»Mit 24 will man entdecken, mit 44 bewahren«

Einst traten die Sportfreunde Stiller als gut gelaunte Indie-Pop-Buben an. Dann kamen Hits, Stadionkonzerte und Weltmeisterschaften. Wie lebt es sich mit so einem Image, wenn man um viele Erfahrungen reicher ist – und vor allem: zwanzig Jahre älter? Ein Wiedersehen.

SZ-Magazin: Es gibt ein neues Lied von Ihnen, Raus in den Rausch, darin singen Sie: »Ich will neue Wege wagen, Zähne in das Leben schlagen«. Gute Worte für die Aufbruchstimmung mit Anfang zwanzig. Passen sie zu drei Männern, die fast Mitte vierzig sind?
Peter Brugger: Ich verstehe die Frage, aber wir leben kein Leben, das für andere mit Mitte vierzig typisch wäre. Wir geben Konzerte, wir sind viel unterwegs, wir leben einen sehr anderen Rhythmus als die meisten Menschen. Das alles hat für uns zum Teil den Anschein eines – in Anführungszeichen – »jüngeren« Lebens. Aber zugegeben, drumrum sind wir mit den normalen Abläufen eines Lebens in mittleren Jahren beschäftigt. Familienväter sein. Aufräumen. Einkaufen.

Wird der Spagat schwieriger?
Brugger: Natürlich. Man muss sich ständig fragen, ob das eigene Leben eigentlich stimmig ist.
Rüdiger Linhof: Einspruch! Je älter man wird, desto weniger trauen sich Menschen große Ideen, große Träume. So vieles trocknet einfach so weg. Gerade dann ist es doch wichtig, die Zähne noch mal neu in das Leben zu schlagen.
Brugger: Aber für viele wird das Leben enger. Wenn ich mit Leuten rede, die im Job drin hängen, ihre Familie schaukeln, vielleicht Geldsorgen haben, da kann ich verstehen, dass die Lebenseuphorie sinkt.
Florian Weber: Aber es ist doch das Schlimmste, wenn man dann einfach aufgibt.

Auch die Fans der Sportfreunde Stiller kriegen Kinder, ziehen an den Stadtrand und zahlen Kredite ab, während ihre Lieblingsband von der ewigen Jugend singt.
Brugger: Als Erinnerung stimmen die Lieder trotzdem noch! Selbst wenn manche Texte eher nach jugendlichem Übermut klingen – jeder denkt gern dran, wie man mit Mitte zwanzig war. Was spricht dagegen?

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Zieht Ihr Publikum da mit?
Brugger: Kann sein, dass manche sagen, das passt jetzt nicht mehr für mich. Wir können es ja selbst schlecht überblicken, wer uns bleibt, wer sich verabschiedet. Ich kann nachvollziehen, wenn jemand sagt, »Wellenreiten« ist nicht mehr mein Thema.

Das Lied ist 17 Jahre alt, damals haben Sie getextet: »Wir müssen los / Irgendwas schiebt und zieht uns / Uns umgibt der Glanz der Sonne.«
Brugger: Klar, das ist der Schwung der Jugend. Aber das Lied hat auch einen Wert als Erinnerung an so eine Lebensphase. Es ist doch wertvoll, wenn sich die Gedanken durch Musik heute noch kurz öffnen und das Gefühl wieder da ist.

Sie werden bis heute in Interviews praktisch immer geduzt. Andere werden ab einem gewissen Alter gesiezt. Warum Sie nicht?
Brugger: Das liegt daran, dass wir uns immer mit Vornamen vorstellen. Ich finde Siezen komisch.
Weber: Es klingt so geschäftlich. Ich fühl mich durch das Siezen gleich älter.
Linhof: Im Kontext der Musik begegnet man sich eher auf so einer Herzensebene. Wir duzen das Publikum, die Leute duzen uns. Dann in einem offiziellen Gespräch plötzlich ins Sie zu wechseln … eigenartig.

In der Musik bleibt also das »Du«, in allen anderen Parallelwelten wird es langsam zum »Sie«. Klingt verwirrend.
Linhof: Das seh ich aber als Privileg. Auf Tour zu gehen ist ja auch immer die Wiederbegegnung mit einem anderen Charakter. Diesen Bühnenmusiker, den gab es dazwischen ja nicht. Das ist ein anderer als der, der am Freitag Vormittag in Germering die Gartenabfälle zum Wertstoffhof bringt. Ich find es interessant, beim Besteigen des Tourbusses diesen anderen Rüde wieder zu treffen.

Etwas schizophren, oder?
Brugger: Ganz so krass ist es bei mir nicht. Aber ich finde die Frage interessant: Wenn es mit der Band weitergeht – wie viel weiter öffnet sich dieser Spalt zwischen den zwei Welten noch? Schaffen wir es, das irgendwie miteinander zu verbinden – oder sind wir gezwungen, ewig »die Jungen« zu bleiben? Die Frage beschäftigt mich sehr.

Mit welchem Ergebnis?
Brugger: Ich gehe zum Beispiel anders an Texte ran. Mit 24 singt man anders über die Liebe als mit 44. Mit 24 will man entdecken, mit 44 will man bewahren. Ich glaube, das merkt man auch in unseren Liedern.

Seit Sie berühmt sind, wird immer wieder erstaunlich harte Kritik laut. Kaum war Raus in den Rausch veröffentlicht, wurden Lied und Video in einem Internetmagazin komplett verrissen. Können Sie sich erklären, woher das kommt?
Weber: Was stand denn da?

Zum Beispiel: »Wenn die Sportfreunde Stiller das Wort ›Rausch‹ in den Mund nehmen, denkt man instinktiv an Zähne putzen, alkoholfreies Weizen, Ned Flanders und früh ins Bett gehen.«
Brugger: Haha!
Linhof: Der Autor findet halt den Satz schön. Er lebt davon zu schreiben. Sein gutes Recht. Ich habe nicht das Bedürfnis zu beeinflussen, wie andere denken.

Das ist nur ein Zitat unter vielen. Warum ziehen die Sportfreunde so viel Kritik auf sich?
Brugger: Ich kann nachvollziehen, dass uns Menschen bieder finden. Ich finde uns manchmal auch ein bisschen brav. Nach manchen Interviews denke ich, jetzt habe ich wieder lauter angepassten Scheißkas geplappert. Aber mein Gott … Dann muss ich auch akzeptieren, dass ich so bin, wie ich bin. Ich bin oft nicht so, wie ich vielleicht gern wäre.

Wie lernt man, Kritik hinter sich zu lassen?
Weber: Über Wellenreiten hat damals ein Fanzine geschrieben: »So was hör ich nicht mal beim Scheißen, null Punkte.« Hat mich total fertiggemacht. Heute lache ich drüber. Man wird zur Teflonpfanne.

Können Sie sich an einen frühen Moment erinnern, in dem Ihnen klar wurde, ja, jetzt werden wir erfolgreich?
Weber: Als wir zum ersten Mal so viel Gage bekommen haben, dass für jeden von uns ein Tausender rausgeschaut hat. Wir sind an die Tankstelle gefahren, haben uns jeder zwei Eis gekauft – eins nur zum Wegwerfen. Das sollte Rock’n’Roll sein.
Brugger: Unser Auftritt beim Bizarre-Festival 2000. Wir waren gebucht für halb vier in der Nacht, Late-Night-irgendwas. Wir dachten, na ja, da sind dann noch drei Leute – und dann waren es 8000, die total abgegangen sind. Wegen uns. Irre. Da dachte ich, au ja, das kann was werden.
Weber: Eigentlich müsste die Tatsache, dass wir alle gleichzeitig unsere Hilfsjobs im Münchner »Atomic Café« geschmissen haben, den Moment kennzeichnen, in dem wir wussten, jetzt gehts auch mit der Musik allein.
Linhof: Ach was, da haben wir einen Vorschuss bekommen und uns überschätzt.

Wie viel war das?
Linhof: Das waren so um die 50000 Mark, die haben wir durch vier geteilt, also wir drei und unser Manager.

Sie, Herr Brugger, haben aber noch weiter gejobbt.
Brugger: Ich habe Nachtdienste in der Drogentherapie gemacht, ja.
Linhof: Tankstelle auch noch …
Brugger: Ach ja. Eine der letzten Tankstellen mit Service, raus aus dem Häuschen, Auto betanken, lächeln, mit Geldbeutel kassieren. Aber da kamen oft ältere Damen zum Tanken, dann ging schon mal eine Mark extra, wenn man denen ein bisschen die Scheibe poliert hat.

Was ist in Ihrer Karriere ganz anders gekommen als erwartet?
Linhof: Ich hätte mir früher nicht vorstellen können, was sich durch diesen Beruf für Kontakte entwickeln. Zu Menschen, die ich gar nicht kenne, die aber auf mich zukommen und aufgrund unserer Musik ein bestimmtes Verhältnis zu mir haben. Immer spannend!
Brugger: Und dann überlegt man, ja, kenne ich den jetzt? Ich vergesse oft, dass es ja sein kann, dass mich jemand kennt, aber ich ihn nicht. Da gibts ständig bescheuerte Situationen. Damals bei der WM waren wir im Fernsehen, das gab natürlich einen riesigen Ausschlag. Wir wurden plötzlich ganz anders wahrgenommen. Danach habe ich schon sehr überlegt: Will ich das überhaupt? Wird mir das nicht zu viel? In welche TV-Sendung sollen wir jetzt gehen, welche lieber nicht?
Weber: Spätestens ab da mussten wir sehr sortieren, wo wir die Boulevard-Grenze ziehen. Damit wir nicht in der falschen Welt interessant werden.

Was wäre das für eine Welt?
Weber: Wir müssen nicht unbedingt in der Gala stattfinden.

Was tun Sie mit Anfragen, die Ihnen nicht gefallen?
Weber: Wenn der 200. regionale Fußballclub anfragt, ob wir auf der Sommerfeier spielen können, sagt unser Manager das freundlich ab. Ansonsten: alles diskutieren. Hilft ja nix.
Brugger: Was Promotion angeht, gehen wir natürlich immer wieder Kompromisse ein.

Zum Beispiel?
Brugger: TV total. Das Angebot hatten wir ewig, und ewig haben wir darüber gestritten. Das Problem war: Raab machte seine Späße immer auf Kosten anderer. Damit hatte vor allem der Flo große Probleme. Irgendwann haben wir ausgemacht: Wir gehen hin, aber der Flo sagt kein Wort.
Linhof: Als wir Stefan Raab dann näher kennengelernt haben, wussten wir: Na gut, er hat einen speziellen Humor – aber der liebt Musik wirklich, und er gibt ihr eine Plattform.
Brugger: Bei mir war so ein Fall Markus Lanz. Da saß ich in der Talk-Runde. Ich habe ewig mit der Entscheidung gehadert. Und ich habe, glaube ich, zwei gute Sätze an dem Abend gesagt – genau die wurden anschließend rausgeschnitten.
Linhof: Das sind Auseinandersetzungen, die ich mir anfangs nicht vorstellen konnte. Alles ist so einfach, solange man keine Angebote hat. Klar sagst du, ich geh NIE zu der Kommerzsendung, wenn du gerade mal drei Konzerte in Münchner Kellern hinter dir hast. Sobald dann die Anfragen kommen, merkst du, au, jetzt bröckelt mein bequemes Indie-Haus.

Raus aus dem Indie-Haus – wie unangenehm ist dieser Auszug?
Linhof: Dazu eine der peinlichsten Erfahrungen meines Lebens: Vor 15 Jahren hieß es, ihr kriegt drei Seiten im Rolling Stone! Ein Traum. Dann stellte sich raus, kleiner Haken, es sollen Modefotos werden. Egal, Hauptsache, drin. Wir kamen da hin – da hatten die ein Bällebad aufgebaut! Und jeder von uns bekam einen schlecht sitzenden Armani-Fetzen umgehängt. Flo musste einen transparenten Regenmantel tragen. Alle total überschminkt. Ernüchternd.
Brugger: Wir wurden kurz interviewt. Aus der Frage, ob wir lieber die Ärzte oder die Toten Hosen mögen, haben sie dann irgendwie die Überschrift gebastelt.
Weber: Am Schluss saßen drei Deppen im Bällebad und drüber stand, »Wir mögen die Toten Hosen nicht«.
Linhof: Wir bitten um Entschuldigung.

Durch solche Momente kamen nach und nach auch Ausverkaufs-Vorwürfe. Wie bei jeder Band, die erfolgreich wird. Wie sind Sie damit umgegangen?
Weber: Ich hatte sehr damit zu kämpfen, dass uns Leute vorgeworfen haben, wir seien jetzt »Kommerz«. Wir haben die gleichen Lieder gespielt! An der gleichen Stelle der gleiche kaputte Verzerrer! Alles wie immer! Und nur, weil das mehr Leute hören wollten, sollte das auf einmal was anderes sein? Hab ich nicht verstanden.

Verstehen Sie es heute?
Weber: Nein, ich finde es immer noch rätselhaft. Es gibt Bands, die verkaufen Millionen und werden in den Medien als ehrlich gerühmt, andere verkaufen fast nichts, gelten aber als kommerziell. Ich kann die Kriterien nicht erkennen, nach denen da geurteilt wird.
Linhof: Es gibt da eigentlich keinen Zusammenhang. Ich bewundere Eddie Vedder. Der füllt mit Pearl Jam ganze Stadien. Heißt das, dass er nicht mehr authentisch ist? Er ist doch trotzdem noch Eddie Vedder.

Schwierig war natürlich, Sie haben es schon angesprochen, das Thema Fußball. Sie waren DIE Band zur WM 2006, das hat Sie endgültig zu Stars gemacht. Aber ganz sind Sie es nie wieder losgeworden.
Brugger: Damit müssen wir leben.
Linhof: Auf einmal haben die Leute bei unseren Konzerten Deutschland-Fahnen geschwenkt. Au weia. Dass wir plötzlich die »Schland«-Band waren, haben uns viele andere dafür übel genommen.
Brugger: Wir haben bei manchen Konzerten tatsächlich gesagt, bitte nicht »Deutschland« rufen, wir sind hier nicht eure Patrioten-Band!
Weber: Das alles hat uns natürlich viel Kritik eingebracht, die in der einen oder anderen Form geblieben ist.

Haben Sie danach mal gedacht, hätten wir das lieber bleiben lassen?
Linhof: Ach was, das wäre doch total armselig gewesen.
Brugger: Währenddessen waren wir so sehr im Rausch, dass wir gar nicht zum Nachdenken gekommen sind. Brandenburger Tor! Fanmeile! Alle Nationalspieler! Das war Wahnsinn. Später kam das Aufwachen.
Weber: Und das war nicht leicht. Wir dachten, wir machen La Bum, ein in unseren Augen sehr reflektiertes Album, ohne jeden Fußball-Bezug. Als wir dann auf Tour gegangen sind, mussten wir überall die Hallen mit Tüchern abhängen, weil wir weniger Tickets als erwartet verkauft hatten. In einer Halle zu spielen, die zu groß ist und nicht voll wird … das tut weh.
Brugger: Die Leute, die uns über das Thema Fußball kennengelernt haben, konnten mit den »anderen« Sportfreunden nichts anfangen. Die alten Fans wiederum dachten, sie haben uns jetzt für immer an die Fanmeilen verloren. Gescheit gebeutelt hats uns. Klar.

Haben Sie in der Zeit den Glauben verloren?
Weber: So weit würde ich nicht gehen. Aber bis dahin wurde alles ständig einen Schritt größer – und dann blieb es plötzlich auf der Stelle stehen. Damit muss man umgehen. Trotzdem – in dem Lied 54, 74, 90, 2006 ist eine bestimmte Zeit konserviert. Für uns. Und für das Publikum. Es spricht nichts dagegen, sich ab und zu gemeinsam daran zu erinnern.

Darin liegt aber auch eine gewisse Gefahr: Dieses gemeinsame Erinnern kann irgendwann als gefühlsduselig wahrgenommen werden.
Weber: Ist doch okay. Heute ist eben alles ein bisschen gediegener. Natürlich waren wir am Anfang rotziger. Heute sagen wir bei der Arbeit an einem neuen Album, hm, wär schon nicht schlecht, wenn das eine oder andere Lied vielleicht im Radio laufen könnte. Mit zwanzig Jahren Erfahrung geht man selbstverständlich völlig anders an die Sache ran.

Das heißt, genau die jugendliche Unbekümmertheit, die einst Ihren Erfolg begründete, geht verloren.
Brugger: Es ist wie in einer Beziehung. Alle müssen miteinander wachsen. Ich glaube nicht, dass man eine Liebe am Leben hält, indem man einfach nur Erwartungen erfüllt. Bleibt Liebe bestehen, wenn man jemanden festhält? Das geht ja auch nicht. Beide Seiten müssen sich an einem bestimmten Punkt auch mal loslassen. Und dann neu finden.
Weber: Neue Techniken der Liebe entwickeln, haha.
Linhof: Jetzt hör auf.
Brugger: Im Ernst: An einem guten Abend entwickelt sich zwischen Band und Publikum durchaus etwas, das an Liebe erinnert. Ein gemeinsames großes Gefühl.

Gibt es nach zwanzig Jahren Momente, in denen Ihr Beruf auch einfach mal nur ein Job ist?
Linhof: Wenn wir zu viele Konzerte am Stück gegeben haben. Das Gefühl, vor vielen Leuten auf der Bühne etwas verkörpern zu müssen, was sich in dem Moment nicht echt anfühlt … dann wirds zur Aufgabe.
Brugger: Ich kenne eher Überforderungsmomente. Zu Hause ist der Hund krank, ich muss mit meiner Frau was besprechen, ich müsste aber eigentlich ein E-Mail-Interview geben, bei dem einen Song muss der Text fertig werden, der Manager will dringend ein paar Termine besprechen, und Konzerte kommen auch bald wieder, da wird es mir schon oft zu viel.
Linhof: Wir kennen schlaflose Nächte genauso wie jeder Arbeitnehmer, der am Sonntag denkt, oh Gott, wie soll ich das kommende Woche alles schaffen.
Brugger: Und ich habe regelmäßig Angst, es könnte morgen alles vorbei sein.

Es wird immer schwieriger, mit der Musik Geld zu verdienen. Die Digitalisierung vernichtet die CD-Verkaufszahlen. Hatten Sie noch Glück?
Linhof: Kann ich so nicht unterschreiben. Früher war es dafür viel teurer, eine Platte aufzunehmen. 100000 Mark für eine Aufnahme. 100000 Mark für ein Video. Heute kannst du die Platte zu Hause am Computer machen und mit der Digitalkamera gleich losfilmen.

So ein Video wie das zu »Raus in den Rausch« wäre früher die Werbung für die Single gewesen. Heute genügt vielen das Video auf YouTube. Dabei zahlen Sie drauf.
Weber: Bei diesem Thema steh ich immer übel konservativ da, aber ich sage: Ich bin gegen das, was da passiert.
Linhof: Die Entwicklung hat dafür auch vieles geöffnet. Man ist nicht auf diese Geschäftsleute angewiesen, die es oft gar nicht besonders gut mit einem meinen. Vor zwanzig Jahren sind wir mit einem Agenten durch die Stadt gelaufen, der uns zu einem Horror-Vertrag überreden wollte. Während er, kein Witz, in einen Kaufhauseingang geschifft hat, hat er uns über die Schulter zugerufen, Hey, Jungs, fünfzig Prozent von etwas ist doch immer noch besser als fünfzig Prozent von nichts!

Sie haben mit der Musik angefangen, als es noch den alten Traum vom Popstar gab. Was glauben Sie, wie entwickelt sich die einstige Geldmaschine Pop in Zukunft weiter?
Brugger: Puh, keine Ahnung. Es gab mal einen Zeitpunkt, da dachte ich, jetzt versteh ich wirklich, wie das Business so läuft. Und dann war MySpace plötzlich nicht mehr da. Dabei hatte es immer geheißen, das ist jetzt das Größte. Von einem Tag auf den anderen hab ich es alles nicht mehr gecheckt. Ich bin raus.

Müssen Sie in zehn Jahren bei Ihren Konzerten das Bier selbst mitverkaufen, um auf den nötigen Umsatz zu kommen?
Linhof: Wird es in zehn Jahren noch gedruckte Zeitungen geben? Wir müssen uns eben alle ständig auf Neuerungen einstellen.
Brugger: Als wir das neue Album fertig hatten, wurden wir nach Berlin geflogen, damit man uns bei der Plattenfirma erst mal in Ruhe erklärt, wie das Business jetzt läuft. Das war was komplett anderes als noch vor drei Jahren! Damals hieß es am Rande, da im Internet machen wir auch noch ein bisschen was. Dieses Mal gings fast den ganzen Tag um Online-Strategien, digitalen Vertrieb, Facebook-Marketing …

Wissen Sie, wie viele Platten Sie insgesamt verkauft haben?
Brugger: Von der letzten knapp 300000. Inklusive Downloads.

Und alles in allem?
Brugger: Alben und Singles und Downloads zusammen …
Weber: Ich komme auf 1,6 Millionen.
Brugger: Nein. Mit Singles 2,5 Millionen. Plus eine Million verschenkte Downloads, weil wir nach dem Ausscheiden der deutschen Mannschaft bei der WM 2006 die neue Version »54, 74, 90, 2010« kostenlos zum Download angeboten haben.
Weber: Wir Deppen.

Klingt trotzdem nach guten Zahlen. Haben Sie schon für den Rest Ihres Lebens ausgesorgt?
Brugger: Kohlemäßig? Ganz ehrlich, da habe ich keine Ahnung. Ich habe noch nie durchgerechnet, wie viel Geld ich bräuchte bis zum Ende meines Lebens.
Linhof: In einem Job als Ungelernter mit Führerschein käme ich durch. Dann könnte ich meinen Standard halten.
Weber: Ich hab mir ein Haus gekauft, ich darf an so was gar nicht denken.
Linhof: Ich habe in den ersten Jahren ein paar Anlagen total in den Sand gesetzt. Ich dachte, ich muss schlau investieren. Da lag ich zum Teil grauenhaft falsch.
Brugger: Ha, ha, der Norbert Nachtweih des Deutschpop!
Linhof: Heute wohnen wir alle in Häusern, die uns selbst gehören. Das finde ich schon mal sehr beruhigend.
Brugger: Ich habe festgestellt: Wenn mit wenig Geld kein Sicherheitsgefühl da ist, kommt es auch nicht, wenn man plötzlich Geld hat. Entweder man fühlt sich getragen im Leben und denkt, das schaffe ich schon – oder man fühlt sich nie so. Dann ist man auch mit Geld ängstlich.
Weber: Ich hab eh keinen luxuriösen Lebensstandard. Ich bin mit dem Rad zu diesem Interview gekommen.
Linhof: Ich auch.Weber Ab und zu kauf ich mir eine neue Hose.
Brugger: Gut so.

Fotos: Robert Fischer