Geigen des Grauens

Dass Fernsehbeiträge über Kindesmissbrauch oder die Nazizeit mit klassischer Musik unterlegt werden, findet ein Leser empörend. Was sagt unsere Kolumnistin dazu?

Illustration: Serge Bloch

»Während einer Polittalkshow über Kindesmissbrauch wurden Bilder über den Fall Lügde gezeigt. Unterlegt wurde dies mit klassischer Musik. Ähnliches passierte bei einem Beitrag zu einem Kapitel der Nazizeit. Das finde ich unerträglich und unangemessen, auch für die Opfer, und verwerflich gegenüber dem Komponisten. Das ZDF antwortet mir, dass die ›markante musikalische Untermalung‹ zeitgemäß sei. Ist das eine Frage für den Ethikrat?« Klaus M., Hamburg

Ich habe den Ethikrat direkt gefragt, ob er sich mit Ihrer Frage befassen würde. Ich muss Sie enttäuschen, die Antwort ist Nein. Die kümmern sich um die ganz großen Dinge. Wie leben wir in einer Gesellschaft zusammen? Wie weit dürfen Wissenschaftler forschen? Was dürfen Ärzte tun und was nicht? Man würde Sie dort, sagte man mir, mit Ihrem Anliegen an den Rundfunkrat der betreffenden Sendeanstalt verweisen, in diesem Falle wäre dies der ZDF-Fernsehrat, und das ZDF haben Sie ja schon gefragt.

Vorsichtshalber habe ich es auch noch einmal getan. Die Antwort blieb die gleiche, die Erklärung ist immerhin inte­ressant: Im Lauf der vergangenen Jahre hätten sich die allermeisten Sendungen im Fernsehen, auch Dokumentationen und Reportagen, inhaltlich und stilistisch sehr verändert. Früher habe man ruhigere Einstellungen, weniger Szenenwechsel und eher unauffällige Begleitmusik be­vorzugt. Heute jedoch erscheine »eine bewegte Bildregie, plakative Sprache und markante musikalische Untermalung« zeitgemäß.

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Das bedeutet: Das ZDF verändert sich, und Sie nicht. Und das darf auch so sein. Sie haben ja, anders als eine öffentlich-rechtliche Fernsehanstalt, keinen Auftrag, der über Ihr eigenes Dasein hinausweist. Das ZDF aber muss sich an ein möglichst breites Publikum wenden. Und man nimmt wohl an, dass auch beim ZDF-Publikum die Bereitschaft oder das Vermögen abnimmt, sich zu konzentrieren. Und dass der Durchschnittszuschauer nicht in der Lage ist, ein Geschehen einstufen zu können, ohne dass Musik ihm das passende Gefühl vorbuchstabiert. Ohne La donna è mobile aus Verdis Rigoletto käme er ja auch nie drauf, dass eine Fertigpizza nach Italien schmeckt. Der Urheberschutz erlischt 70 Jahre nach dem Tod eines Komponisten. Sie können nichts machen. Schalten Sie den Fernseher aus, lesen Sie Zeitung.