Theresa: Heute sind wir ja auch nahe an einem Weinbaugebiet, nämlich in Wiesbaden. Welche Verbindungen hast du denn zum Wein, zu welchen Anlässen, zu welchen Besonderheiten oder Gelegenheiten trinkst du in der Regel ein Gläschen?
Charlotte: Ich bin auf jeden Fall, wenn es um Alkohol geht, eine Weintrinkerin. Nicht Bier oder Schnaps und solche Sachen. Wein trinke ich zu besonderen Anlässen, also Einladungen und Festlichkeiten.
Theresa: Auch kulinarisch, sprich: wenn man kocht, wenn man Gäste hat?
Charlotte: Wenn ich Gäste habe, auf jeden Fall. Beim Kochen eher nicht. Ich kann nämlich überhaupt nicht kochen. Da wäre es schade, einen Wein zu opfern.
Theresa: Verstehe. Weil wir heute in Wiesbaden sind, nehmen wir etwas aus der Region und trinken einen Riesling aus dem Rheingau. Den würde ich uns jetzt zum Start einschenken. (Theresa öffnet die Flasche und schenkt ein.)
Theresa: Bevor wir jetzt gleich einsteigen, würde ich vorschlagen, dass wir anstoßen. (Beide trinken.)
Theresa: Hui.
Charlotte: Der ist aber wirklich gut.
Theresa: Schön, das freut mich.
Charlotte: Sehr, sehr gut.
Theresa: Du trinkst ja gerne Weine, die sozusagen sonnenverwöhnte sind, also auch viele französische Weine. 2022 war in der Tat sonnenverwöhnt, schon fast zu trocken. Der Wein ist zwar sonnenverwöhnt, aber er hat doch eine, wie ich finde, sehr knackige Säure, die man vom Rheingauer und vor allem vom Riesling auch so kennt.
Charlotte: Das stimmt, er bitzelt so ein bisschen, er hat etwas Sprudelndes.
Theresa: Man schmeckt fast ein bisschen Kohlensäure. Er ist auf jeden Fall sehr erfrischend. Zurück zu dir, Charlotte. Ich habe irgendwo gelesen, dass in deiner Arbeit die erste Idee immer der Mensch ist, also der Mensch immer an erster Stelle steht. Was ist damit gemeint?
Charlotte: Die meisten Journalisten oder auch Leser, die mich fragen, denken, dass ein Krimi-Autor immer von einem Fall ausgeht. Man würde also zum Beispiel von einem spektakulären Fall in der Zeitung lesen oder hören und das dann als Idee verwenden. Bei mir ist das nicht so. Ich habe immer, mit kleinen Ausnahmen, zuerst einen Menschen oder eine menschliche Konstellation vor Augen. Eine Beziehung zwischen zwei Menschen, eine familiäre Konstellation oder eine Partnerkonstellation. Die hat noch gar nichts mit einem Verbrechen zu tun. Ich beschäftige mich ja nicht so gerne mit dem einfachen, bösen, psychopathischen Verbrecher, sondern lieber mit Menschen, die durch bestimmte Wendungen in eine Situation kommen, die sie unter Umständen dazu bringt, ein Verbrechen zu begehen oder ihm nicht auszuweichen. Das kann sein, dass sie die falschen Menschen kennenlernen, sich auf falsche Versprechungen einlassen, dass sie sich nicht mehr anders zu helfen wissen. Damit fängt es bei mir an.
Theresa: Wie wichtig ist der Schreibort? Gerade als Autorin bist du ja eigentlich flexibel. Ist es denn so, dass man als Schriftstellerin ein Büro hat? Oder hat man seinen Sehnsuchtsort, an dem man besonders gut schreiben kann?
Charlotte: Der Ort ist ganz wichtig. Tatsächlich ist das vor allem zu Hause, mein Arbeitszimmer und mein Schreibtisch. Ich bin beim Schreiben selbst extrem unflexibel. Ich bin nicht der Typ, der seinen Laptop nimmt und sich dann überall hinsetzen und schreiben kann. Ich brauche mein Zimmer, meinen Schreibtisch, meine Alltagsroutine, meine Uhrzeiten. Wenn ich davon abweiche, funktioniert es nicht mehr. Ich reise aber natürlich für die Recherche. Meine Bücher spielen ja meist in England, teilweise auch in Südfrankreich. Ich reise an all die Orte, an denen meine Geschichten spielen. Ich laufe wirklich die Straßen ab, gucke, wo Bushaltestellen und Geschäfte sind, mache Fotos. Dort suche ich mir quasi das Material zusammen, das ich fürs Schreiben brauche.
Theresa: Sammelst du das alles im Kopf und setzt dich dann zu Hause an deinen Laptop und lässt das mit einfließen?
Charlotte: Nein. Ich laufe immer mit einem dicken Heft herum. Ich schreibe alles auf und mache Fotos. Ich habe dann oft noch mal ganz neue Einfälle, wenn ich die Landschaft sehe, einen Geruch und die Atmosphäre wahrnehme. Die Geschichte, die ich mir ja bereits zu Hause am Schreibtisch ausgedacht habe, wird dadurch mit echtem Leben gefüttert und wird auch noch mal verändert. Ich komme immer mit einem veränderten Konzept zurück.
Theresa: In der Welt der Winzer sagt man: Es braucht viele Weine, die man probieren muss, bis man selbst guten Wein macht. Wie viele Bücher muss man lesen, bis man gute Bücher schreibt?
Charlotte: Ich glaube, das ist nicht unbedingt eine Voraussetzung. Doch es schadet auch nicht. Ich habe wahnsinnig viel gelesen, kaum dass ich lesen konnte. Wir hatten natürlich nicht so viele Alternativen zum Lesen, wir hatten kein Internet, wir hatten drei Fernsehprogramme, wir hatten kein YouTube. Ich glaube schon, dass das Lesen den Grundstein für das Schreiben gelegt hat. Es gibt aber auch Autoren, die haben nicht diese Vorgeschichte. Die haben vielleicht eine eigene, spannende Lebensgeschichte, die sie zu Papier bringen wollen.
Theresa: Du hast es schon erwähnt. In deinen Geschichten geht es um Menschen, die zum Verbrecher werden, und du begibst dich auf deren Seite. Wie schwer ist es, deren Sichtweise einzunehmen?
Charlotte: Ja, das ist eine ganz, ganz vertrackte Frage. Wie geht man mit diesen Menschen um? Ich würde nicht sagen, dass ich mich mit ihnen identifiziere, aber ich muss sehr stark innerlich mit ihnen mitgehen. Und wer weiß denn, wenn ich in eine schwierige Familie hineingeboren worden wäre, wenn ich dieses oder jenes erlebt hätte, ob ich dann nicht auch so handeln würde wie meine Figuren? Ich kann zwar sagen, ich würde so etwas nie tun, aber wer weiß es denn?
Theresa: Einige deiner Geschichten wurden verfilmt. Das ist ein großes Kompliment. Wie blickt man als Autorin auf solche Verfilmungen?
Charlotte (seufzt): Ach, größtenteils mit großem Kummer.
Theresa: Das heißt?
Charlotte: Hätten die Filme, (vor allem) die das ZDF verfilmt hat, nicht den Titel gehabt, den ich ihnen durch die Bücher gegeben habe, und hätte ich nicht die Namen der Protagonisten wiedererkannt, hätte ich teilweise nicht gemerkt, dass das meine Geschichten sind. Sie wurden so fürchterlich verfremdet. Es ist erstaunlich, wie wenig Rechte man als Autor hat, wenn man Filmrechte verkauft. Deinen Stoff bekommen Leute in die Hand, die nach völlig anderen Gesichtspunkten vorgehen. Es muss zum Beispiel in den ersten zwei Filmminuten so viel passieren, dass die Leute auf keinen Fall wegzappen. Man selbst hat aber vielleicht einen literarischen Einstieg gewählt.
Theresa: Werden wir uns irgendwann über eine Geschichte aus dem Rheingau freuen?
Charlotte: Ich weiß es nicht. Ich habe ein paar Bücher geschrieben, die in Deutschland spielen, und es wäre falsch zu sagen, dass mich Deutschland nicht fasziniert, aber irgendwie setzt es nicht diese kreativen Kräfte frei wie England oder Frankreich. Vielleicht muss ich ein Stück weit weg von mir selbst, raus aus meiner eigenen Umgebung.
Theresa: Hier in der Region gibt es so viel Kultur. Das Theater in Wiesbaden, das Rheingau Musik Festival, die Konzerte. Wäre es nicht schön, hier eine Lesung zu machen?
Charlotte: Ja, es gibt viel künstlerisches Programm, was um diese ganzen Weinberge herumspielt. Ich finde, Wein hat auch immer etwas mit künstlerischem Leben zu tun. Lesungen in Wiesbaden habe ich bereits gemacht, explizit im Rheingau auf einem Weingut noch nicht. Das ist eine gute Idee.
Theresa: Die werde ich definitiv an die Winzerinnen und Winzer hier weiterreichen. Danke für deine Zeit heute, Charlotte.
Charlotte: Danke schön.