»Ich will den Leuten sagen: Haltet inne und schaut euch um«

Die Idee ist denkbar simpel: Claudio Galamini fotografiert die Schilder von U-Bahnhöfen. Aber viele Fans können sich kaum sattsehen an seinen Bildern.

Name: Claudio Galamini 
Alter: 29.09.1974
Wohnort: München
Website: www.instagram.com/claudiogalamini/
Ausbildung: Autodidakt

Mit Claudio Galamini U-Bahn zu fahren, ist ein bisschen, wie mit einem kleinen Kind über den Jahrmarkt zu schlendern. Er freut sich über jede Haltestelle und springt raus, noch bevor der Zug zum Stehen gekommen ist. Dass er eigentlich ganz woanders hinwollte, hat er zu dem Zeitpunkt schon wieder vergessen. Der 42-Jährige studiert die Wand jedes U-Bahnhofs, als wäre sie ein Kunstwerk, um anschließend sein Smarthphone zu zücken und ein Foto zu machen. Galamini ist Italiener, hat zehn Jahre in New York gelebt, dann anderthalb Jahre in Berlin. Seit Juli 2016 ist er in München und hat sich mit seinen Instagram-Bildern von U-Bahn-Stationen eine treue Fangemeinde aufgebaut.

SZ-Magazin: Ihr Plan ist es, jede U-Bahn-Haltestelle in Deutschland zu fotografieren. Wie weit sind Sie mit diesem Projekt?
Claudio Galamini: In Berlin und München habe ich schon alle U-Bahn-Stationen fotografiert. Mein nächstes Ziel ist die U-Bahn von Nürnberg, aber das sind ja nur rund 42 Stationen (Anmerkung: Es sind 46 Bahnhöfe). Das schaffe ich locker an einem Wochenende. Für den Sommer habe ich mir dann Hamburg vorgenommen. Ich werde hinfahren und eine Woche lang nichts machen, außer U-Bahnhöfe zu fotografieren. Ich freue mich schon sehr drauf!

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Dann müssen Sie ja jetzt ein richtiger Kenner der U-Bahn-Netze sein.
Ich schäme mich ein bisschen dafür, aber in Münchens U-Bahn kenne ich mich wirklich schlecht aus. Ich habe zwar jede Station fotografiert, aber sonst nutze ich sie nur auf dem Weg zur Arbeit. Die Stadt ist so klein, die restlichen Strecken fahre ich immer mit dem Fahrrad. Berlins Untergrund kenne ich viel besser.

Wie kamen Sie darauf, Bilder von Haltestellen zu machen? Hatten Sie irgendwo ein ähnliches Projekt entdeckt?
Nein, gar nicht. Ich hatte schon drei oder vier Monate in Berlin gelebt, als ich auf die Idee kam. Da war ich gerade in eine Gegend gezogen, die an der U7 liegt, wo die Bahnhofswände wirklich unglaublich schön sind. Zuerst habe ich nur hier und da mal ein Foto gemacht, dann packte mich auf einmal der Ehrgeiz und ich dachte: »Mann, du musst alle Haltestellen fotografieren!« Ich weiß nicht warum, in New York haben mich die U-Bahn-Stationen nie wirklich interessiert, obwohl sie eigentlich auch viel zu bieten haben.

Haben Sie lange gebraucht, um alle 173 U-Bahn-Stationen in Berlin und anschließend alle 100 Haltestellen in München zu fotografieren?
In München ging es ziemlich schnell – ein oder zwei Monate –, was auch daran liegt, dass viele U-Bahn-Linien dieselben Bahnhöfe anfahren. In Berlin ist das ganz anders, da werden die Stationen fast immer nur von einer Linie angefahren. Das war schon sehr mühselig.

Vor Ihnen liegt noch viel Arbeit, bis Sie das gesamte deutsche U-Bahn-Netz abgelichtet haben. Was reizt Sie denn so an diesem Projekt?
Ich finde es so faszinierend, dass es um etwas geht, das unterirdisch ist und das bestimmt 90 Prozent der Menschen nutzen, ohne sich umzusehen. Ich will den Leuten sagen:»Haltet doch mal inne und schaut euch um, es sieht so toll aus!« Die meisten Touristen und Einheimischen haben ja auch viele Erinnerungen, die mit einzelnen Haltestellen verknüpft sind. Und wenn sie dann ein Foto von der Station sehen, fällt es ihnen wieder ein: »Ach, da war doch mein Hotel, meine Grundschule, mein früherer Arbeitsplatz« oder sogar »Da habe ich meine große Liebe kennengelernt.«

Stört es Sie nicht, dass Sie derart viel Zeit unter der Erde verbringen? 
Naja, ich bin ja nicht immer unter der Erde, wenn ich fotografiere. Es gibt ja auch U-Bahn-Haltestellen, die oberirdisch sind. Obwohl ich die unterirdischen Bahnhöfe bevorzuge. Die haben schönere Wände und eignen sich viel besser für meine Fotos.

Fahren Sie gerne U-Bahn?
Nein, nicht besonders. Ich nutze sie zwar jeden Tag und in München ist sie ja auch wirklich sauber, sicher und pünktlich. Aber auf der anderen Seite ist das auch wieder langweilig. Was mir Freude bereitet, sind definitiv die Stationen, nicht die U-Bahnen.

Ist es nur die Ästhetik, die Sie an den U-Bahnhöfen fasziniert oder gibt es auch noch andere Dinge?
Die Geschichte. Berlin ist historisch unglaublich interessant, die Haltestellen dort haben den Zweiten Weltkrieg und die Mauer überdauert. In München wurden fast alle Bahnhöfe in den Siebzigern gebaut, deswegen ist die Geschichte nicht so interessant. Dafür hat sich die Stadt echt viele Gedanken gemacht und die Haltestellen sehr künstlerisch gestaltet.

Ihre Bilder folgen alle einem bestimmten Schema. 
Ja. Ich will keine Menschen auf meinen Bildern. Der Fokus liegt auf dem Namen der Haltestelle und auf den Farben, die den Schriftzug umgeben. Ich will nicht, dass meine Fotos zu künstlerisch rüberkommen. Sie sollen ganz simpel sein, keine Leute, nur das Bahnhofsschild.

Ist es mühselig, die Schilder der Bahnhöfe zu fotografieren, wenn ständig Züge einfahren und überall Menschen sind?
Nein, eigentlich nicht. Meistens sind die Namen der Stationen direkt an der Wand angebracht, das heißt, es stehen auch keine Menschen im Weg. Aber es gibt manche Haltestellen, wo das Schild über einer Reihe von Sitzen angebracht ist und wo fast immer jemand ist. Da musste ich schon eine Stunde warten, um ein Foto machen zu können.

Wie reagieren die anderen Menschen auf den Bahnsteigen, wenn Sie dort stehen und fotografieren?
Die Leute gucken mich oft komisch an, aber sagen eigentlich nie was. Nur einmal hat mich eine Frau angeschrien, als ich gerade Bilder gemacht habe. Ich habe fast nichts verstanden, weil ich nicht so gut Deutsch spreche, aber sie sagte so etwas wie »Nicht Fotografieren!« und hat dann tatsächlich den Notrufknopf gedrückt. Ich weiß wirklich nicht, was ihr Problem war.

Am meisten Aufmerksamkeit für Ihre Bilder erreichen Sie über Instagram. Verbringen Sie viel Zeit auf der Plattform?
Ja, viel zu viel Zeit. Ich bin nicht besessen oder so, aber es kommt schon vor, dass ich Stunden am Stück auf Instagram bin. Es ist stressig, aber es macht mich auch sehr glücklich, wenn ich ein Foto poste und viele Leute liken es.

Claudio Galaminis Bilder aus Berliner U-Bahnhöfen sind kürzlich als Buch erschienen, mehr dazu hier.

Fotos: Claudio Galamini