»Wahrscheinlich wollte Dylan einfach raus aus seiner Kiste«

Der Gitarrist Phil Upchurch gewährt im Interview einen seltenen Einblick in Bob Dylans Arbeitsprozess, spricht aber auch über die Lehren aus einer langen Karriere und seine Begegnungen mit Musik-Ikonen wie Howlin' Wolf, Curtis Mayfield und Michael Jackson.

Dies ist die Band, die Bob Dylans Album Christmas In The Heart eingespielt hat: Donnie Herron, Tony Garnier, Phil Upchurch, George Receli, David Hidalgo (v.l.n.r.).

Foto: Phil Upchurch

Auch sechs Wochen nach Erscheinen beschäftigt Bob Dylans Weihnachtsalbum Christmas In The Heart die Gemüter. Dylan selbst äußerte sich jüngst im Exklusiv-Interview mit einer Obdachlosenzeitschrift, Uncut nahm die wunderliche Platte soeben zum Anlass, um 2009 als Dylans »weirdest year ever« zu beschreiben; im dazugehörigen Artikel kommt David Hidalgo von Los Lobos zu Wort, der auf Christmas In The Heart und dem Vorgänger Together Through Life mitgespielt hat. Neu in der Band war hingegen der Gitarrist Phil Upchurch, ein Session-Veteran, den ich nun zur Arbeit mit Dylan und zu einigen Stationen seiner langen Karriere befragen konnte.

Upchurchs Name hat für mich einen nahezu magischen Klang, denn es gibt kaum einen Sideman, der mit so vielen Top-Leuten gespielt und in ähnlich vielen Stilen sein Zeichen hinterlassen hat. Upchurch kommt aus Chicago und war schon als Teenager bei den Dells und Bluesmann Otis Rush dabei. In den Sechzigern spielte er auf Platten von Muddy Waters, Howlin' Wolf und Jimmy Reed, aber auch mit Jazzern wie Dizzy Gillespie, Stan Getz, Woody Herman und Richard »Groove« Holmes. In den Siebzigern war er Teil der Session-Szene in L.A., machte erfolgreiche Soloplatten und gastierte auf Michael Jacksons Album Off The Wall. Er tourte mit so verschiedenen Künstlern wie Brother Jack McDuff, Jimmy Smith und Julio Iglesias, und ist auch auf Smokey Robinsons neuem Album Time Flies When You're Having Fun zu hören.

Phil Upchurch, Sie sind  einer der wenigen Musiker, die mit Michael Jackson und Bob Dylan gespielt haben. Stolz?
Ja, sehr. Wie könnte ich das nicht sein? Ich kann manchmal kaum glauben, dass ich mit solchen Größen zusammengearbeitet habe. Als ich in den Fünfzigern angefangen habe, professionell Musik zu machen, wollte ich einfach nur mit den Musikern spielen, die ich respektierte. Ich hätte nie zu träumen gewagt, dass sich meine Karriere so entwickeln würde! Ich spiele hauptsächlich Blues, Soul und Gospel, und es hat mich immer wieder umgehauen, wenn Künstler aus anderen Bereichen bei mir angerufen haben, so wie Bob Dylan, Cat Stevens oder Al Hirt.

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Haben Michael Jackson und Bob Dylan etwas gemeinsam?
Auf jeden Fall. Beide sind sehr zielstrebig. Sie sind kreativer als die Konkurrenz, Anführer und keine Mitläufer. Sie folgen ihren eigenen Instinkten. Dabei sind sie sehr bescheiden und aufnahmebereit für die Ideen ihrer Musiker, bis hin zu Fragen wie »Was meint ihr, wie wir es spielen sollen?«.

Wie kamen Sie dazu, auf Bob Dylans Weihnachtsalbum Christmas In The Heart zu spielen?
Das habe ich Bob auch gefragt. Ich wollte wissen, welche Aufnahme ihn dazu gebracht habe, mich anzurufen. Er sagte, es sei keine bestimmte Platte gewesen, er würde meine Karriere schon lange verfolgen.

Wo fanden die Sessions statt?
Wir haben das Album im Mai in einem Studio in Santa Monica eingespielt.

Dylan gilt als jemand, der im Studio schnell ungeduldig wird, wenn irgendetwas nicht gleich gelingt. Haben Sie ihn auch so erlebt?
Nein, eigentlich nicht. Aber Spontanität ist ihm wichtig. Alles wurde im ersten oder zweiten Take aufgenommen. Wenn wir den Groove hatten, nach dem Bob gesucht hat, haben wir den Rest des Tages mit Overdubs und Korrekturen verbracht.

Wie war die Stimmung im Studio?
Entspannt, aber konzentriert. Bob mag es, wenn es eher eine Performance als eine Aufnahmesession ist. Die Backgroundsänger standen direkt neben ihm. Und es gab keine akustischen Trennwände vor dem Schlagzeug. Ich habe noch nie eine Session gespielt, bei der keine solchen Trennwände herumstanden! Bob wollte einen natürlichen Sound haben.

Es muss ein bisschen seltsam gewesen sein, Bob Dylan auf einmal Weihnachtslieder singen zu hören.
Das ist es, was ich an Bob liebe! Er ist ein total eigenständiger Mensch. Wirklich kreative Menschen folgen keinen Trends – sie sind der Trend, bewahren sich ihre eigene Wahrheit und Integrität. Er ist ein echter Künstler, der erneut seinen künstlerischen Rahmen erweitert hat – wie damals, als er anfing, elektrische Gitarre zu spielen.

Hat Dylan Ihnen verraten, was ihn dazu bewegte, so ein spezielles Album aufzunehmen?
Darüber haben wir nicht gesprochen und ich habe ihn auch nicht gefragt. Wahrscheinlich wollte er einfach raus aus seiner Kiste und etwas machen, was er noch nie zuvor gemacht hatte. Wie gesagt: Er ist ein total eigenständiger Mensch.

Sie haben auf Tausenden von Studiosessions gespielt. War irgendetwas an der Dylan-Session ungewöhnlich?
Was das Musikmachen angeht, nicht. Ungewöhnlich war nur, dass sich Dylan überhaupt nicht für die gängigen Aufnahmemethoden interessiert. Bei ihm werden die Instrumente während der Aufnahme nicht voneinander getrennt, so dass das Gesangsmikro beispielsweise auch etwas vom Gitarrensound aufnimmmt. Die einzigen Platten, die heute noch so gemacht werden, sind Orchester-Aufnahmen; auch da verschmelzen die Instrumente. Ergebnis ist ein besonders natürlicher Klang, der die Akustik des Studioraums beinhaltet. Im Gegensatz dazu klingen die meisten Platten, die heute aufgenommen werden, nicht natürlich.

Sie spielen regelmäßig in der Kirche. Mit Weihnachtsliedern dürften sie also vertraut sein.
Früher war ich in der First African Methodist Episcopal Church, fünfzehn Jahre lang habe ich dort jeden Sonntag gespielt, wenn ich nicht gerade auf Tour war. Inzwischen bin ich Mitglied im Crenshaw Christian Center von Fredrick K. C. Price, wo meine Ehefrau Sonya und ich 2006 geheiratet haben. Zum ersten Mal in meinem Leben wird mir nun das Wort Gottes nahegebracht, und ich habe das Gefühl, dass Gott durch meine Musik spricht. Ich komponiere gerade Musik für mein nächstes Album – es wird meine erste Platte sein, auf der ich sämtliche Songs selbst geschrieben habe. Sie wird kommendes Jahr auf unserem Label Wondervision Music erscheinen. Aber um Ihre Frage zu beantworten: Ich habe schon auf mehreren Weihnachtsalben gespielt, von Künstlern wie Natalie Cole, Rotary Connection und den Soulful Strings. Die Weihnachtszeit ist meine liebste Zeit im Jahr, und Weihnachtslieder zu spielen erfüllt mich immer mit großer Freude.

»Wenn die Musik nicht auf der Bluestonleiter beruht, geht sie mir nicht in den Körper«

Ihre Karriere begann in den Fünfzigern in der R&B-Szene von Chicago. Was für Erinnerungen haben Sie an diese Zeit?
Alles war viel einfacher. Ich habe mit den Dells gespielt, als ich noch in der High School war, eine aufregende Zeit. Nach den Konzerten bin ich mit dem Bus quer durch die Stadt gefahren, und als ich zu Hause ankam, war es fast schon wieder Zeit, zur Schule zu gehen. Damals wurden Platten zu Hits, weil die Musik toll war und nicht weil man ein großes Promo-Budget hatte. Heute kann man doch mit entsprechendem Werbeaufwand auch weniger talentierte Künstler in die Charts hieven.

Sie haben damals in der Band des Bluesmanns Otis Rush gespielt und auch bereits spätere Soul-Legenden wie Curtis Mayfield und Jerry Butler getroffen, richtig?
Ja, das stimmt, ganz am Anfang meiner Karriere habe ich bei Otis gespielt. Curtis habe ich kennengelernt, als wir beide in der High School waren, noch bevor Jerry Butler zu den Impressions stieß. Jerry habe ich dann auch bald getroffen.

1961 hatten Sie mit dem R&B-Instrumental »You Can’t Sit Down« Ihren ersten Hit. Wie kam es dazu?
Ich war damals in der Band des Sängers Dee Clark, zusammen mit dem Organisten Cornell Muldrow und dem Drummer Joe Haddrick, die beide aus Baltimore kamen, und dem Saxofonisten und Trompeter Mack Johnson aus New York. Bei den Shows von Dee Clark war »You Can’t Sit Down« unsere Eröffnungsnummer, und da das Publikum darauf stets ziemlich enthusiastisch reagierte, dachten wir, dass die Nummer vielleicht ein Hit sein könnte. Wir lagen richtig mit unserer Vermutung.

In den Sechzigern haben Sie mit den absoluten Top-Leuten im elektrischen Blues gespielt: Muddy Waters, Howlin’ Wolf, Jimmy Reed. Was haben Sie aus solchen Sessions mitgenommen?
Meine Musik wurde nicht von diesen Sessions geformt, sondern von meiner Umgebung. Ich habe immer schon Gospelmusik geliebt, genauso Nat King Cole und BB King. All das war schon da, bevor ich Musiker wurde. Seit meiner Geburt habe ich diese Musik gehört und sie hat in meiner Seele Wurzeln geschlagen.

War Howlin’ Wolf wirklich so ein furchteinflößender Typ wie es heute immer heißt?
Kommt darauf an, wen sie fragen, welches Buch sie lesen. Wir waren sozusagen in derselben Mannschaft, mir hat er keine Angst gemacht.

Wie wichtig ist der Blues für Sie?
Wenn die Musik nicht auf der Bluestonleiter beruht, geht sie mir nicht in den Körper. Es muss funky sein – das ist der Sound, in den ich hineingeboren wurde. Wobei mir die Jazz- und Nat-Cole-Platten meines Vaters schon relativ früh eine andere Welt als den Blues eröffnet haben.

In den Siebzigern haben Sie diverse Solo-Platten herausgebracht. Mein Favorit davon ist das Doppelalbum Darkness, Darkness.
Ja, meiner auch. Die ganze Platte wurde sehr spontan aufgenommen. Ich habe den Musikern die Akkorde gegeben, wir haben die Stücke ein paarmal durchgespielt und dann gleich aufgenommen. Wir haben nur selten einen zweiten Take gebraucht.

Die Siebziger waren auch die Zeit, in der sie tolle Duette mit George Benson aufgenommen haben.
Wir kannten uns seit 1961 und haben musikalisch immer gut zusammengepasst. Ich wäre aber nicht darauf gekommen, mit ihm zusammenzuspielen, bis er mich Mitte der Siebziger gefragt hat, auf seinem Album Bad Benson mitzuspielen.

Es heißt, Sie hätten Michael Jackson schon getroffen, bevor die Jackson 5 berühmt wurden. Stimmt das?
Joe Jackson, ihr Vater, hat mich angerufen und gefragt, ob ich nach Gary kommen und dort ein Demo mit seinen Jungs machen könne. Vielleicht auch eine Platte. Das ist schon so lange her, dass ich mich nicht mehr genau erinnere.

1979 waren Sie dann auf Michael Jacksons erstem Solo-Album Off The Wall zu hören.
Ich schaute im Studio vorbei, als sie am Album gearbeitet haben. Quincy Jones sagte nur: Schnapp dir eine Gitarre, Mann und leg los. Michael machte auf mich einen sehr stillen, schüchternen und bescheidenen Eindruck.

Wird es je wieder einen Entertainer wie ihn geben?
Nein, das werden wir nicht erleben.

Die meisten Musiker, mit denen Sie in den vergangenen Jahrzehnten zusammengespielt haben, sind inzwischen verschwunden. Sie sind hingegen immer noch da und weiterhin gut im Geschäft. Warum hat sich Ihre Karriere als derart langlebig erwiesen?
Ich weiß und akzeptiere, dass meine Musik ein Geschenk Gottes ist. Ich schreibe sie nicht, sondern empfange sie von Gott: Ich halte inne, lausche und erlaube Gott, die Musik in mein Ohr zu flüstern. Der Heilige Geist in mir ist für immer jung.