»Rechthaberei steht dem Rechthaben im Weg«

Ist Deutschland ungebremst in die vierte Corona-Welle gelaufen, weil Menschen so schwer aus ihren Fehlern lernen? Der Philosoph Geert Keil erklärt, warum die Fehlerkultur unserer Gesellschaft scheinheilig ist, welche Irrtümer auf blinde Flecken zurückzuführen sind – und weshalb die Einsicht in die eigene Fehlbarkeit nicht nur klüger, sondern auch gelassener macht.

Jeder Mensch ist fehlbar – und trotzdem fällt vielen schwer, Fehler einzugestehen oder zu verzeihen.

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SZ-Magazin: Irren ist menschlich, heißt es. Trotzdem macht es gerade jetzt, in der Pandemie, den Anschein, als hielten sich viele Menschen eben doch für unfehlbar. Und Menschen, die öffentlich Fehler einräumen, werden dafür hart angegangen. Hat der Fehler ein Imageproblem?
Geert Keil: Jedenfalls gibt es eine große Scheinheiligkeit im Umgang mit Fehlern. Einerseits wissen wir alle aus eigener Erfahrung, dass Menschen Fehler machen – manchmal dumme, manchmal schwer vermeidbare. Wir sind aber nicht sonderlich gut darin, anderen Fehler zuzugestehen, schon gar nicht öffentlich. Jens Spahn ist zu Beginn der Pandemie für seinen Satz gelobt worden, dass wir später einander wahrscheinlich viel verzeihen müssten. Ich fand den Satz auch gut, er war ein Anflug von Lebensklugheit im politischen Tagesgeschäft.