Ein Mann hält unseren Wagen an. Ein Bauer? Ein Krieger? Jeder Kontakt in diesem Dschungel ist eine Gefahr. Der Mann redet auf Horeb, meinen Guide ein. »Da vorne ist etwas passiert«, sagt Horeb schließlich. »Eine Frau wurde auf dieser Straße ...« Er zögert, drückt sich davor, es auszusprechen.
Wir fahren weiter. Hinter jeder Kurve stehen Männer, oft mit Waffen, und wir wissen nicht, was sie im Schilde führen. Horeb ruft ihnen belanglose Fragen zu. Er will herausfinden, um wen es sich handelt. Aber es ist auch einfach ein Pfeifen im Walde: Falls sie nicht antworten, sagt er, haben wir ein Problem. Meine Angst wächst.
War es wirklich so eine gute Idee herzukommen? Ich befinde mich im Osten Kongos, mitten im Rebellengebiet. Kein UN-Soldat traut sich hier her. Und ich solle gefälligst auch fern bleiben, haben mir die Blauhelme geraten, die sich viele Kilometer entfernt verschanzt haben. Gerade ich, als junge, weiße Journalistin. In keinem Landstrich der Welt werden mehr Frauen vergewaltigt.
Kaum einer findet diese Reise gut, meine Freunde nicht, meine Familie nicht. Aber ich bin nun mal Fotografin, Filmemacherin. Und möchte über Menschen berichten, die selten gehört werden. Ich fahre dafür an Orte, wo Gewalt und Armut herrschen. Und diesmal eben der Kongo. Ein Land im Krieg. 5,4 Millionen Tote, getötet oder verhungert, der mörderischste Konflikt seit 1945.
Wenn Sie dieses 360°-Video mit Ihrem Smartphone ansehen, können Sie den kompletten Dorfplatz sehen, wenn Sie Ihr Telefon drehen und bewegen.
Und die Gewalt gegen Frauen ist ungeheuer. Die Vereinten Nationen nennen den Kongo die »Welt-Hauptstätte der Vergewaltigung«. Weit mehr als eine halbe Million Frauen sind in dem Krieg vergewaltigt worden, im Ostkongo jede dritte Frau. Wie kann das sein? Warum wird das den Frauen angetan? Wer sind sie? Wie verändert es ihr Leben, das Land?
Aus der Ferne nähern sich drei Gestalten. Sie bleiben stehen und taumeln dann weiter. Keine Krieger. Wir steigen aus und merken beim Näherkommen, dass es Frauen sind. Abwechselnd schreien und weinen sie. Erst jetzt verstehe ich, wer da vor mir steht. Es ist das Vergewaltigungsopfer, das sich auf zwei Frauen stützt, die Kleidung zerrissen.
Sie streckt uns die Hände entgegen, taumelt, keucht, stöhnt, die anderen Frauen weinen mit ihr. Männer folgen ihnen, Schaulustige: Sie haben Schüsse gehört, sind hingelaufen, und da war diese Frau. Sind Sie verletzt? »Sie haben mich geschlagen«, die Frau sackt nach vorne. »Wir fanden sie nackt«, sagt eine der Frauen. »Ich bin doch schon so oft diesen Weg gegangen«, sagt die Frau, als hätte sie etwas falsch gemacht. Sie wendet sich ab, in Scham.
Eine Vergewaltigung im Kongo bedeutet nicht nur Schmerz und Trauma. Die Opfer sind stigmatisiert und werden von der Gemeinschaft ausgestoßen. Isolation und Ausgrenzung sind die Todesstrafe in den ländlichen Teilen des Kongo, wo ein Überleben nur in der Gruppe möglich ist. Aber auch in den Städten ist das Leben für vergewaltigte Frauen ein ewiges Gefängnis, ihre Männer verstoßen sie oder können ihnen nicht mehr in die Augen sehen, weil sie sie nicht schützen konnten. Auch leiden die Frauen unter schwer heilenden Verletzungen, oft wurden ihnen Waffen und Stöcke in den Unterleib gestoßen.
Die Täter hingegen leben meist weiter in Freiheit. In seinem aktuellen Bericht klagt Amnesty International über diese Straflosigkeit, die selbst im Regierungsgebiet üblich ist. So gab es einen Prozess wegen einer Massenvergewaltigung in der Stadt Minova. Mehr als 130 Frauen und Mädchen, vergewaltigt von Soldaten. »Trotz überwältigender Beweise wurden nur zwei der 39 angeklagten Soldaten wegen Vergewaltigung verurteilt«, erklärt Amnesty International. Im Rebellengebiet gibt es erst gar keine Prozesse. Ab und an lässt ein Kriegsfürst einen Vergewaltiger hinrichten.
Aufgeregt kommen dann auch zwei Jungs gelaufen, ihre Augen funkeln: Die Täter wurden gefunden. »Da sind sie. Da sind die Vergewaltiger!« Zwei zerlumpte Männer werden von Bewaffneten eskortiert. Die zwei beteuern ihre Unschuld. »Wir werden sie exekutieren«, sagen die Bewaffneten stolz. Wir schweigen.
Unser Eindringen in dieses Gebiet hat sich herumgesprochen. Ein Dutzend Bewaffneter kommt uns entgegen. Der Kriegsfürst Charles hat sie geschickt. Er erwarte unseren Besuch. Das war nicht der Plan. Wir wollten in ein anderes Dorf. Wir gehen nach. Was sollen wir auch tun?
Über Tage bewegte sich Julia Leeb in diesem gefährlichen Gebiet, sie traf zwei Warlords, traf Soldatinnen, die mit der Waffe ihre Vergewaltiger jagen. Und traf auch zwei ungewöhnliche Frauen, die einen anderen Weg gewählt haben mit ihrem Kriegsleid umzugehen. Die ein wenig Hoffnung machen in diesem Elend.
Lesen Sie die komplette Reportage mit SZ Plus: