Herzlich desinteressiert

So sehr er sie mag, so wenig interessieren unseren Leser die ewigen Gesundheitsthemen, die eine gute Freundin anspricht, sobald sie sich sehen. Kann er ihr das sagen, ohne die Freundschaft zu riskieren? 

Illustration: Serge Bloch

»Eine gute Freundin, 76, Witwe, die ich seit 45 Jahren kenne, redet, wenn sie mich trifft, nur von ihren Krankheiten nebst vielen Randgeschichten aus Arztpraxis und Apotheke. Wie kann ich ihr schonend beibringen, dass mich das a) nervt, b) nicht interessiert und c) langweilt, weil ich die Geschichten zum zigsten Mal höre? Und zwar so, dass sie nicht beleidigt ist, weil ich den Kontakt zu ihr durchaus schätze.«
Werner S., Neu-Ulm

So nachvollziehbar Ihr Genervtsein ist, sei die Bemerkung erlaubt, dass Ihre Freundin immerhin ein schönes Gegengewicht zum neuerdings allseits verkündeten »Alles Gut«-Diktum bildet. Ihr zufolge ist nämlich nicht alles gut, und zwar nie. Recht hat sie. Der Mensch befindet sich ab der Geburt im freien Verfall. Mit zunehmendem Alter wird alles immer schlimmer, und es ist vor diesem Hintergrund ein Hohn, dass immer mehr Menschen bei immer mehr Gelegenheiten hinausplärren, es sei »alles gut«. Das mal zum grundsätzlichen Equilibrium auf der Welt, zu dem Ihre Freundin einen wichtigen Beitrag leistet.

Auf persönlicher Ebene ist auf Ihrer Seite Handlung gefragt. Wenn Sie den Kontakt wirklich schätzen, dann helfen Sie dieser Frau. Es kann nicht sein, dass ihr selbst ihr Dauermonolog-Thema gut tut. Es ist sogar bewiesen, dass das ständige Beschäftigen mit Krankheiten diese eher befördert. Bei Menschen, die über nichts anderes reden, liegt die Vermutung nahe, dass sie einsam sind und sonst nichts erleben, über das sie reden könnten oder das sie interessant für andere finden. Vielleicht könnten Sie ja mit Ihrer Freundin mal was Schönes unternehmen. Gehen Sie mit ihr in ein Konzert oder schauen Sie sich zusammen einen Film an oder machen Sie sonst irgendetwas gemeinsam, über das man sich hinterher unterhalten kann. Von einem Spaziergang würde ich abraten, denn am Ende redet sie dabei nur noch mehr als sonst.

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Die andere Möglichkeit, die ich sehe, ist, dass Sie Ihrer Bekannten auch mal etwas erzählen. Sie müssen ja nicht immer nur zuhören, sondern können selbst aktiv an der Gestaltung Ihrer Gespräche mitwirken. Kommt sie mal wieder mit einer Geschichte von Arzt oder Apotheker, kontern Sie mit was Lustigem. Oder Sie fragen sie gezielt nach etwas anderem. Auch dies könnte eine Lösung sein.