unsere politischen Aktivitäten ärgern und die Produkte nicht mehr kaufen. In einer konventionellen Firma will man seine Kunden nicht verprellen, aber diese Firmen stehen für nichts und haben keine Werte. Von Ben habe ich gelernt, was für eine starke Bindung entsteht, wenn eine Firma dieselben Werte wie ihre Kunden vertritt. Mit einer witzigen Werbekampagne können Sie niemals so eine tiefe Verbindung erreichen.

Trotzdem wurden Sie 1988 von Präsident Reagan als »Klein-Unternehmer des Jahres« ausgezeichnet. Zwei Hippies im Weißen Haus – das stelle ich mir recht skurril vor!

Greenfield: Es war ein landesweiter Wettbewerb, die Gewinner aus allen fünfzig amerikanischen Bundesstaaten wurden nach Washington eingeladen. Erst am Morgen der Verleihung erfuhren wir, dass wir die Gesamtsieger waren. Ben hat sich daraufhin schnell noch ein Jackett ausgeliehen. Als wir ins Weiße Haus kamen, sagten sie uns: »Ihr haltet die Klappe, das ist Reagans Show.« Dann kam er raus, damals schon Ende siebzig. Ich muss sagen, er hatte wirklich Charisma.

Hat er mit Ihnen geredet?
Greenfield:
Er hat gefragt: Welcher von euch ist Jerry? Das war’s.

Im Jahr 2000 hat der Lebensmittelkonzern Unilever Ihre Firma gekauft. Wie kam es dazu?
Greenfield:
Ben & Jerry’s war damals eine Aktiengesellschaft, jeder konnte Anteile kaufen. Unilever hat viel Geld für die Aktien geboten und es gelang uns nicht, eine Alternative zu finden, die für die Aktionäre funktioniert hätte. Ben und ich arbeiten jetzt hier, wir sind Angestellte und nicht mehr im Management involviert.

War es hart für Sie, die Firma an einen Großkonzern zu verlieren?
Greenfield:
Ja. Es wäre uns wesentlich lieber gewesen, dass die Firma unabhängig bleibt. Im Zuge der Übernahme wurde allerdings ein unabhängiges Gremium von Direktoren geschaffen, das die soziale Mission des Unternehmens und die Integrität der Marke überwacht.

Und was ist aus den politischen Kampagnen geworden?
Greenfield: Nun, vor zwei Jahren hat die Firma die »Occupy Wall Street«-Bewegung unterstützt. Es stand etwas auf unserer Webseite, auf einer Pressekonferenz in Washington sind wir beide zusammen mit dem jetzigen Geschäftsführer für die Ziele der Protestbewegung eingetreten. Außerdem waren wir selbst im Protestcamp an der Wall Street.

Wieso?
Cohen:
Jerry und ich waren in New York, als es losging. Wir sind runtergefahren, um uns alles anzuschauen, und haben den Typen, der sich um die Verpflegung kümmerte, gefragt, wie wir helfen können. Er meinte: Bringt doch einfach ein bisschen Eis vorbei. Wir mussten allerdings die Logos auf unseren Eisboxen abdecken, schließlich hat sich die Kampagne auch gegen große Firmen gerichtet. Als wir dort standen und unser Eis verschenkt haben, dachte ich: Das ist es, wofür Ben & Jerry’s geschaffen wurde! Es hat sich so richtig angefühlt, diesen Leuten Eis zu geben!

Und keiner hat geschrien: Haut ab, ihr reichen alten Säcke?
Cohen: Einen gab es, ich sehe ihn immer noch vor mir. Die kommen vom Großkonzern Unilever, hat er gerufen, die bringen die Wale um! Und wissen Sie was: Auf gewisse Weise hatte er recht. Aber es war nur dieser eine, der gegen uns war: Die meisten Leute mögen es eben, ein Eis spendiert zu bekommen.