Fjällräven spinnt

Alles beginnt kurz nach der Jahrtausendwende: In der Outdoor-Industrie reift das Bewusstsein für nachhaltige Daunen. Dabei erreicht Fjällräven eine hundertprozentige Rückverfolgbarkeit aller Daunen. Doch das Unternehmen geht weiter. Denn auch beim Naturmaterial Wolle erkennt man einen großen Nachholbedarf. Damit beginnt eine anstrengende Reise, die manche Überraschung bereithält.

Foto: Fjällräven

Am Anfang ist nur das Ziel klar: Die Verarbeitung von Wolle soll für Tiere, Umwelt und Menschen gleichermaßen nachhaltig werden. Zuständig dafür ist Christiane Dolva. Als Head of Sustainablility kümmert sie sich ausschließlich darum, das Unternehmen und seine Produkte umweltverträglicher zu machen.

Foto: Fjällräven

Interessant dabei: Anstatt ein eigenes Team zu führen, arbeitet sie mit allen Kollegen zusammen. Denn Nachhaltigkeit wird nicht als Einzelprojekt verstanden, sondern als Teilaspekt jedes Jobs. Damit steht sie vor einer großen Aufgabe:

Ihre erste Herausforderung liegt darin, ein System zu entwickeln, mit dem sich der Weg der Wolle zurückverfolgen lässt. Denn nur wenn ihr Ursprung klar ist, kann auch nachvollzogen werden, unter welchen Bedingungen sie produziert wurde. Dieses Wissen ist entscheidend, denn zu Beginn kommt die Wolle von verschiedensten Lieferanten auf der ganzen Welt. Einheitliche Standards fehlen. Also werden sie etabliert. Einer der ersten ist der Ausschluss von Mulesing. Diese gängige Praxis der Wollproduktion besteht darin, Schafen die Pofalten zu entfernen, da sich hier leicht Fliegenmaden einnisten, die das Schaf infizieren können. Dies kann die Wollqualität beeinträchtigen. Da die Haut einfach abgeschnitten wird, ist dieses Verfahren für die Tiere äußerst schmerzhaft. Mulesingfreie Wolle bildet die Grundvoraussetzung für eine Aufnahme in die Produktion.

Unsere kleine Farm

Neu denken, anders denken, besser machen: Fjällräven merkt schnell, dass der einzige Weg zu nachhaltiger Wolle über eine enge Partnerschaft mit den Zulieferern führt. Denn nur so kann die gewünschte Qualität sichergestellt werden. Also geht das Unternehmen zuerst eine Kooperation mit der Brattlandsgården Farm ein. Das idyllische Anwesen in der Nähe von Åre bietet den perfekten Rahmen, um herauszufinden, wie eine ganzheitliche Fleisch- und Wollproduktion aussehen könnte.

Foto: Fjällräven

Dabei läuft auf dem Hof von Natasha Skott vieles anders, als in konventionellen Betrieben: Die Schafe stehen hier nur selten im Stall, ernähren sich ausschließlich von Gras und wechseln täglich ihre Weideflächen. So fressen sie die Halme nicht komplett auf und düngen den Boden ohne ihn zu zerstören, wie es bei einer längeren Nutzung der Fall wäre. Die Produktentwickler sehen zu und lernen. Sie sind bei der sanften Schafschur dabei, genauso wie beim Aussortieren der Wolle.

Trotzdem geht es nicht darum, eine Vorlage für künftige Partnerbetriebe zu entwickeln, sondern vielmehr darum, die Prozesse von der Schafzucht bis zur Garnverarbeitung kennenzulernen. So will man besser auf die Gespräche mit Lieferanten vorbereitet zu sein. Einer dieser Lieferanten wird ZQ Wool. Der Weltmarktführer für ethisch korrekt produzierte Wolle sitzt in Australien und arbeitet dort mit zahlreichen Schaf-Farmen zusammen. Mit ZQ Wool hat Fjällräven nur einen Ansprechpartner für die gesamte Produktion nachhaltiger Wolle, die bis zum einzelnen Hof zurückverfolgt werden kann.

Viel Handarbeit

Zu diesem Zeitpunkt nutzt Fjällräven Wolle zum Beispiel für Pullover. Die sind warm, weich und zeichnen sich dadurch aus, dass sie auch auf mehrtägigen Touren keine Gerüche aufnehmen. Dann entdeckt ein Produktentwickler in einem schwedischen Strickmagazin zufällig einen interessanten Hinweis: Auch in der Fleischproduktion fällt viel Wolle an. Weil diese Fasern jedoch in der Regel gröber sind, wird die Wolle entweder zu Dämmstoffen verarbeitet, vergraben oder verbrannt. 80 Tonnen des wertvollen Rohstoffs entsorgt Schweden jedes Jahr. Und so prüft Christiane, wie sie das Abfallprodukt der Fleischindustrie besser nutzen kann. Damit entsteht das Projekt Recovered Wool.

Foto: Fjällräven

Die Herausforderung: Die Wollqualität variiert stark und da bisher niemand Wert darauf gelegt hat, feine von grober Wolle zu trennen, ist das Rohmaterial sehr heterogen. Daher werden die Fasern zunächst gepresst und zu Rückenplatten von Rucksäcken verarbeitet. Auch Jackenfutter lassen sich damit herstellen. Doch die Verarbeitung ohne vorherige Sortierung verschenkt wertvolles Potential. Denn so landet feine Wolle, die sich zum Beispiel für Funktionswäsche eignet in einem Mantelfutter.

Um die edlen Fasern weiteren Zwecken zuzuführen, müsste man sie aufbereiten. Hier wartet die nächste Hürde: es gibt keine Infrastruktur. Niemand in Schweden kann die Wollqualitäten sortieren. Niemand bis auf ein Paar aus Gotland. Fasziniert von der Idee, wertlose Wolle nutzbar zu machen tüfteln Jenny Andersson und ihr Partner Hans Buthius seit Jahren an einem funktionierenden Prozess herum. 2013 finden sie in Spanien eine Wäscherei, deren Maschinen sie kaufen und nach Schweden transportieren. Drei Jahre später haben sie Erfolg. Der spricht sich herum und kurz darauf beginnt die Zusammenarbeit mit Fjällräven. Damit kann endlich auch Wolle aus dem Inland genutzt werden.

Überraschung in der Toskana

Mit einem gesteigerten Bewusstsein für den einzigartigen Rohstoff blickt man weiter. Neue Möglichkeiten der Verarbeitung kommen auf, genauso wie neue Fragen. Zum Beispiel: „Warum verwenden wir nicht auch Wollfasern, aus Recycling-Prozessen?“ Ein Dorf in Italien ist darin seit Jahren federführend. Da sich bisher jedoch niemand dafür interessiert hat, war es lange still um Prato – obwohl hier das Zentrum der europäischen Wollverarbeitung liegt.

Mit einem wachsenden Bewusstsein für die Bedeutung einer zirkulären Produktion rückt der Ort auf einmal ins Rampenlicht. Der große Vorteil dabei: Die Abläufe sind bereits festgelegt. Trotzdem gibt es auch bei dieser Quelle die eine oder andere Besonderheit: Denn die Italiener sortieren die Wolle nach Farben anstatt sie zu färben. Das spart Wasser und schont die Umwelt, führt allerdings auch dazu, dass der Look der fertigen Garne davon abhängt, was gerade angeliefert wird. So zeichnen sich Pullover und Hemden der Re-Wool Kollektion durch besonders feine Farbnuancen aus.

Foto: Fjällräven

Neue Produkte

„Langsam werden wir alle zu Woll-Nerds“ lacht Christiane Dolva. Denn im Moment fokussiert sich Fjällräven vor allem auf die Nutzung von Recovered Wool. Aktuell arbeitet sie daran herauszufinden, wie sich besonders weiche Fasern aus dem Wollmix herausfiltern lassen. Dafür wird sie wieder mit allen Ebenen der Lieferkette sprechen: Mit Stoffherstellern, Garnproduzenten, Spinnereien, Wäschereien und Farmern. Kontakte knüpfen und Standards etablieren. Doch der Aufwand lohnt sich: Fjällräven hat es sich zum Ziel gemacht, den Aufbau einer schwedischen Wollindustrie zu unterstützen. So wird wertvolle Wolle vor der Entsorgung gerettet und eine neue Form der Wertschöpfung ins Leben gerufen.

Doch bei aller Begeisterung für eine nachhaltige Produktion ist es leicht, ein entscheidendes Detail zu übersehen:

„Der wichtigste Aspekt eines nachhaltigen Produkts besteht ganz einfach darin, dass es möglichst lange benutzt wird. Darum konzentrieren wir uns auf hohe Qualität und zeitloses Design. Im Optimalfall führt das dazu, dass ein geliebtes Kleidungsstück an die nächste Generation weitergegeben wird.“

Christiane Dolva, Head of Sustainablility

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