Rainy days, lovely people – in der Stadt

Regen ist einer der besten Gründe, um nicht vor die Tür zu gehen, Verabredungen abzublasen und Serien zu binge-watchen. Aber warum eigentlich? Vor kurzem habe ich mich mit einem guten Freund bewusst zu einem Regenspaziergang durch München verabredet. Wann sonst haben wir diese Stadt einmal für uns allein?

Es regnet in München und wir erleben trotzdem vieles

Ganz klassisch treffen wir uns am Sendlinger Tor. Während sich der Backshop langsam mit geschäftigen Frühstückern füllt, nehmen wir zur Einstimmung die Nussschnecke draußen unter dem Vordach zu uns. Im Moment überwiegen die Zweifel: Ob wir gerade in der Innenstadt einsame Plätze finden? Ein bisschen ungemütlich sieht es ja schon aus. Auf der anderen Seite sind wir bei unserer Tour nie länger als fünf Minuten vom nächsten Kaffee entfernt. Das heißt das Risiko dieser Expedition hält sich in Grenzen. Also Kragen hoch und los.

Durch die leere Sendlinger Straße spazieren wir Richtung Marienplatz. Es ist auffallend ruhig und das fühlt sich ein bisschen nach Ferien an, auf jeden Fall anders als sonst. Wer unterwegs ist, huscht nur schnell von einem Hauseingang zum nächsten. Die Straßenmitte bleibt frei. Wir dagegen lassen uns Zeit. Gehen in der eigenen Stadt auf Entdeckungsreise. Selbstverständlich kommen wir da nicht an einem der Hotspots vorbei.

Ein neuer Blick vom Alten Peter

Unter normalen Umständen, also bei Sonne am Wochenende wäre das hier echt nicht meins. Aber im Regen wird der Turm zu einem exklusiven Vergnügen – ohne Anstehen und ohne Geschiebe. Oben genießen wir den besten Blick über die Stadt, befreit von Sorry-plies und Senkyou. Ganz in Ruhe können wir unsere Fotos machen, vergleichen was der andere eingefangen hat, noch mal eine neue Bildkomposition ausprobieren und trotzdem stehen dabei niemandem im Weg. Richtung Isartor zum Beispiel ergeben die roten Dächer einen interessanten Kontrast zum dunklen Himmel. Hmmm, eine Wohnung mit dieser Aussicht – das wär’s.

Der Blick vom Alten Peter

306 Stufen weiter unten am Viktualienmarkt löst der Regen offenbar unterschiedliche Gefühle aus: Die Standlbetreiber, die eh jeden Tag da sind, verzeichnen ihn emotionslos als negativen Umsatzfaktor, während die Touristen versuchen, mit eingezogenen Köpfen unter bunten Schirmen dem Ungemach zu entkommen. Dabei ist das nichts weiter als ein bisschen Wasser. Keine große Sache, aber groß genug, um gleich noch den Odeonsplatz leer zu fegen. Die Stühle vor dem Tambosi bleiben genauso frei wie die Feldherrenhalle – das gibt’s sonst nie.

Einsam? Spitze!

Noch ruhiger wird es ein paar Schritte weiter: im Englischen Garten wo sonst die Jogger um Kinderwägen und Slackliner herumflitzen, begegnen uns nur Enten und Eichhörnchen. Sogar den Monopteros haben wir für uns allein. Die Herbstwege sowieso. Das kann man langweilig finden, aber wir freuen uns, einfach mal ohne Ablenkung ausgiebig ratschen zu können. Themen haben wir genug, Zeit dafür eher selten.

Ein Zwischenstopp in der Eisdiele

Gut eingepackt können wir auch mal ein bisschen Quatsch machen. Schaukeln zum Beispiel. Sieht ja keiner. Oder Eis essen. Natürlich gibt es Leute, die das krampfhaft finden. Auf der anderen Seite ist es nicht weniger krampfhaft, die Eisesserei nur auf die Sonnenstunden zu beschränken. Darum genehmige ich mir gerade an solchen Tagen mit Genuss die Sorten, für die es im Sommer eh zu heiß ist. Weiße Schokolade oder Malaga zum Beispiel. Schließlich ist Regen kein Wetter, sondern Einstellungssache. Karl Valentin hat das bereits recht treffend formuliert als er sagte: „Ich freu mich, wenn es regnet, denn wenn ich mich nicht freue, regnet es auch.“ Der hat’s verstanden.

Noch mehr Fans des Münchner Ur-Comedians finde ich im Lineup am Eisbach. Hier hat die Nässe keinen Einfluss auf die Besucherfrequenz. „Bisschen kalt ist es“ meint Lino und „anspruchsvoll, aber schön.“ Er kommt aus Brasilien und hat jetzt keine Zeit mehr, seinen Bezug zum Wasser als solches ausführlicher zu erläutern, aber ich kann mir auch so denken, was er darüber denkt.

Der bekannte Münchner Eisbach und seine Surfer

Also verabschiede ich mich und gehe noch ein bisschen weiter. Überall liegen Blätter und überall sind Regentropfen drauf. Beim genaueren Hinschauen fällt auf: So ein Regentropfen geht auch wunderbar als Behelfsmikroskop durch, das zuverlässig jede Blattstruktur vergrößert. Einfach mal ausprobieren. Kostet nichts und funktioniert erstaunlich gut. Darüber hinaus gibt es noch so viel mehr zu entdecken, denn im Regen offenbart jeder Ort einen neuen Charakter und neue Möglichkeiten.

Allein dafür lohnt es sich, raus zu gehen und schöne Plätze bei schlechtem Wetter zu besuchen. Doch das Beste ist: Der Kaffee danach schmeckt einfach deutlich besser, als wenn man dieselbe Zeit auf dem Sofa verbringt.

Anzeige teilen: