»Heute hört sich doch keiner mehr bewusst eine Platte an«

Peter Kruder im Interview über seine Liebe zur Musik und zu gutem Klang, einen Brief an Tom Waits, die Bedeutung des Drumsounds für musikalische Innovationen und die aussterbende Kulturtechnik des Plattenhörens.

Peter Kruder vor einem winzigen Teil seiner Plattensammlung.

Foto: G Stone Records

In den vergangenen Monaten hat sich Peter Kruder (vom weltberühmten DJ-Team Kruder & Dorfmeister) so lange durch die 35.000 Platten in seiner Sammlung gehört, bis 17 Lieblingsstücke übrig geblieben sind. Diese erscheinen nun auf seiner Private Collection, einem der tiefsten, musikalisch überraschendsten Sampler der letzten Jahre. Im Interview spricht Kruder über seine Liebe zur Musik und zu gutem Klang – und bekennt, wie sehr es ihn schmerzt, dass die Popmusik heutzutage immer mehr zu Hintergrundgedudel verkommt.

Peter Kruder, ich glaube, ich habe verstanden, welches Motiv Ihrem neuen Sampler Private Collection zugrunde liegt. Sie möchten nicht nur siebzehn Ihrer Lieblingsstücke präsentieren, sondern auch eine Lanze für den Akt des konzentrierten Musikhörens brechen.
Das war eine der Antriebsfedern des ganzen Projekts. Musikhören ist eine gefährdete Kulturtechnik. Heute hört sich doch keiner mehr bewusst eine Platte an. Mir war das selbst auch ein bisschen abgegangen – bis ich mir vor fünf Jahren eine ordentliche Anlage für mein Wohnzimmer gekauft habe. Es ist mir ein Anliegen, die Leute dazu zu bringen, sich hinzusetzen und bewusst Musik zu hören.

Selbst aus Platten, die man in- und auswendig zu kennen glaubt, kann eine neue, hochwertige Anlage Erstaunliches herausholen!
Ja, das ist unglaublich. Was außerdem wirklich krass ist: Mittlerweile hat man sich schon so an MP3 gewöhnt, dass man gar nicht mehr erkennt, was man vermisst. Bei der Art, wie man heute Musik hört, spielt die Wiedergabequalität leider keine große Rolle mehr. Aber sobald man gutes Vinyl auflegt, hört wirklich jeder den Unterschied!

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Es ist paradox, dass die Musik, die ein Durchschnittshörer in seinem Wohnzimmer spielte, vor zwanzig Jahren besser klang als heute.
Dafür ist es jetzt komfortabler. Das ist den Leuten wichtiger.

»Wenn sich in den letzten fünfzig Jahren etwas verändert hat, dann waren es eigentlich immer die Drums: Jede Musikbewegung hatte einen neuen Drumsound«

Verliert die Musik dadurch an Bedeutung?
Absolut. Leute in meinem Alter – ich bin 42 – sind mit Vinyl aufgewachsen und haben den Footprint dieses Sounds im Kopf. Musik, die man herunterlädt, erfüllt diesen Footprint nicht. Deswegen verlieren viele Leute den Bezug zur Musik: Sie wird unwichtig, weil sie einfach nicht mehr so berührt. Das ist, wie wenn man sich Bilder mit einer verschmutzten Brille anschaut. Man sieht nicht alles beziehungsweise hört nicht alles, und deshalb wirkt es auch nicht so.

Auf Ihrer CD sind Songs aus ganz unterschiedlichen Stilrichtungen vertreten: Jazz, Soul, Filmmusik, Postrock, New Wave, afrikanische und elektronische Musik. Ein gemeinsames Merkmal scheint mir zu sein, dass sich die Stücke alle auf unvorhersehbare Weise entwickeln.
Das ist ein Anspruch, den ich an Musik habe. Ich möchte überrascht werden und Sachen hören, die ich nicht erwarte. Das kann in alle Richtungen gehen: harmonisch, soundästhetisch, dynamisch. Aber Überraschung ist wichtig.

Eine weitere Gemeinsamkeit: Alle Stücke haben einen ganz eigenen, prägnanten Drumsound.
Ein ganz wichtiger Punkt. Harmonisch kann man nicht so viel verändern, deshalb sind die Drums immer das, was den zeitlichen Rahmen der Musik absteckt. Wenn sich in den letzten fünfzig Jahren etwas verändert hat, dann waren es eigentlich immer die Drums: Jede Musikbewegung hatte einen neuen Drumsound. Vergleichen Sie mal zehn Jahre alte Clubmusik mit heutiger Clubmusik– das einzige, was sich verändert hat, sind die Drums. In den letzten zwei Jahren hat sich zum Beispiel die HiHat total verabschiedet. Es wird alles mögliche verwendet, irgendwelchen Scheppergeräusche, ein Tamburin – nur keine normale HiHat.

Die größte Überraschung auf der CD ist sicherlich das Stück von Jan Hammer, den man vor allem als Komponisten des Miami Vice-Themas kennt.
Vor vielen Jahren habe ich bei einem Freund ein paar Platten von Jan Hammer gesehen. Für mich war der damals auch mit Miami Vice behaftet. Mein Freund sagte, warte mal, und hat mir dieses Stück vorgespielt. Ich habe gesagt, wow, ok!

Eine weitere Überraschung: Tom Waits. Der ist zwar, anders als Jan Hammer, nicht als seltsamer Jazz-Mucker verrufen, bewegt sich mit seiner Musik jedoch fern vom Clubkontext, aus dem Sie kommen.
Tom Waits kommt aus einer Zeit, wo man alles mögliche gehört hat: was immer gerade rausgekommen ist und cool war. Das Querbeet-Musikhören ist leider verlorengegangen. Heute gibt es so ein Überangebot, dass man sich entscheiden muss, aus welcher Richtung man Platten kauft. Da wird es schwierig, Sachen zu finden, die von woanders kommen und irgendwie quer liegen.

Wir haben für unsere SZ-Diskothek versucht, Tom Waits zu lizenzieren. Die Stücke aus den Siebzigern haben wir bekommen, aber aus den Achtzigern haben wir nichts gekriegt. Wie haben Sie es geschafft, »Clap Hands« von Waits’ Meisterwerk Rain Dogs zu lizenzieren?
Es war irrsinnig schwierig. Ich habe ihm einen persönlichen Brief geschrieben, den seine Managerin, die auch seine Frau ist, über ich weiß nicht wie viele Umwege erhalten hat. Und dann ist das durchgegangen. Ebenso schwierig war es, das Stück »Ghosts« von Japan zu bekommen.

Hatten wir auch auf der Diskothek!
Ein traumhaftes Stück. Einer meiner all time favorite Songs!

Über alle Künstler auf der CD schreiben Sie im Booklet ein paar Sätze – bloß über den großen Filmkomponisten Bernard Hermann nicht. Warum?
Weil es so viel von ihm gibt, und auch so viel Gutes! Ich bin ein großer Filmmusik-Fan. Ich finde es großartig, Musik zu schaffen, die einem Zweck dient. Vor allem wenn man Stücke schreiben kann, die den Film ausmachen – wie Bernard Hermann oder Ennio Morricone es konnten. Das ist eine hohe Kunst. Filmmusik ist nicht so populär, wie sie eigentlich sein sollte.

Was mich überrascht hat: Es sind nur zwei Stücke aus Jazz, Funk und Soul dabei. Da hatte ich auf mehr gehofft.
Ursprünglich war die Private Collection als Doppel-CD geplant; die zweite CD wäre komplett Soul gewesen. Ich habe mich dann aber dagegen entschieden, weil die CD, so wie sie jetzt ist, mein Anliegen mehr auf den Punkt bringt: dass man eine Compilation mit Musik aus den vergangenen vierzig Jahren machen kann, die total fresh klingt.

Jetzt bin ich neugierig: Was war denn auf der Soul-CD drauf?
Zum Beipiel Les McCann, Peter Brown, Rufus & Chaka Khan, Phyllis Hyman, Roy Ayers, American Gypsy. Sehr deepe Sachen.

Sie besitzen 35.000 Platten. Es muss schwierig gewesen sein, daraus eine Essenz von siebzehn Stücken zu destillieren.
Wahnsinnig schwierig! Aber was ich dabei gelernt habe: Es gibt nicht so viele Stücke, die wirklich wichtig sind. Von den sechzig, siebzig Stücken, die ich anfangs ausgewählt hatte, sind nicht viel mehr übrig geblieben als die, die nun auch auf der CD sind.

Dann könnten Sie Ihre Plattensammlung eigentlich radikal verkleinern.
In meiner Sammlung steckt aber irrsinnig viel Inspiration. Es geht ja alles im Kreis. Immer wieder. Wenn ich Franz Ferdinand höre, kann ich auf ältere Stücke verweisen, die genauso klingen. Allein dafür ist die Plattensammlung Gold wert.

War auch nicht ganz ernst gemeint, der Vorschlag. Ich weiß schon, dass man als Sammler an seinen Platten hängt.
Alleine das Haptische, die LPs in der Hand zu halten! Und was auch fantastisch war: Früher war ein Albumcover von Led Zeppelin die einzige Information, die es über so eine Band gegeben hat. Das hat natürlich extrem die Fantasie angeregt. Heutzutage ist jede Information erhältlich, man kann alles nachlesen. Das Mystische ist dabei verlorengegangen. Leider.

Wird die Private Collection auch auf LP rauskommen?
Nein. Das ist schade, aber ganz ehrlich: Ich könnte höchstens eine limitierte Auflage machen, die irrsinnig teuer ist. Alles andere wäre sinnlos – es wird heute einfach zu wenig Vinyl verkauft. Wir haben labelmäßig große Probleme mit den Vinylsachen, die wir in den letzten zwei, drei Jahren gemacht haben. Eine Zeitlang haben wir bei G-Stone gesagt, ok, wir machen es als Promotion, damit die Platten in den Läden stehen und gesehen werden. Das macht inzwischen auch keinen Sinn mehr, weil es fast keine Plattenläden mehr gibt. Es geht sich fast nicht mehr aus, Vinyl zu machen.

Peter Kruders »Private Collection« erscheint am 4. September. Damit beginnt die neue »G-Stone Master Series«, in der in Zukunft auch andere Musik-Kenner ihre Lieblingstracks veröffentlichen werden.