Stilles Land

Der NSA-Skandal ist zu einem Skandälchen geschrumpft. Kaum jemand regt sich noch wirklich auf. Warum ist das so? Unsere Autorin hat zehn Tage in Bad Aibling verbracht, dem Ort, von dem aus die USA jahrzehntelang mitgehört haben.

Im Juni 2013, wenige Tage bevor seine Enthüllungen um die Welt gingen, gab Edward Snowden dem Journalisten Glenn Greenwald in einem Hotelzimmer in Hongkong ein Interview. Snowden, damals 29, wusste, dass ihm eine lebenslange Haftstrafe drohte. Er habe dies akzeptiert, sagte er, Angst habe er vor etwas ganz anderem, nämlich dass seine Enthüllungen keine Veränderung nach sich zögen. Dass die Menschen ihr Verhalten nicht ändern würden. Dass er seine Freiheit umsonst aufs Spiel gesetzt hätte.

Zweieinhalb Jahre später muss man an diese Worte denken, wenn man durch Bad Aibling läuft, diesen kleinen Ort in Oberbayern, 18 000 Einwohner, der zum Symbol für amerikanische Überwachung und Doppelmoral geworden ist. Hier interessiert sich kaum jemand für den Überwachungsskandal, obwohl die Menschen direkt neben den weißen Abhörkugeln leben, den Radomen, die seit Monaten in den Nachrichten auf der ganzen Welt zu sehen sind. »Schwammerl« sagen die Leute zu den Radomen hier, bairisch für Pilze, als wären sie organisch und vergänglich, als könnte man sie pflücken und essen. Doch die Schwammerl stehen für die Verletzung von Grundrechten, für das Wahrwerden Orwell’scher Prophezeiung: Unter den weißen Hüllen liegen Parabolspiegel, von denen man nie weiß, in welche Richtung sie gerade zeigen. Sie erfassen unter anderem E-Mails und Telefongespräche, unermessliche Datenströme. Der Bundesnachrichtendienst nutzt die Technik und gibt Daten an den Geheimdienst NSA weiter. Inzwischen, so wurde berichtet, soll die Weitergabe von Internetdaten eingestellt worden sein. Denn diese waren zuvor durch Suchbegriffe der NSA gefiltert worden: die Selektoren. Und dass diese Selektoren bis vor Kurzem auch deutsche Politiker und Institutionen betrafen, ist der Grund, weshalb Bad Aibling seit Monaten im Zentrum eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses steht, der alle paar Tage noch brisanter wird: Gerade stellte sich heraus, dass auch der BND mit eigenen Selektoren europäische und amerikanische Ziele ausgespäht hat.

Es ist Volksfest in Bad Aibling, die Menschen tragen Tracht. Fragt man sie, wie sie hier so unbeschwert leben können, bekommt man fast immer das Gleiche zu hören: »Nein, die Kugeln stören uns nicht.« Oder: »Wir haben doch nichts zu verbergen.« Und: »An die haben wir uns längst gewöhnt.« Natürlich hätten sie etwas zu tun gehabt mit den Amerikanern, die hier bis 2004 stationiert waren, und ja, den Kindern habe man das ein oder andere Schauermärchen erzählt, aber die Wahrheit sei doch: »Die Amis waren immer gut. Gut zu uns und gut für uns.« Dann schauen manche misstrauisch: Wer will das eigentlich wissen? Und überhaupt, was soll diese Fragerei? Das sei doch auch nichts anderes als ein Verhör, oder sagen wir es doch gleich: Abhören.

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Diese Reaktionen stehen beispielhaft für das deutsch-amerikanische Verhältnis, diese Mischung aus Angst und Respekt, Loyalität, Paranoia und Bewunderung. Ganz anders und viel resoluter müsste man auftreten gegenüber den Amerikanern, denken viele, denken vielleicht auch viele Politiker – und knicken ein, wenn Obama ein paar beschwichtigende Sätze in ein Mikrofon in einem Garten in Washington sagt. Denn, und das ist die andere Wahrheit: Die westliche Welt mit ihren Träumen, Sehnsüchten, Möglichkeiten sähe ohne den jahrzehntelangen amerikanischen Einfluss, ohne D-Day, Rock ’n’ Roll, Hollywood, Bob Dylan, Starbucks und Apple ganz anders aus. Es scheint, als würde uns dieser Einfluss lähmen. Oder zumindest milde stimmen und wegschauen lassen. Jede Generation hat ihre eigene Beziehung zu Amerika, sei es die Befreiung durch amerikanische Militärs, Woodstock oder die ersten Computer. Da füllt sich seit Jahrzehnten eine Art Erinnerungsspeicher auf.

Seit Snowdens Enthüllungen sind die Zeitungen voll mit unglaublichen Meldungen. Ständig kommt ein neuer Skandal dazu, immer noch ein Politiker, noch eine Institution, deren Gespräche jahrelang mitgehört wurden – erst Merkel, dann Schröder, Ministerien, Journalisten. Und ganz Deutschland verhält sich wie Bad Aibling: zurückhaltend, still, verdrängend. Kaum jemand demonstriert oder protestiert. Die meisten schicken weiter unverschlüsselt E-Mails oder nutzen Messenger-Dienste der sozialen Netzwerke. Unser Recht auf Privat-heit wird jeden Tag verletzt. Und wir? Sind gleichgültig. Tun nichts. Warum ist das so? Steht man zum ersten Mal vor den Radomen, wirken sie fremdartig wie Raumschiffe: eine geheimdienstliche Abhörstation, die sich ins All ausrichtet, vor leuchtenden Alpengipfeln, digitale Hochtechnologie in einem Dorf mit Vereinen, Festen und Ritualen. Aber wer sich länger in diesem Ort aufhält, merkt: Die Kugeln sind nichts Fremdes. Seit Jahrzehnten leben die Menschen mit ihnen und haben sie integriert – wie ein hässliches Gebäude, das man nach ein paar Jahren nicht mehr wahrnimmt. Die Radome sind, so offensichtlich sie das Bild dieses Ortes auch prägen, im Laufe der Jahre unsichtbar geworden.

Tritt man ganz nah an den Zaun des Abhörgeländes, hört man die Kugeln: ein gespenstisches, monotones Rauschen. Dieses Rauschen wollte Philipp Thurmaier, 22, im vergangenen Jahr zusammen mit ein paar Mitschülern aufnehmen – für einen Kurzfilm über die Abhörkugeln. Hortensie III steht auf der DVD, die er aus der Tasche zieht, der Deckname für die Abhöranlage des BND. »Die Kugeln sind schon ein Bestandteil der Stadt«, sagt Thurmaier, »aber nur bis zu einer gewissen Grenze.« Wenn man diese Grenze überschreite, würden sie bedrohlich.

Die Schüler hatten sich eine Drehgenehmigung bei dem Wohnungswirtschafter geholt, der das Gelände rund um die Abhöranlage übernommen hat. Als sie ihr Mikrofon auf die Antennen richteten, fuhr ein Kleinwagen heran. Drei Männer in Zivil stiegen aus, hörten die Aufnahmen der Schüler ab und gaben die Kennzeichen ihrer Autos, die teils von ihren Eltern geliehen waren, über Funk weiter. Lange mussten sich die Schüler erklären, bis die Männer ihnen glaubten, dass sie nur Material für einen Kurzfilm sammelten. Dann durften sie gehen. Das Rauschen legten die Schüler anschließend über den ganzen Film. Dazwischen sind einige Interviewsätze von Bad Aiblinger Bürgern geschnitten. Die meisten wollten allerdings nichts sagen. »Die Menschen hier fühlen eine Verpflichtung gegenüber den Amerikanern«, sagt Thurmaier, »die haben schon sehr viel Nutzen von ihnen gehabt.« Auch in diesem Punkt steht Bad Aibling stellvertretend für das ganze Land. Ohne Amerika wäre Bad Aibling nicht, wie es heute ist. Und ohne Amerika wäre Deutschland nicht, wie es heute ist.

1945 errichteten die Amerikaner in Bad Aibling auf einem ehemaligen Gelände der deutschen Luftwaffe ein Gefangenenlager, dann einen US-Stützpunkt und schließlich eine Abhöranlage. Rund um die Kugeln entstand ein amerikanisches Viertel; eine Schule, ein Krankenhaus, amerikanische Läden, ein Baseballfeld und eine Bowlingbahn kamen hinzu. Und das Fremde war gut zu diesem Ort: Einmal im Jahr, am 4. Juli, dem amerikanischen Unabhängigkeitstag, fand auf dem Militärgelände das deutsch-amerikanische Völkerverständigungsfest statt. Viele Bad Aiblinger haben dort ihre ersten Hamburger gegessen und amerikanische Musik gehört, lernten durch die Amerikaner Englisch und fühlten sich, als säßen sie direkt am Tor zur Welt mit ihren tausend Möglichkeiten. Die Amerikaner haben Zimmer über lange Zeiträume gemietet, viel Geld in Gasthöfen und Geschäften ausgegeben. »Besser geht’s nicht«, sagt der Wirt im »Gasthof Kriechbaumer«: »Wir haben stark von denen profitiert.«

2002, als die Anschläge des 11. September im Jahr zuvor weltweit zu strengeren Sicherheitsmaßnahmen und umfassender Überwachung geführt hatten, unterschrieben NSA und BND ein »Memorandum of Agreement«. Bis heute gelten Gesetze, die die Überwachung der Amerikaner in Deutschland legitimieren. 2004 zogen die Amerikaner ihr Personal von der Station ab und gaben das Gelände an Deutschland zurück. Seitdem wartet der BND die Technik der Abhöranlage. Und die beiden Länder tauschen weiter geheimdienstliche Informationen aus.

In Bad Aibling wirkt damit seit siebzig Jahren ein Verbund, entstanden durch amerikanische Befreiung, Besatzung und Befreundung, der die Menschen dazu verleitet, das Erbe der Überwachung zu akzeptieren. Philipp Thurmaier trägt die Radome auf seinem T-Shirt. Er selbst weist etwas verlegen darauf hin. Sie sind das Logo des Süd-Ost Rock Festivals, das hier jedes Jahr stattfindet. Es ist merkwürdig: Auf der einen Seite interessiert sich kaum jemand für die Überwachung, auf der anderen werden die Radome zur Imagepflege genutzt. Man ist schon stolz auf diese Kugeln. Sie stehen für Fremdbestimmung, sehen aber halt auch visionär aus und werten die behagliche Lokalkulisse auf. So was hat nicht jede Kleinstadt.

Nur einen Meter von der Abhöranlage entfernt steht heute der Zaun eines neuen Sportinternats. Jungen aus verschiedenen Ländern spielen Fußball, immer wieder fliegt der Ball über den Zaun auf das Gelände der Abhöranlage. Und seit einiger Zeit bekommen sie die Bälle von den Mitarbeitern drüben auch wieder zurück. In Sichtweite stehen eine bunt angemalte Schule und ein Waldorfkindergarten. Der Bürgermeister Felix Schwaller sagt, er habe mal den Satz gehört, man müsse »aus einem Problem ein Event machen: Die vielen Bilder von Bad Aibling in den Medien sind ja kostenlose Werbung.« Die Kugeln vor den Bergen, die Fußballer davor, das sei doch ein Alleinstellungsmerkmal. Die Überwachungskameras und die Schilder »Militärischer Sicherheitsbereich. Vorsicht Schusswaffengebrauch« sieht man nur, wenn man direkt vor dem Zaun steht. Ein »Asyl für Snowden«-Aufkleber klebt an einem Laternenpfahl. Er wirkt hier wie ein zynisches Statement. Identitäts- und heimatlos existiert Snowden als Ikone des Widerstands nur noch im Exil. Man nimmt an seinem Schicksal teil, aber nur gelegentlich und vom Sofa aus, wenn er mal wieder interviewt wird oder sich – wie vor ein paar Wochen – einen Twitter-Account zugelegt hat. »Snowden hat uns doch nur deswegen interessiert, weil es ein einzelner Mann ist«, sagt ein Spaziergänger. »David gegen Goliath. Darum geht es. Hätte eine Organisation den Datenskandal öffentlich gemacht, wäre die Solidarität nie so groß geworden.«

Bis 2004 waren Amerikaner in Bad Aibling stationiert, jetzt ist die US-Flagge nur noch Staffage für ein Fußballspiel: An die Abhöranlage grenzt ein privates Sportinternat, in dem Jungen aus aller Welt zur Schule gehen.

Solidarität spielt im Moment eine große Rolle in Bad Aibling. Ständig finden Sitzungen statt, in denen über die Flüchtlinge diskutiert wird. Über Italien und den Balkan sind sie gekommen, Kriegsflüchtlinge aus Syrien, Bootsflüchtlinge aus Afrika. Sie müssen auf die einzelnen Gemeinden verteilt werden. Die ersten sind in der Turnhalle des Gymnasiums in Bad Aibling untergekommen, 198 leben gerade dort. Doch wohin mit den anderen, die kommen? Eine Zeit lang war eine Containerunterkunft in der Nähe der Abhöranlage im Gespräch. Viele Bad Aiblinger hatten sich eine andere Lösung gewünscht: Die Flüchtlinge sollen auf verschiedene Standorte verteilt werden. Zu viele auf einem Fleck, das sei doch weder für die Flüchtlinge noch für das Dorf gut. 38 weitere Flüchtlinge sind nun privat untergebracht, 144 wohnen in drei neuen Containern, die nahe der Innenstadt stehen. Kurz nach dem »Tag der offenen Tür« verübten Unbekannte dort einen Brandanschlag auf einen noch leerstehenden Container. Verletzt wurde niemand.

Das Fremde kommt – wie vor siebzig Jahren – nach Bad Aibling. Doch diesmal beendet es den Krieg nicht, es bringt ihn mit. Es kommen Menschen aus Kriegs- und Krisengebieten; Menschen ohne Besitz, ohne Sprachkenntnisse, ohne Sicherheit, wie es weitergehen soll; Menschen, die Arbeitsplätze und Wohnungen wollen, aber keine Bewerbungsunterlagen mitbringen und kein Konto haben, um die Miete zu überweisen. Wie viele Deutsche machen sich auch die Bürger in Bad Aibling Sorgen. Diese Menschen sind ihnen fremd. Und sie verändern das Leben im Ort. Sie sind vielleicht keine unmittelbare Bedrohung, aber man wird mit ihnen leben, sprechen, auskommen müssen. Die Bürger von Bad Aibling haben mehr Sorgen wegen der Flüchtlinge, die ohnmächtig vor ihnen stehen, als wegen der Überwachung, die jede Minute fest im Boden verankert vor ihnen abläuft – nur eben unsichtbar. Die Überwachung haben sie akzeptiert, weil sie, ähnlich wie der Klimawandel, lautlos, nicht spürbar und scheinbar übermächtig vor sich geht. Die fremden Menschen aber fordern sie ganz gegenwärtig heraus.

Und so kehrt sich die Überwachung um: Die Bad Aiblinger schauen den Fremden zu. Sie beobachten sie. Gründen einen engagierten Helferkreis für die Flüchtlinge und stärken gleichzeitig ihr Dorf gegen den Zuzug aus der globalisierten Welt. Der Ort rückt zusammen, berät sich. Der Bürgermeister erklärt, er sei viel mehr mit dem Flüchtlings- als mit dem Überwachungsthema beschäftigt. Zu den Radomen habe er schon lange kein Interview mehr gegeben, aber wo die Flüchtlinge unterkommen sollen, das werde er jeden Tag gefragt.

Die Angst vor den Flüchtlingen und die Nicht-Angst vor der Überwachung haben miteinander zu tun. Bad Aibling ist ein Beispiel dafür, dass sich Menschen nur dann bewegen, wenn eine Entwicklung oder ein Prozess ihren Alltag konkret verändert.

Der Soziologe Ulrich Beck hat vor Jahren den Begriff des »Glokalen« geprägt, wonach globale Vorgänge durch lokale beeinflusst werden und umgekehrt. Nach diesem Prinzip lässt sich auflisten, warum Überwachung in Bad Aibling und im ganzen Land akzeptiert wird:

1. Bequemlichkeit: Die globale Überwachung hat – anders als etwa die Flüchtlinge – auf den lokalen Raum und damit auf den Alltag der Menschen keine direkte Wirkung. Überwachung spielt keine Rolle, solange sie nicht spürbar das persönliche Leben berührt.

2. Sicherheit: Überwachung wird akzeptiert, gerade weil sie den lokalen Raum prägt, weil es Argumente gibt, dass der Radius, in dem man sich bewegt, durch Überwachung vor Terror geschützt wird.

3. Integration: In Bad Aibling ist die globale Dimension der Überwachung lokal implementiert und ist selbst lokal geworden. Die »Schwammerl« gehören genauso zum Ort wie das Moorbad.

Auf Youtube gibt es ein Video des sizilianischen Ortes Niscemi. Es zeigt die militärische Bodenstation des Satellitenkommunikationssystems »MUOS« (»Mobile User Objective System«). Die Station, die auf einem Feld liegt und von Zäunen umgeben ist, erinnert an die Anlage in Bad Aibling – mit einem Unterschied: In Niscemi haben im August 2013 Tausende Sizilianer gegen den Ausbau der Station protestiert. Sie gründeten die Bewegung »NO MUOS« und zogen in Scharen zur Anlage, Aktivisten, Studenten, Familien, Kinder. Polizisten standen vor den Zäunen, ein Hubschrauber knatterte über ihren Köpfen. »No Muos! Viva la vittoria!«, schrien die Menschen. Leuchtraketen schwirrten durch die Luft, die Polizei setzte Tränengas ein. Das Video zeigt, wie die Demonstranten die Polizisten schließlich überrennen, den Maschendrahtzaun eintreten, die Station stürmen und sich den Teil der Insel, der einmal ihrer war, zurückerobern. Allerdings nur für kurze Zeit, der Bau der Anlage wurde fortgesetzt. Die Gegner sind bis heute aktiv. Warum schließen sich in Deutschland keine Demonstranten auf diese Weise zusammen?

Weil es einen Unterschied gibt: Die Demonstranten in Niscemi nahmen Verletzungen und Strafanzeigen in Kauf, nachdem bekannt geworden war, dass die Funkwellen, die von den Masten ausgehen, laut einer wissenschaftlichen Studie die Umwelt massiv gefährden, und viel wichtiger: die Gesundheit der Anwohner. Dadurch wurde die Bodenstation in Niscemi von einer theoretischen zu einer konkreten Bedrohung. Und als das Gesuch, die Station zu schließen, gerichtlich abgewiesen wurde, nahmen die Menschen die Sache selbst in die Hand.

Einmal wurde auch in Bad Aibling demonstriert. 2014, ein Jahr nach den Snowden-Enthüllungen, wurde im Zuge der Aktion »Stop watching us« vor verschiedenen Geheimdienststandorten in Deutschland protestiert. Rund 250 Anhänger verschiedener Oppositionsparteien liefen vom Ortszentrum zur Abhöranlage. »Wir wollten zeigen, dass es uns nicht egal ist, dass wir nicht einverstanden sind mit der Überwachung«, sagt Anita Fuchs, die für die Grünen im Stadtrat saß. Doch als sie von einer amerikanischen Familie erzählt, deren Kind im selben Kindergarten und später im selben Abiturjahrgang wie ihres war, ist ihr wichtig, dass nichts zitiert wird, was der Familie vielleicht nicht gefällt: »Das käme mir wie ein Verrat an Freunden vor.«

Freundschaft – dieser Begriff fällt immer wieder, wenn das deutsch-amerikanische Verhältnis definiert werden soll. Als könnte es zwischen Staaten etwas anderes als Interessen geben. In einer Pressemitteilung der Bundesregierung vom 17. Juni 2013, knapp zwei Wochen nach der Veröffentlichung der Snowden-Dokumente, heißt es anlässlich des Besuchs von Barack Obama in Berlin: »Der Aufbau der freiheitlichen Grundordnung in der alten Bundesrepublik und die Wiedervereinigung in Frieden und Freiheit – beides wäre ohne die Unterstützung durch die USA nicht denkbar gewesen. (…) Deutschland und die USA verbindet eine vitale und tiefe Freundschaft. Diese Freundschaft gründet auf gemeinsamen Erfahrungen, Werten und Interessen.« Angela Merkel wurde sogar noch feierlicher: »Das ist für mich der Kern der deutsch-amerikanischen Freundschaft«, sagte sie.

Paul Schmieschek und Hans Wenig haben die Amerikaner auch als gute Arbeitgeber kennengelernt. Beide sind heute bei dem Wohnungswirtschafter angestellt, der das Gelände übernommen hat. Bis 2004 haben Schmieschek 38 Jahre und Wenig 17 Jahre für die Amerikaner gearbeitet. Schmieschek hat die ersten beiden weißen Schutzhüllen für die Parabolspiegel vom Flughafen abgeholt. An Fasching und Kirchweih habe es freigegeben, erzählen die beiden. Es sei pünktlich gezahlt und schnell entschieden worden, und die Amerikaner hätten sie für ihre Arbeit ständig mit Auszeichnungen geehrt. Doch sie kennen auch die andere Seite: Um 2002 sei die gute Stimmung zwischen den Deutschen und den Amerikanern gekippt. »Es war nicht mehr so lustig, es wurde nicht mehr so viel zusammen gefeiert. Irgendwie war es anders«, sagt Paul Schmieschek. »Wir glauben, die haben den Schröder abgehört, die haben gewusst, dass er sich nicht am Irak-Krieg beteiligen wird.« Dass sich die Amerikaner vorher im Ort so offen gegeben hatten, führen manche inzwischen auch auf eine mögliche strategische Überlegung zurück: Bei guter Integration würde kein Widerstand gegen die Spionage aufkommen.

»Als die Amerikaner 2004 gingen, sind wir zu denen ins Hauptquartier der Military Police gegangen, wo die Überwachungs- kameras gesteuert werden«, erzählt Wenig. »Da konnten wir alle Monitore sehen. Wir hatten ja gar nicht geahnt, wo es überall Kameras gab und wie nah die im 360-Grad-Winkel heranzoomen können. Unglaublich leistungsstark waren die. Abends hatten sie Nachtsichtgeräte. Das hätten wir nie gedacht. Alles konnte man sehen. Wir haben immer unterschätzt, was die wussten und was deren Computer konnten.« Edward Snowden wusste es. Und er, der auch die Menschen wissen lassen wollte, wie umfassend diese Überwachung betrieben wird, ist nun ein Flüchtling. Ohne gültigen Pass lebt er in einem fremden Land mit einer fremden Sprache. So wie die Flüchtlinge, die erst mal ganz in der Nähe der Abhörkugeln untergekommen sind.

Fotos: Julian Baumann