Das Ferien-Dilemma

Er will surfen, sie will lesen, und das Kind will auf den Bauernhof. Der gleiche Streit wie jedes Jahr. Was tun?


Meine Freundin kann einem leid tun. In Costa Rica zog die Strömung sie fast ins offene Meer hinaus, in Kalifornien schwamm sie in den Jagdgewässern des Weißen Hais, und am Strand in Andalusien blies der Wind so stark, dass sie den ganzen Urlaub erkältet war. Dabei wollte sie nur bei einem Badeurlaub entspannen. Aber ihr Freund, also ich, musste im Urlaub ja unbedingt surfen gehen. Und dort, wo man gut wellenreiten kann, in rauer See, ist Baden kein Spaß. Daher hatten wir eine jährlich wiederkehrende Beziehungskrise: die Urlaubsplanung. Und wir sind nicht die Einzigen, in meinem Freundeskreis kenne ich vier Paare mit unvereinbaren Vorstellungen gelungener Ferien. Julia etwa, die auf dem Liegestuhl lesen möchte, deren Freund aber am liebsten 100 Kilometer Rennrad fährt. Pro Tag. Lars, der im Sommer gern auf Almen wandert, aber eine Frau hat, die seit der Kindheit in jedem August an die Nordsee fährt. Stefans Freundin liebt Reisen ans Polarmeer, er dagegen Safaris in Afrika. Eva, die Südeuropa mag, sitzt ihrem Mann zuliebe lesend auf dem Beifahrersitz im VW-Bus im verregneten Dänemark, während er in Sturmtiefs windsurft.

Wenn dann noch ein Kind dazukommt, das weder Meer noch Berge will, sondern Ponyreiten auf dem Bauernhof, wird die ganze Sache hoffnungslos. In meinen ersten Urlauben mit Baby blieb das Surfbrett daheim – es hätte eh unmöglich noch ins Auto gepasst neben Kinderwagen, Kindersitz und Kind. Wir fuhren in babyfreundliche Regionen: in Kinderhotels mit Streichelzoo, nach Südtirol, zum Gardasee, ins Altmühltal. An einem Winterwochenende im Allgäu lieh ich mir mittags, als das Kind schlief, für drei Stunden ein Snowboard aus – und merkte, wie gut das tat: ein kurzer Ich-Moment im Familienurlaub. Geht das nicht: ein Urlaub, bei dem niemand verzichten muss?

Dann kam Weihnachten, und meine Freundin wollte, dass wir wieder bei ihren Eltern feiern. Dafür bot sie an: »Dann darfst du den Sommerurlaub aussuchen.« Mutter, verzeih, ich habe Heiligabend mit dir gegen einen Surfurlaub getauscht. Für den gab es einige Auflagen: »Ich will schwimmen – ohne Haie oder windverblasene Strände«, sagte die Freundin. »Ich will Babyziegen und Katzen und einen Spielplatz«, sagte das Kind. Wo soll es das geben: einen Bauernhof mit Brandung? Jenseits von Europa, auf Bali oder den Malediven, gäbe es Postkartenstrände mit tollen Wellen, warmem Wasser und exotischen Tieren – aber im Flugzeug 13 Stunden lang ein quengelndes Kleinkind zu unterhalten, ist ein zu hoher Preis, abgesehen von den Flugkosten.

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»Fahr in den Alentejo«, riet mir mein Freund Paulo. Er ist Portugiese, lebt in München und sagte weiter: »Der Alentejo ist der schönste Teil Portugals. Da sind die wenigsten Touristen, die tollsten Strände, viele Surfer. Und die felsige Küste hat windgeschützte Buchten.« Ich gab bei Google »Kind«, »Tiere«, »Ferienwohnung«, »Surfen«, »Pool«, »Alentejo« ein. Die Suchmaschine fand: Rudolfo (Links siehe Autorenkasten). Der hatte mal Rudolf geheißen, bis er vor dreißig Jahren aus der Schweiz auswanderte. Rudolfo trägt mit Mitte fünfzig aus Prinzip nur Surfshorts. Meistens ohne T-Shirt. Fünf Ferienwohnungen und einen Pool hat er in ein Tal gebaut, 15 Minuten vom Meer entfernt. Er wohnt dort mit seiner zweiten Frau, deren Kindern, einem Hängebauchschwein, Katzen, Hunden, Hühnern, Ziegen und einem Pfau, der gern am Pool spazieren geht. Es gibt eine Lagerfeuerstelle, und auf einer Anhöhe hat er Schaukeln in die Bäume gehängt. Tiere fürs Kind, der Pool für die Freundin – könnte klappen, dachte ich, und buchte.

Beim Einpacken des Neoprenanzugs kam ich mir schon egoistisch vor. Aber mit etwas Absprache war mein Hobby kein Problem: Sehr früh morgens, oder mittags, wenn Kind und Freundin schliefen, fuhr Rudolfo mit mir an den je nach Windrichtung und Wellenhöhe idealen Strand. Ein bis zwei Stunden surfte ich am Tag, genug zum Austoben, um danach bestens gelaunt zu machen, was der Rest der Familie möchte: mit dem Kind Sandburgen bauen und Krebse suchen, während die Freundin unter dem Sonnenschirm liest. Wenn zeitweise jeder macht, was er will, ist der Gruppe mehr gedient als durch jeden faden Kompromiss. Sogar den Grill zu putzen verdarb mir nicht die Laune, weil ich gleich im Smartphone die meist gute Wellenvorhersage für den folgenden Morgen sah. Das Kind trug den halben Urlaub über Kätzchen durch die Gegend, die Freundin schaffte alle Bücher, wir pflückten am Wegrand Wassermelonen. Der beste Moment war, als meine Freundin fragte: »Buchen wir gleich für nächstes Jahr?«

Fotos: Marc Baumann