Meer geht nicht

Surfer empfinden eine tiefe Verbundenheit zur Natur und kämpfen für den Schutz der Ozeane. Aber leider erreicht man von Deutschland aus die besten Surfstrände nur im Flugzeug. Kann man diesen Sport in Zeiten der Klimakrise noch ausüben?

Kräftige Welle, warmes Wasser? Das kann nicht in Deutschland sein.

Foto: Getty Images

Es gibt einen magischen Ort, an dem Menschen zwischen Regenbögen mit Delfinen spielen können. Um dorthin zu gelangen, genügt ein Surfboard. Man paddelt hinaus, taucht unter den brechenden Wellen hindurch, bis kurz hinter die Brandung. Da draußen sitzend, sieht man zauberhafte Dinge: Die Gischt hinterlässt im Sonnenschein kleine Regenbögen, das fiel mir in Portugal zum ersten Mal auf. In Costa Rica sah ich Delfine zwischen Surfern in den Wellen spielen, in Kalifornien trieb ein Seeotter neben mir, der auf dem Rücken liegend Krebse knabberte.

Die Harmonie des Surfers mit der Natur stört nur eine Sache – das Fliegen. Wer als Deutscher zu den Wellen von Malibu bei Los Angeles möchte, wo Surfen in den Fünfzigerjahren groß wurde, verursacht auf dem Flug mehr als sechs Tonnen Kohlendioxid. Pro Person. Der nächstgelegene Surfstrand liegt von München aus – wo ich lebe – 700 Kilometer entfernt in Ligurien. Dort bringt das Meer nur alle paar Wochen nach Stürmen ausreichend hohe Wellen hervor. Der erste Ort mit halbwegs zuverlässigen Surfbedingungen ist die französische Atlantikküste (1300 Kilometer), 14 Autostunden oder zwei Flugstunden entfernt. Welche Schäden darf ein Hobby verursachen?

Die Frage betrifft nicht nur Surfer. Golfer reisen im Winter gern nach Spanien, andere schnorcheln in Thailand oder fahren als Norddeutsche Ski in den Alpen. Aber bleiben wir beim Surfen, weil man da alle ­Aspekte dieser Gewissensfrage sieht: das Verdrängen, das Schönreden und den möglichen Verzicht. »Wenn man ehrlich ist, gibt es keine Argumente für weite Surfreisen mehr«, sagt Michael Zirlewagen, der Vizepräsident des Deutschen Wellenreitverbandes. »Es gibt dann aber auch keine Argumente mehr für Fleisch, SUV oder das neueste Handy­modell.« Zirlewagen ist es wichtig zu sagen, dass er nur für sich spricht. Im Verband werde das Fliegen oft diskutiert, »aber wir finden keine Lösung«.

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Ich wollte in diesem Sommer zu Rudolfo, einem Bekannten, der in Portugal Ferienhäuser hat. Im SZ-Magazin 37/2014 empfahl ich seine Unterkünfte für surfende Familien. Fünf Jahre später versteckt sich die Gewissheit, dass Fliegen verheerend für die Umwelt ist, nicht mehr in einer hinteren Ecke des Gehirns. 2019 habe ich den Begriff Flugscham gelernt. Die Klimaforscherin Joëlle Gergis schrieb kürzlich in einem Essay, sie bekomme nach Konferenzen Weinkrämpfe – weil die Fakten so klar seien, so ein verzweifelter Ruf nach entschlossenem Handeln. Weltweit muss sofort massiv der Ausstoß von klimaschädlichen Gasen reduziert werden. Weltweit heißt auch: Hey, Marc Baumann, ändere endlich deinen Lebensstil! Mein Lebensstil bedeutet zu einem Teil aber: Surfen. Schon als Kind in Frankreich-Urlauben auf kleinen Styropor-Brettern, auf jeden anderen Sport könnte ich verzichten. Und hat das Reisen an sich nicht einen Wert? »Mein Umweltbewusstsein kommt vom Surfen, da ist mein Blick auf die Welt entstanden«, sagt Michael Zirlewagen.

Viele Surfer sammeln Plastikmüll am Strand ein, kämpfen für den Schutz der Meere, sind Veganer. Im Frühjahr hab ich mir die »Fernweh-Ausgabe« eines deutschen Surfmagazins gekauft. In dem Heft wird geworben für Kleidung und Surfzubehör aus recycelten Materialien – aber ein Artikel empfiehlt neben einer Weltkarte die »Top Ten Surfziele« für 2019 von Kanada bis Indonesien. »Das Thema Fliegen ist der Elefant im Raum, über den keiner spricht«, sagt Bruce Sutherland, Herausgeber des Stormrider Surf Guides, des bekanntesten Surfreiseführers. Er lebt in London, ein Flug mit dem Billigflieger zu den Wellen bei Lissabon koste ihn ein Zehntel der Autofahrt dahin. Solange Fliegen lächerlich billig sei, werde sich nichts ändern, sagt er.

Michael Zirlewagen hat mehr Hoffnung: »Die Debatte ums Fliegen erinnert mich an die Proteste gegen sexistische Surfwerbung vor einigen Jahren, da haben die Firmen gemerkt, um das Thema kommen wir nicht rum.« Der Weltverband »World Surf League«, der in Wettkämpfen von Australien über Frankreich bis Hawaii seine Weltmeisterschaften ausrichtet, hat verkündet, den Kohlenstoffdioxid-Verbrauch aller Flüge mit Spenden für Umweltschutzprogramme auszugleichen. Zur kleinen deutschen Surf­meisterschaft in Frankreich werden Busse organisiert. Aber Profisport ganz ohne Fliegen gehe nicht, sagt Zirlewagen. Nächstes Jahr ist Wellenreiten olympisch, in Tokio.

Und das Surfen in der Freizeit? Zirlewagen war dieses Jahr in Sri Lanka, mit schlechtem Gewissen, aber: »Die Wellen in Asien sind signifikant besser als in Europa«. Zumindest Surfer, die an Weltklassestränden leben – Australier, Südafrikaner, Hawaiianer – könnten einfach an ihrem Heimatstrand bleiben. Aber immer derselbe Strand reicht ihnen nicht. Bis zur nächsten Welle brauche ich vom SZ-Büro aus zehn Minuten mit dem Rad: zum Eisbach, einer stehenden Fluss­welle. Da surfe ich seit Jahren, klimaneutral. Dass dort die Lösung meines Problems liegt, habe ich noch nie gedacht.