»Jammern ist wie emotionales Duschen vor den Kollegen«

Der Chef nervt, das Meeting ist überflüssig: Fast alle jammern mal im Job – aber wie sehr beeinflusst das unser Arbeitsleben?  Der Psychologe und Unternehmensberater Rolf Schmiel erklärt, ab welchem Punkt Beschwerden problematisch werden und wo besonders Führungskräfte umdenken müssen.

Kollegen im Büro können nicht weglaufen - deshalb lässt sich bei ihnen so gut Frust abladen.

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SZ-Magazin: Herr Schmiel, an wenigen Orten wird so viel gejammert wie am Arbeitsplatz. Warum?
Rolf Schmiel: Es gibt unterschiedliche Gründe. Viele sind in anderen Lebensbereichen vielleicht gerade sehr belastet, im Freundeskreis, gesundheitlich, in ihrer Ehe. Am Arbeitsplatz finden sie einen Ort, wo sie ihren Frust loswerden können. Kolleginnen und Kollegen können nicht aus dem Büro oder von der Werkbank abhauen, sie hören zu. Die Arbeit wird zu einer Art Kummerkasten.

Die Kollegen beschweren sich über die Arbeit, weil sie eigentlich gerade wegen anderer Dinge frustriert sind, etwa einen Streit in der Familie?
Das kommt darauf an, es gibt wissenschaftlich gesehen verschiedene Jammertypen im Büro. Die erste Gruppe an Leuten ist wirklich nur von Arbeitsprozessen frustriert. Diese Kollegen können ihren Job nicht so machen, wie sie sich das vorstellen, um eine gute Leistung zu erbringen. Das sind die sogenannten Leistungsorientierten, die frustriert sind wegen zu viel Administration, dummer Regeln, unfähiger Chefs – und dieses Unwohlsein zum Ausdruck bringen. Darüber hinaus gibt es aber auch den Geselligen, der das Jammern nutzt, um in Verbindung zu treten. Das kennen wir bei Kindern auch: Die neigen dazu, ihre Traurigkeit zu zeigen oder zu schreien, um Aufmerksamkeit zu bekommen. Und jemand, der sich nach viel Geselligkeit sehnt, bekommt sie dann über diese Art der Kommunikation. Dann gibt es diejenigen, die generell im Leben überfordert oder herausgefordert sind. Die zeigen häufig eine Art Klassensprechersyndrom: Sie spielen sich auf, obwohl sie gar nicht im Betriebsrat sind. Sie meinen, für die Stimmung etwas Gutes zu tun, indem sie permanent Probleme ansprechen. So lassen sie ihren Frust aus anderen Lebensbereichen nach außen.