Biss im Morgengrauen

Die Butterbreze ist in Bayern ein wesentlicher Teil des Frühstücks – und der Kultur. Aber warum nur scheitert der Rest des Landes an der Herstellung dieses Grundnahrungsmittels?

Foto: Maurizio di Iorio

Man kann ja so viel falsch machen bei einer Butterbreze: Man kann sie mit »l« schreiben, Brezel, da rollen sich dem Oberbayern die Zehennägel auf, hat doch ein »l« in einer Breze nichts zu suchen. Zwei schon gar nicht: Laugenbrezel. Um welche Breze soll es sich denn sonst handeln? Um eine süße Breze, hergestellt aus dem gleichen Teig wie Nusszöpfe oder Krapfen?

Man kann Butterbrezen kaufen, die in Wahrheit mit Margarine beschmiert sind, geht schneller zu bestreichen, ist günstiger, schmeckt aber indiskutabel; man kann Frischkäse drauftun, na ja, okay, wenn es kein Etikettenschwindel ist; man kann die Butter mit Schnittlauch bestreuen, hin und wieder auch in Ordnung. Manche Bäckereien schlagen die Butter auf, um sie anschließend mit Hilfe eines Spritzbeutels schneller auf die Breze zu bugsieren, spart Zeit und somit Geld, mag sein, im Ergebnis aber liegt meistens zu viel Butter zwischen den Hälften, das schmeckt auch wieder nicht, genau wie zu wenig Butter. Die Firma Meggle aus Wasserburg am Inn verkauft seit Jahren eine sogenannte Sandwich-Butter an Bäckereien. Es handelt es sich um halbrunde Butterscheiben, die man auf die aufgeschnittene Breze legen kann, ohne sie streichen zu müssen. Leuchtet ein, trotzdem verkauft sie sich nicht besonders, sagt jedenfalls der Pressesprecher der Firma. Vielleicht, weil in Bayern Brezen und Butterbrezen nicht nur Grundnahrungsmittel sind, sondern auch ein Lebensgefühl? Und dazu gehört untrennbar die von Hand geschmierte Breze.

Brechen beim Aufschneiden die dünnen, überkreuzten Teile in der Mitte, hochdeutsch Ärmchen, bairisch Bratzerl, steigt das Mitgefühl des Käufers mit dem Bäcker, denn es ist wirklich sauschwer, sie sauber zu trennen, aber das Ergebnis mag man nicht, bilden die Ärmchen doch das Herzstück der Breze. Weil es schwierig und zeitraubend ist, sie zu schneiden, sind einige Bäckereien dazu übergegangen, auf das Herzstück zu verzichten, sie verkaufen dann Butterkringel. Geht gerade so, wenn sonst alles stimmt, sie frisch und rösch und nicht mit zu viel oder zu wenig Salz bestreut sind. Und man sonst keine Alternative hat.

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Baden-Württemberg jedenfalls bietet keine. Dort ist die Butterbreze genauso verbreitet wie in Bayern, heißt jedoch Brezel, schon mal falsch, siehe oben, doch das ist es nicht allein: Die Brezeln sind viel weicher, weil ihnen mehr Fett beigemischt wird und sie an ihrer dicksten Stelle vor dem Backen eingeschnitten werden, damit sie im Ofen aufspringen. Der allergrößte Fehler, den man aber machen kann, ist, nach Bielefeld oder Lübeck zu ziehen, denn da gibt es kaum Brezen. Sicher, die eine oder andere Bäckerei führt sie, aber fast immer fehlt jegliches Verständnis für die Feinheiten: Weil sie den ganzen Tag an kleinen Holzstämmen hängen, von denen Äste abzweigen, weil sie immer härter werden, je weiter der Tag fortschreitet, und somit jeden Geschmack verlieren. Butter kann man sich zu Hause selbst draufschmieren, ist vielleicht besser so. Insgeheim fragt man sich ohnehin, womit Eltern im Norden, Osten und Westen ihre Kinder großziehen. In Bayern sieht man kaum je einen leeren Kinderwagen, in dem nicht eine angelutschte Breze liegt. Kinderfinger können eine Breze ja viel besser halten als eine Semmel.

Manfred Stiefel, gebürtiger Berliner, wohnhaft in Konstanz am Bodensee, ist gelernter Bäckermeister und arbeitet am Deutschen Brotinstitut in Weinheim. Auf die Frage, warum man schon in Hessen kaum noch Brezen isst und im Norden erst recht nicht, weiß auch er keine rechte Antwort. Es gebe Gegenden in Deutschland, in denen mehr Dinkel oder Roggen wächst, sagt er, da ließe sich leicht begründen, warum dort diese Brotsorten häufiger vorkommen, aber Weizenmehl, mit dem die Brezen gebacken werden, gebe es überall. Butter auch. Er kann es sich nur so erklären: Die Breze ist in Bayern und Baden-Württemberg ein Grundnahrungsmittel und ergibt zusammen mit der Butter eine ganze Mahlzeit. »In Berlin können Sie schon auch Brezen kaufen, sie haben aber bei weitem nicht den gleichen Stellenwert.«

Und warum haben die Butterbrezen diesen Stellenwert immerhin im Süden? Die Menschen frühstücken immer seltener zu Hause, sondern pfeifen sich auf dem Weg zur Arbeit schnell einen Coffee to go und etwas zu essen rein – daher machen belegte Semmeln, belegte Brote oder eben Butterbrezen einen immer größeren Teil des Umsatzes von Bäckereien, Tankstellen und Backshops aus. Klaus Landvogt sagt, das Ganze fing vor etwa dreißig Jahren an. Landvogt hatte 1972 die Bäckerei seiner Eltern in München-Obermenzing übernommen, er leitete sie bis 2013 und betrieb bis zu sechs Filialen. Als die Leute morgens in den Achtzigerjahren nach Butterbrezen zu fragen begannen, schnitt er vor der Öffnung seines Ladens die Brezen mit einer Brotschneidemaschine auseinander, seine Frau oder seine Angestellten strichen Butter drauf: »Das waren die ersten fertigen Snacks.« Mit den Jahren kamen mehr und mehr belegte Semmeln und Brote dazu, 15 verschiedene waren es am Schluss vor vier Jahren, so sehr hatte sich das Essverhalten geändert. Fünfzig bis hundert Butterbrezen verkauften sie täglich pro Filiale. Waren die Butterbrezen im Hauptgeschäft aus, machte Klaus Landvogts Frau welche nach: »Eine Butterbreze, eine Minute.« Machte 1,50 Euro. Brezen ohne Butter kosteten siebzig Cent. Preise, die immer noch üblich sind. Und wer heute in Bayern morgens keine Butterbreze anbietet, hat schon verloren. Selbst der italienischste Italiener legt spätestens ein paar Wochen nach der Eröffnung seiner Kaffeebar einige Butterbrezen neben seine Tramezzini und Cornetti.

Was in eine gute Breze gehört: Weizenmehl, Malz, Fett, Salz, Hefe. Vor dem Backen wird die geformte Breze in eine Natronlauge getunkt, die verleiht ihr im fertigen Zustand die Bräune. Aber wäre es damit getan, gäbe es nicht so immense Geschmacksunterschiede: Die meisten Brezen sind tiefgefrorene Teiglinge, die aufgebacken werden. Und die Teiglinge kommen gerade bei Tankstellen oder Backshops häufig aus Polen oder Tschechien, hergestellt von Robotern, oft mit minderwertigen Zutaten wie Margarine statt Öl oder Fett und mit Zusatzstoffen, die sie länger haltbar machen. »Wenn Sie billige Brezen anbieten wollen, müssen Sie auf jeden Cent schauen«, sagt Manfred Stiefel vom Deutschen Brotinstitut. Außerdem sind Leute, die bei Tankstellen arbeiten, keine Bäcker, sie lesen auf der Packung, dass die Teiglinge zehn Minuten lang im vorgeheizten Ofen aufbacken müssen, fertig. So schmecken sie dann auch.

Eine Breze, hergestellt von einem Bäcker, der mit Hand arbeitet, ist zeitintensiv. Der Teig muss ruhen und quellen, damit er aufgehen kann. Ein Bäcker mit Erfahrung sieht, wann der Teig die nötige Reife hat, um gebacken zu werden, er kennt seinen Ofen, er weiß, wie hoch die Luftfeuchtigkeit darin ist, und selbst wenn die Brezen beim Kollegen nach zwölf Minuten fertig sind, kann es sein, dass seine erst nach 13 Minuten im Ofen den besten Geschmack entfalten. Eine gute Breze, die der Bäcker morgens gebacken hat, schmeckt auch abends noch. Gedopte aus dem Backautomaten sind eigentlich nur gut, wenn sie frisch aus dem Ofen kommen.

Wenn aber mal alles stimmt, dann schmeckt eine Butterbreze so, als hätte man in ein kleines Stück vom Glück gebissen.