Wonka bleibt Wonka

Timothée Chalamet in beerigem Samt, Gillian Anderson im Vulva-Kleid und die Besetzung von »Saltburn« ganz aristokratisch: Warum ziehen sich Schauspielerinnen und Schauspieler neuerdings an wie ihre Charaktere?

Timothée Chalamet, Gillian Anderson, Barry Keoghan und Margot Robbie: Erkennen Sie die Charaktere hinter den Menschen?

Fotos: Getty Images; Collage: Lea Sophie Fetköter

»Zeig mir, was du trägst, und ich sage dir, in welchem Film du mitspielst« – so könnte man die aktuelle Rote-Teppich-Saison grob zusammenfassen. Timothée Chalamet etwa trug zur Premiere seines beerenfarbenlastigen Films Wonka einen sehr beerenfarbenlastigen Samtanzug, während Gillian Anderson am Sonntag in einer nur scheinbar etwas langweiligen cremefarbenen Robe zur Golden Globes Verleihung kam. Die Designerin Gabriela Hearst hatte – zwinker, zwinker – passend zu Andersons Rolle als Sextherapeutin in der Serie Sex Education lauter stilisierte Vulvas Ton in Ton auf den Stoff sticken lassen. »Vulvaliciously chic as always«, postete Hearst dazu auf Instagram, vulvalig schick also. Hoffentlich kommt kein findiger Stylist auf die Idee, den Oppenheim-Schauspieler Cillian Murphy im Atombombenprint zu den Oscars zu schicken.

Gelegentlich wurden auch schon Promotouren für Filme zu regelrechten Mottopartys. Unvergessen ist etwa Zoë Kravitz, die zur Premiere von The Batman in einem Oscar-de-la-Renta-Kleid mit kleinen Katzenohren an der Korsage erschien. Oder Zendaya, die ihren drapierten Wüstenlook aus Dune nahtlos mit einer sandfarbenen Robe von Rick Owens fortsetzte. Aber nie wurde das »In Character«-Styling so penetrant durchgezogen wie bei Barbie vergangenen Sommer. Margot Robbie erschien praktisch bei jedem Auftritt – wenn in der Branche nicht gerade gestreikt wurde – in einem Outfit, das einem Barbie-Kostüm nachempfunden war. Das, natürlich, pinkfarbene Armani-Privé-Kleid bei den Golden Globes am vergangenen Sonntag war inspiriert von der SuperStar-Puppe von 1977. Für die Afterparty schlüpfte sie dann allerdings ins gleiche Modell, nur in Schwarz; als nächtliche Party-Barbie quasi. Was tut man nicht alles, um den in diesem Fall sogar selbstproduzierten Streifen auf voller Länge zu pushen?

Dass Barbie aberwitzig erfolgreich war, dürfte mittlerweile jeder mitbekommen haben. Warum also nicht einfach dabeibleiben und auch noch Monate später mehr (oder weniger) versteckte Hinweise auf die Rolle ins Styling einbauen? Mottodressing ist schließlich auch im Privaten hartnäckig beliebt. Mittlerweile wirbt jede Ausstellung, Eröffnung oder Supermarkt-Veranstaltung mit irgendeinem »Konzept«, das die Marketingleute dann straff durchdeklinieren. Und Filmpremieren und Preisverleihungen sind am Ende eben nichts anderes als Garderoben-intensive Werbeveranstaltungen.

Im besten Fall kriegt der Auftritt des Stars so sogar noch mehr Aufmerksamkeit und die Journalisten an den Bildschirmen müssen sich nicht immer Nullsätze wie »umwerfende Robe mit Wow-Faktor« aus den Fingern ziehen, sondern können der Kleiderwahl von Rachel Zegler bei der Berlin-Premiere des Prequels zu The Hunger Games gleich einen halben Text widmen. Die Schauspielerin trug die schulterfreie Robe von Alexander McQueen nämlich nicht nur, weil die Stylistin ihr das halt rausgelegt hatte, sondern – Insiderwissen hilft – weil der Flammensaum natürlich eine Hommage an Jennifer Lawrence alias »The Girl on Fire« in den früheren Filmen der Reihe war. 

Ähnlich clever stellte es am Sonntag die Besetzung von Saltburn an. Der Film, irgendwo zwischen Triangle of Sadness, Der talentierte Mr. Ripley und Psycho, bekam zwar keinen Golden Globe, landete für Amazon Prime aber einen riesigen Publikums-Hit. Weil er über weite Strecken auf einem opulenten britischen Landsitz spielt, traten die Hauptdarsteller entsprechend aristokratisch angehaucht auf. Rosamunde Pike trug Vintage Dior Couture aus schwarzer Spitze mit passendem Schleier, während der rote Louis-Vuitton-Frack von Barry Keoghan im Grunde die stoffliche Essenz seiner Filmfigur war. Von den Punkelementen, den Lackschuhen bis hin zur Perlenkette plus passendem Ohrring und einer Tier-Brosche mit Hörnern. Letztere lieferte ebenfalls einen versteckten Hinweis auf den Plot – wenn man Saltburn denn gesehen hat.

Dass Dresscodes mal Anreiz sein könnten, einen Film anzuschauen, hätten sie sich wahrscheinlich nicht mal in Hollywood träumen lassen.

Wird bald auch getragen von: den Casts von Dune II, Madame Web und Die Farbe Lila
Typischer Instagram-Kommentar: »Method Dressing ist das neue Method Acting!«
Passende Songstelle: »You look like a movie« (Adele: When we were young)