»Frauen geben sich oft selbst die Schuld«

Lange wurde wenig für Menschen getan, die Fehl- und Totgeburten erleben. Die Verlustforscherin Julia Böcker erklärt, was an dieser Art von Trauer so schwierig ist, mit welchen Ritualen man sie würdigen kann und was den Paaren wirklich hilft.

Die Verlustforscherin Julia Böcker beschäftigt sich mit der Frage, wie Menschen mit der Erfahrung einer Fehl- oder Totgeburt umgehen. Für ihre Dissertation »Fehlgeburt und Stillgeburt. Eine Kultursoziologie der Verlusterfahrung« erhielt sie den Deutschen Studienpreis.

Foto: Körber-Stiftung/David Ausserhofer

SZ-Magazin: Die Bedürfnisse von Menschen, die eine Fehl- oder Totgeburt erleben, wurden lange Zeit ignoriert. Was erlebten die Betroffenen?
Julia Böcker: Bis in die achtziger und neunziger Jahre ging man in den Krankenhäusern klinisch-rational vor, nach dem Motto: Wenn wir das tote Kind unmittelbar nach der Entbindung wegnehmen, dann entsteht erst gar keine Bindung. Eltern konnten sich nicht dafür entscheiden, ihr totes Kind anzusehen, von ihm Abschied zu nehmen. Diese totale Fremdbestimmung war für die Betroffenen natürlich katastrophal. Teils wurden von den Ärztinnen und Ärzten Horrorvorstellungen geschürt und behauptet, die Kinder sähen völlig entstellt aus, um die Eltern von ihrem Wunsch abzubringen, ihr Kind zu sehen und sie damit vor der Trauer zu bewahren. Bis zu einer Gesetzesänderung 2013 war es normal, dass fehlgeborene Föten als Klinikabfall entsorgt wurden.