Das Beste aus meinem Leben

Manchmal stelle ich mir vor, mir würde auf Schritt und Tritt ein Gartenzwerg folgen, ein lebendiger Gartenzwerg aus Fleisch und Blut, nicht größer als ein, nun ja, Gartenzwerg eben. Immer so fünf Meter hinter mir. Würde er mir folgen. So unauffällig, wie es einem Gartenzwerg möglich ist.Was würde ich tun? Schneller gehen? Würde er auch tun. In den Laufschritt verfallen? Täte er ebenfalls. Ihn abzuschütteln versuchen, rein ins Kaufhaus, ab in den Lift, Rolltreppe wieder runter, raus auf die Straße, rein ins Taxi – weg wäre er? Aber am nächsten Morgen vor der Wohnungstür: wieder da.Ihn ansprechen? Was tun Sie hier? Warum verfolgen Sie mich? In wessen Auftrag?Der Zwerg würde schweigen. Oder sagen: »Es geht Sie nichts an, warum ich hier gehe, es ist meine Sache, das Grundgesetz garantiert Gartenzwergen persönliche Freiheit.«Daheim würde ich ins Grundgesetz blicken, aber Gartenzwerge nicht erwähnt finden. Also die Polizisten anrufen – nein, Mann! Man kann die Polizisten nicht anrufen, wenn man von einem Gartenzwerg verfolgt wird, sie glauben einem so was nicht und lassen einen von einem weißen Auto mit kräftigen Herren drin abholen. Oder sie sagen: Melden Sie sich wieder, wenn der Zwerg was Straf-gesetzwidriges getan hat, vorher können wir nicht helfen, das Gartenzwergsein an sich ist rechtlich in Ordnung. Am nächsten Tag stünde das Ganze als heitere Bemerkung im Polizeibericht, am übernächsten in der Zeitung, entsetzlich! »Münchner fühlt sich von Gartenzwerg verfolgt!«Die Geschichte ist zu persönlich. So was gehört nicht in die Zeitung.Aber irgendwann müsste es anderen Menschen auffallen. Dass da immer ein Gartenzwerg hinter mir herwuselt, zwischen den Waden anderer hindurch, so einer mit Schubkarre. Ich würde Aufsehen erregen. Möchte ich das? Mag ich das? Nein. Ich hasse Aufsehen. Ich bin ein Mann des Hintergrunds.Also würde ich immer häufiger daheim bleiben. Auch tagsüber in der Küche sitzen, bei Bosch, meinem sehr alten Kühlschrank und Freund, der mich fragen würde: »Was machst du hier? Warum bist du nicht auf der Straße, bei diesem herrlichen Wetter?«»Weil, wo ich gehe und stehe, ein Gartenzwerg hinter mir geht und steht.«»Und wenn zehn Gartenzwerge mich verfolgen würden – mir wäre es egal«, würde Bosch antworten. »Wenn ich nur mal hier rauskäme …«Eine Weile würden wir darüber sprechen, wie es wäre, wenn wir tauschen würden. Ich wäre ein Kühlschrank, er ein Mensch. Dann würde ich zur Wohnungstür gehen und nachsehen, ob er noch da sei, der Zwerg. Und er säße noch auf der kleinen Bank, die er sich vor unserer Tür installiert hätte, damit ihm das Warten bequemer wäre. Und wo die Kinder ab und zu mit ihm spielen, wie Kinder berühmter Politiker manchmal mit den Sicherheitsbeamten ihrer Väter spielen.Was würde Paola zu der Sache sagen? Ich fragte sie.»Manchmal stelle ich mir vor, ein Gartenzwerg würde mir auf Schritt und Tritt folgen. Was sagst du dazu?«Sie betrachtete mich eine Weile, dann sagte sie: »Der Gartenzwerg steht für das Spießige in dir. Deine Neigung, dich anzupassen. Deine Angst aufzufallen. Du willst es loswerden. Aber es lässt dich nicht los, anscheinend.«»Und was soll ich tun?«»Kümmere dich nicht weiter um ihn.«Das habe ich getan und ich tue es noch. Wundern Sie sich also nicht, wenn Sie auf der Straße hinter mir diesen Zwerg sehen oder wenn er bei einer Lesung auf einem Sitz liegt und schläft. Er kennt alles schon auswendig. Und sprechen Sie ihn ruhig an. Vielleicht redet er mit Ihnen. Mir ist er wurscht.Wobei: Ich hatte mir den Zwerg ja nur vorgestellt. Wenn Sie ihn tatsächlich sehen, stimmt was mit Ihnen nicht. Was könnte es sein?