Theresa Olkus: Ein Weingut besitzen inzwischen einige bekannte Persönlichkeiten. Bei Ihnen stammt es aber tatsächlich aus der Familie. Wie kam es dazu?
Günther Jauch: Mein Ururururgroßvater hat das Weingut 1805 gegründet. Als Berliner Kind habe ich viel Zeit hier verbracht und fand es immer ganz toll. Fast 50 Jahre sind vergangen, bis ich einmal wieder hier nach Kanzem kam. In den ganzen Jahren hatte sich kaum etwas verändert. Das Weingut war in die Jahre gekommen, es musste unfassbar viel gemacht werden, nachdem wir es zurück in die Familienlinie geführt hatten.
Sie mussten also vieles erneuern und einiges verändern?
Ja, und das, ohne gleichzeitig die Tradition zu verleugnen. Deshalb blieb auch der Name – obwohl dieser ganz und gar nicht darauf hinweist, wem das Weingut heute gehört. Die Mannschaft haben wir damals komplett beibehalten. Es arbeiten noch dieselben sieben Menschen hier, die wir damals übernommen haben. Natürlich kann ich mich glücklich schätzen. Es hätte auch eine Schraubenfabrik sein können, die meine Vorfahren hatten, da ist Wein zugegeben schon ein nettes Thema.
Auf den ersten Blick erkennt man also gar nicht, dass es sich um eine Flasche Riesling von Ihnen handelt?
Damals gab es natürlich Tipps von allen Seiten. Ich solle das Weingut „Jauch“ nennen und „Millionärswein“ quer über die Flasche schreiben. Alle dachten immer: Wenn das jetzt mein Weingut ist, dann verkauft sich der Wein wie von selbst. So ist es nicht. Man muss schon die Flasche umdrehen und das lesen, was am kleinsten gedruckt ist. Dort heißt es in Miniaturschrift, dass das Weingut seit Generationen in unserem Familienbesitz ist. Wenn die Flasche irgendwo im Regal steht, erkennt man das von vorne nicht.
Wie lebt es sich (zumindest zeitweise) auf so einem Weingut?
Die Vorstellung der Leute ist meist romantischer, als es tatsächlich ist. Kaum hat man so ein Weingut, sieht man überall sehr viel Arbeit. Es muss extrem viel gemacht werden: im Weinberg, im Keller, im Büro. Es ist eben ein lebendiger Betrieb, da kommt man zwar zum Genießen, aber nicht so viel, wie es einige vermuten.
Wie häufig sind Sie hier?
Alle paar Wochen, immerhin sind es 720 Kilometer von Potsdam an die Saar. Wir liegen in der Nähe der luxemburgischen Grenze und haben praktisch keine großen Städte im Hintergrund. Wir haben so gesehen einen Standort-Nachteil, was die großen Städte angeht. Dafür haben wir ein perfektes Klima und perfekte Böden für Riesling.
A propos...
Stimmt (lacht und schenkt ein). Gut, dass das Stichwort fällt. Ich bin großer Verfechter des sogenannten Kabinett-Weins. Er heißt so, weil er früher in einem Kabinett verschlossen wurde vor der buckligen Verwandtschaft oder räuberischen Dienstboten. Es ist die erste Prädikatsstufe und ist ein Paradewein hier an der Saar.
Was schätzen Sie an Kabinett-Weinen?
So ein Kabinett ist einerseits leicht, trotzdem hat man andererseits ein „Maul voll Wein“. Er tobt am Gaumen, Süße und Säure kämpfen miteinander. Alle unsere Weine haben einen typischen Spontiton (kommt durch die Spontanvergärung), das verleiht ihnen unseren typischen Charakter. Für viele Winzerinnen und Winzer ist der Kabinett, nachdem man sich am Ende langer Messetage die Füße plattgestanden hat und jeder 172 Weine hin- und herprobiert hat, der sogenannte „Reparaturwein“.
Es ist ein Wein, wie man ihn maximal 100 Kilometer um uns herum findet. Das gibt es nicht in Österreich, nicht in Spanien. Insofern haben wir mit solchen Weinen ein weltweites Alleinstellungsmerkmal.
Dafür, dass Sie immer betonen, dass Sie kein Winzer sind, sind sie ganz schön tief in der Materie.
Ich bin weiterhin ewiger Auszubildender. Ich rede unseren Leuten im Keller und im Weinberg nicht rein, vielleicht beim Marketing, im Büro oder beim Bauen. Aber ansonsten nehme ich mich ganz weit zurück.
Keine önologischen Abstimmungen, bevor der Wein auf die Flasche gefüllt wird?
Wenn Sie mal wissen wollen, von wie viel bzw. wenig ich anfangs eine Ahnung hatte, gibt es eine Geschichte, da kriegen echte Weinkenner das kalte Grausen. Als ich das erste Mal hier im Keller war, habe ich eine ungefähr fünf Zentimeter dicke Schimmelschicht an der Decke gesehen. Meine Devise war: „Da kaufen wir erst mal einen Kärcher und machen richtig sauber“. Heute weiß ich, dass das zur Kellerflora dazugehört und nichts Schlechtes ist. Auf dem Niveau habe ich angefangen (lacht).
Sie kennen die Weinwelt in Deutschland nun seit elf Jahren. Wie beobachten Sie das alles seither?
Anfänglich hat man noch ein wenig die Nachwehen einer nicht einfachen Zeit für den deutschen Wein bemerkt. Vor fast 100 Jahren waren speziell die Saarweine die teuersten Weine der Welt und überall bekannt. Es gab kein Königshaus, kein Kreuzfahrtschiff oder großartiges Hotel, was nicht diese Weine geführt hat. Aus den Büchern meines Großonkels kann man lesen, dass er damals mit 1% des verkauften Weines 100% der Kosten decken konnte. So eine Rendite mit 99% funktioniert heutzutage nur noch mit Drogen, Prostitution oder Fernsehen (lacht). Nach dem Zweiten Weltkrieg ging es bergab, die wichtigen, oftmals jüdischen Weinhändler wurden verfolgt. Die Leute hatten damals auf alles Lust, aber leider nicht mehr auf deutschen Riesling. Anfang der 80er-Jahre war der deutsche Wein am Boden. In den 90er-Jahren tauchte dann plötzlich in hippen New Yorker Bars der deutsche Riesling wieder auf, und es ging wieder nach oben. Heute ist deutscher Wein qualitativ großartig und international betrachtet eigentlich viel zu günstig.
Besonders wenn man die Arbeit in den Steillagen betrachtet, die oft drei- bis viermal so viel Aufwand ist.
Viele Weienberge hier kann man nicht maschinell bearbeiten, man muss alles mit der Hand machen. Aber man kann das zum Glück am Ende auch schmecken. Die mühsame Arbeit zahlt sich aus.
Was oft vergessen wird: Die Winzerinnen und Winzer haben mit der Ernte nur einen Versuch pro Jahr, alles muss klappen. Anders als bei einem Koch, der sein Gericht zur Not noch mal von vorne anfangen kann.
Der Koch ist ein guter Vergleich. Ich nehme immer das Beispiel Fernsehen. Man macht eine Sendung, und entweder es hat einem selbst nicht gefallen, oder die Quote war nicht so doll. Dann fragt man sich? Waren es die Gäste? War es der Moderator? War man zu unkonzentriert? War das Gegenprogramm zu stark? Ununterbrochen wird optimiert und an den Stellschrauben gedreht. Bei der nächsten Sendung am darauffolgenden Tag sieht alles schon ganz anders aus. Vor allem kann man in den Medien selbst an den Schrauben drehen. Soll ich Petrus beschimpfen, wenn der Hagel oder der Frost kommt? Der Jahrgang liegt im wahrsten Sinne in Gottes Hand. Die Extreme – das haben wir auch an der Ahr, wo viele Weinbaubetriebe nach dem Hochwasser vor dem Nichts stehen, erlebt – nehmen zu.
Das stimmt, in der Landwirtschaft wird der Klimawandel aktuell sehr greifbar.
Früher ist der Riesling an der Saar gar nicht richtig reif geworden. Jetzt haben wir das ideale Wetter. Aber wenn das die nächsten 15 Jahren so weitergeht wie in den letzten Jahren, dann ist das natürlich rasant und auch ungewiss. Deshalb ist die Klimadiskussion speziell für den Weinbau sehr wichtig.
Sie sind seit Jahrzehten im Showgeschäft. Hat Ihnen noch nie jemand den Vorschlag einer Weinshow gemacht?
Doch, im Grunde macht das dauernd irgendjemand. Ich befürchte, dass das nicht funktionieren wird. Kochsendungen funktionieren ja im Fernsehen, obwohl niemand in dem Moment zu Hause vor dem Fernseher sagen kann, wie es am Ende schmeckt. Das Phänomen ist ja, dass Leute zuschauen, aber nichts nachkochen. Ich fürchte, es sind doch zu wenig Leute, die gezielt eine Weinsendung anschauen.
Also keine Blindverkostung à la „Denn sie wissen nicht, was sie trinken“ mit Thomas Gottschalk?
Man müsste halt aufpassen, dass er Cola von einer Spätlese unterscheiden könnte (lacht).
Man kommt ja nicht ohne Gastgeschenk. Ich habe ihnen noch einen Wein von der Ruwer mitgebracht.
Auch ein Kabi, vielen Dank! Den werden wir heute Abend trinken. Ich kenne den Winzer sogar (probiert den Wein). Kompliment an die Kollegen der Ruwer, das ist ein sehr schöner Kabinett, den ich auch auf 7,5 Vol.% schätzen würde?
So viel zur Blindverkostung, das stimmt tatsächlich.
Mehr kann ich heute nicht mehr erreichen. Vielen Dank für diesen Wein!