Darf ich den Motor laufen lassen, damit meine Freundin nicht friert?

Einen Leser, der eigentlich nur seine Freundin vom Flughafen abholen wollte, plagt ein Dilemma. Er fragt sich, was für ihn wichtiger sein sollte, Liebe oder Umwelt.

»Ich holte meine Freundin vom Flughafen ab. Draußen war es eisig kalt. Sie ist sehr kälteempfindlich. Da ich einige Minuten zu früh dran war, ließ ich den Motor laufen, um das Auto für sie warm zu halten. Nach etwa drei Minuten klopfte eine Dame an die Scheibe und ermahnte mich, der Umwelt zuliebe den Motor abzustellen. Was geht vor – die Liebe oder die Umwelt?« Tobias R., Nürnberg

Im New Yorker war mal folgender Cartoon: Zwei Frauen laufen durch die Stadt, die eine sagt mit zufriedenem Gesichtsausdruck zur anderen: »I’m doing a lot better now that I’m back in denial.« (Es geht mir viel besser, seit ich wieder Dinge verdränge.) Daran muss ich oft denken, weil man ja geradezu täglich neue Dinge erfährt, die man aus diesen oder jenen Gründen nicht machen sollte, und es einem diese Informationen erschweren, zufrieden und gedankenlos vor sich hinzuleben. Wer einmal eine Sensibilität dafür entwickelt, wie viel Plastikmüll er jeden Tag produziert, was sich kaum vermeiden lässt, wenn man bei den Fotos der vermüllten Weltmeere nicht wegguckt, kann verrückt werden über die Unmöglichkeit, richtig zu leben, also vollkommen plastikfrei. Sogar im Biomarkt, in den wir ja alle gehen, um dort für etwas mehr Geld zu den Einkäufen noch ein Zipfelchen gutes Gewissen zu kaufen, habe ich schon in Plastik eingepackte Bananen gesehen. Bananen. Jenes kluge Obst, das seine Verpackung selbst mitbringt. Natürlich ist das Leben schöner, wenn man nicht bei jeder Flugreise mitdenkt, dass man gerade etwas sehr, sehr Schlechtes tut. Ob die sechs Euro, die man als Wiedergutmachung für den CO2-Ausstoß eines One-Way-Flugs von Berlin nach Paris zahlen kann, wirklich etwas nützen?

Aber sich dem Fatalismus zu ergeben und gar nichts zu tun, ist keine Option. Liebe oder Umwelt? Beides geht vor. Beides ist richtig. Beides ist falsch. Wir sind über 18, wir können Ambivalenzen aushalten. Ich komme Ihnen jetzt nicht mit dem berühmten Satz von Adorno, sondern mit dem Geständnis, dass mir heute Morgen, als ich bei minus zehn Grad in ein Auto stieg (immerhin Carsharing), das länger geparkt hatte, Ihre Frage in den Sinn kam und mir die Antwort für den Bruchteil einer trügerisch sorglosen Sekunde eindeutig erschien.