Das Rezept der Großartigkeit

Warum laufen die Wähler narzisstischen Propagandisten wie Boris Johnson oder Donald Trump nach? Axel Hacke findet eine Antwort bei Theodor W. Adorno – und Netflix.

Illustration: Dirk Schmidt

Kaum hatte er sein Amt angetreten, verkündete Boris Johnson, der kleine Lügner, er werde sein Land zum großartigsten der Welt machen, und Donald Trump, der große Lügner, teilte mit, Johnson selbst werde ebenfalls großartig sein. Man kann, was die beiden treiben, als Politik der Großartigkeit bezeichnen. Dazu nun Näheres.

Gerade habe ich Theodor W. Adornos 1967 gehaltenen und nun zum ersten Mal als Buch erschienenen Vortrag über Aspekte des neuen Rechtsradikalismus gelesen. Adorno beschäftigt sich mit den damaligen Erfolgen der NPD, die bescheiden waren, verglichen mit dem, was heutigen Rechtsradikalen gelingt. Aber darum geht es hier nicht. Wichtiger ist dieser Satz: »Das Charakteristische für diese Bewegungen ist vielmehr eine außerordentliche Perfektion der Mittel, nämlich in erster Linie der propagandistischen Mittel in einem weitesten Sinn, kombiniert mit Blindheit, ja Abstrusität der Zwecke, die dabei verfolgt werden.«

Das trifft die Politik der Großartigkeit gut, nicht wahr? Es liegt mir fern, den kleinen und den großen Lügner mit Nazis zu vergleichen, das wäre Unsinn. Interessant ist: Im Grunde besteht die Politik beider – wie auch die ihrer Apologeten Salvini oder Bolsonaro – aus nichts als Propaganda. Die aber beherrschen sie perfekt.

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Warum eigentlich?

Man kann sagen: weil sie nicht wirklich ein inhaltliches Ziel haben. All diesen Leuten sind politische Inhalte egal. Der große Lügner ist ja, darüber hinaus, nicht fähig, eine funktionierende Regierung zu organisieren, weil ihm auch das wurscht ist. Ihnen allen geht es nur um sich selbst. Und weil es ihnen nur um sich selbst geht, konzentrieren sie sich auf das, was ihnen selbst hilft. Das ist Propaganda.

Das Verblüffende ist doch, dass Leute, die eine reaktionäre Politik betreiben (aber auch nur, weil das Reaktionäre zurzeit am meisten Erfolg verspricht), so souverän mit allermodernsten Mitteln arbeiten, Facebook, Twitter und anderen sozialen Medien zum Beispiel – was damit zu tun hat, dass sie diese Mittel skrupellos nutzen. (Wer das genauer wissen will, schaue sich auf Netflix den Dokumentarfilm The Great Hack an, der zeigt, wie Manipulation mit Hilfe unrechtmäßig beschaffter Daten und gefälschter Nachrichten funktioniert.) Dass dies so ist, muss damit zu tun haben, dass die Politiker der Großartigkeit an nichts anderem interessiert sind als dem Machterwerb und der Machterhaltung. Sie vertun keine Zeit mit politischen Programmen, sie arbeiten nicht an der Lösung von Problemen, sie machen nur eines: Wahlkampf. Denn weil sie allesamt hemmungslos eitle, narzisstische, sich selbst bespiegelnde Figuren sind, gibt es für sie nur: Machterwerb, Macht­erhalt.

Weil solche Menschen Propaganda effektiv und nutzbringend betreiben, weil sie ihre Mittel rücksichtslos nutzen und weil ihre hemmungslosen Versprechen sowie ihre eigene Person für viele Menschen, die im eigenen Leben jede Großartigkeit vermissen und sich deshalb nach ihr sehnen (und auch nach einem, der sie dorthin führt), so attraktiv sind, haben sie Erfolg. Niemals wird es ein Erfolg auf Dauer sein. Niemals werden sie den Menschen von Nutzen sein, wie denn? Sie wollen es doch gar nicht. Erdoğan brachte den Türken eine Zeit lang ökonomische Prosperität. Nun steht die Wirtschaft am Rand des Kollapses.

Was hilft? Tja. Genau daran zu erinnern, vielleicht? Adorno schreibt, »das einzige, was mir nun wirklich etwas zu versprechen scheint, ist, daß man die potentiellen Anhänger des Rechtsradikalismus warnt vor dessen eigenen Konsequenzen, daß man ihnen klar macht eben, daß diese Politik auch seine eigenen Anhänger unweigerlich ins Unheil führt (…)«. Man ersetze das Wort Rechtsradikalismus durch Politik der Großartigkeit. In Deutschland kann man’s stehen lassen.